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Der Finger ist echt, und Böhmermann ein verdammtes Genie

Das ZDF hat zugegeben, dass Böhmermanns Video eine „falsche Fälschung" war. Was wir daraus gelernt haben, ist unbezahlbar.

Screenshot: Youtube

So, das ZDF hat jetzt auf Twitter praktisch bestätigt, was die meisten schon wussten: das Böhmermann-Video ist ein Fake. Böhmermann hat das Video erst nach der Jauch-Sendung bearbeitet, und Varoufakis hat 2013 in Kroatien wirklich einen Stinkefinger gezeigt.

Das ist keine große Überraschung: Varoufakis selbst hat vor einigen Tagen das Youtube-Video getweetet, in dem man den Stinkefinger sehen kann. Der Organisator des kroatischen Festivals, auf dem Varoufakis gesprochen hat, hat ebenfalls betont, das sei „aus dem Zusammenhang gerissen"—nicht, dass das Video manipuliert worden sei, was er ja ziemlich leicht hätte feststellen können, indem er das Original noch mal anschaut.

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Böhmermanns Team kannte das Stinkefinger-Video schon, weil sie es in dem „V wie Varoufakis"-Video benutzt hatten. Als es dann bei Günther Jauch grob zurechtgestutzt wieder auftauchte, Varoufakis sich über die Manipulation aufregte und eine Diskussion über die Echtheit des Fingers anfing, sah Team Böhmermann seine Chance.

Mit sehr viel Liebe zum Detail machten sie sich daran, ein „Enthüllungsvideo" zu basteln, in dem es so aussah, als hätten sie den Stinkefinger in das kroatische Video eingebaut. (Dazu mussten sie den Finger einfach aus dem Originalvideo ausbauen. Man kann sich gut vorstellen, wie die ganze Mannschaft dabei tagelang ein manisches Kichern kaum unterdrücken konnte). Das Ergebnis kennt jetzt fast jeder:

Aber warum haben sie das gemacht? Ganz einfach: Weil sie es konnten, und weil es verdammt lustig ist. Und trotzdem ist dabei etwas Wertvolles herausgekommen: Böhmermann und sein Team haben uns ein paar wertvolle Lektionen mitgegeben:

1. Die Finger-Debatte kann Deutschland sich in den Arsch stecken

Die ganze Diskussion war vollkommen lächerlich, und alle wussten es, noch während sie sie geführt haben. Aber: Wenn es einem zu mühsam ist, sich in das komplexe Problem der Kredite an Griechenland wirklich reinzulesen, dann sollte man vielleicht einfach den Mund halten und die Leute diskutieren lassen, die was davon verstehen—und nicht die ganze Debatte mit Stinkefinger-Brüller vollmüllen.

2. Journalismus ist Vertrauenssache

Der eigentliche Skandal an dem Finger-Video war ja nicht der Finger, sondern die Art und Weise, wie es bei Günther Jauch präsentiert wurde. Jauchs Redaktion hat es so zusammengeschnitten, dass man als Zuschauer leicht den Eindruck gewinnen konnte, als habe Varoufakis das irgendwann vorgestern, mitten in seinem Face-Off mit Schäuble gesagt.

Ausgefeilte Fälschungen wie Böhmermanns sind also nicht das Problem. Man wird auch in Zukunft nicht jedes YouTube-Video automatisch für gefälscht halten, weil solche Fälschungen eben doch nicht ganz so einfach herzustellen sind (was Böhmermanns Video mit all den teuren Apparaten und Motion-Capturing-Dingsbums ja auch gezeigt hat. Und man sieht immer noch, das Varoufakis sich in dem „finger-freien" Video etwas zu schnell bewegt). Das Problem sind Redakteure wie die von Günther Jauch, die Aussagen so zusammenschneiden, dass sie falsch rüberkommen. Deshalb ist es wichtig, dass Journalisten es sich zur Aufgabe machen, Videos nie so zu schneiden, dass ein falscher Eindruck entsteht. Das kommt irgendwann raus, und plötzlich hat man den „Lügenpresse"-Idioten ein weiteres Argument geliefert.

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(Ein gutes Beispiel ist der Fall des AfD-Spitzenkandidaten Jörn Kruse, der nach den Pariser Attentaten sagte, die seien „früher passiert, als ich gehofft habe". Ein paar Sekunden später hat er sich auch für den offensichtlichen Versprecher entschuldigt—das haben aber einige Medien gar nicht mehr erwähnt, stattdessen wurde impliziert, Kruse freue sich über den Anschlag. Ein Video-Redakteur, der dabei war und dann trotzdem nur den Versprecher ohne die Entschuldigung sendet, hat in dem Moment seine Integrität verloren. Als würden AfD-Leute nicht von selbst genug Scheiße erzählen.)

3. Niemand sollte mehr Günther Jauchs Talkshow schauen

Aus den oben genannten Gründen, und weil spätestens seit der Pegida-Sendung klar war, dass Jauchs Redaktion mehr Interesse an sensationellen Interview-Partnern als an echter Aufklärung hat. Im besten Fall ist der Jauch-Talk verschwendete Sendezeit, im schlimmsten Volksverdummung.

4. Verwirrung ist gesund

Auch wenn es nicht lang gedauert hat: Die totale Verwirrung, die das Böhmermann-Video bei seinen Zuschauern ausgelöst hat, hat sich großartig angefühlt. Wir leben in einer Zeit, in der Menschen auf Facebook gefakte Fahndungsbriefe mit Aufrufen zum Lynchmord sharen, ohne eine Sekunde darüber nachzudenken. Da kann es nur gut sein, wenn Leute wie Böhmermann die Öffentlichkeit hin und wieder etwas verunsichern und zum Nachdenken zwingen. Mehr Skepsis tut allen gut.

Im besten Fall führt das dazu, dass die Dummen den Mund halten, weil sie ständig Angst haben müssen, entblößt und erniedrigt zu werden. Und dass die Anderen sich mehr Mühe geben, erstmal zu schauen, was wirklich an einer Geschichte dran ist und wo sie herkommt.

Und dafür sollten wir Jan Böhmermann und dem ganzen Team vom Neo Magazin Royale wirklich, wirklich dankbar sein.