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Der implizite Autor

Ab heute, jeden Sonntag: Meine Literaturkolumne, “Der implizite Autor”.

Ab heute, jeden Sonntag: Meine Literaturkolumne, “Der implizite Autor”. Hier wird es anstatt Rezensionen, Vorträgen und Befragungen vor allem sogenannte Verläuterungen geben, die man sich als blinde Brüder der Wahrheit vorstellen kann. Zum Anfang: Eine Einführung.

Es gab ein Buch, das wir lesen sollten, im Gymnasium, heute weiss ich weder wie es hiess, noch worum es ging, aber ich erinnere mich gut daran, wie ich es hasste, denn ich hasste es mehr noch als alle anderen Bücher, die ich nur hasste weil sie mir aufgedrängt wurden, weil sie nicht aus meinem freien Willen fielen. Aber dieses eine Buch, das schränkte nicht nur meine Freiheit ein, sonder was darin stand, das brachte mich in Rage, so schlecht, so peinlich, so falsch schien mir diese Geschichte damals. Als unser Lehrer sagte, dass wir dieses Werk rezensieren, ganz frei darüber nachdenken und schreiben dürfen, war es die Hoffnung mich noch viel weiter in meine Rage hinein zu steigern zu dürfen, die mich antrieb, dieses Buch ganz schnell zu Ende zu lesen, worauf ich es in meiner “Rezension” zerriss, worauf ich mich nur so darin ereiferte, es zu zerreissen, und das erregte mich, weil dem Unsinn dieser Lektüre und dem Unsinn meines Willens der so frei, der so leer war, endlich etwas entstand, auch wenn dies reisserisch war, stürmisch und dumm.

Dies, nach Jahren lieblicher Annäherung im Privaten, war meine erste harte, hörbare Kollision mit Literatur, dieser Sache, die damals noch klein war, und heute auf mir sitzt, wie eine dicke Kuh mit ihrem ekelhaften Euter auf meinem Gesicht, wobei dieses Gewicht auf mir mich reizt es zu stemmen, wobei für mich ein bisschen Sinn entsteht, in der Verwirrung die schon immer mein Zustand war. Auch wenn es ein harter, ein weicher, oder ein perverser Sinn sei, immerhin macht das Gewicht der Literatur Sinn für mich - wobei wohl auch Kochen Sinn für mich macht, denn wie ich versuche der Kuh zu entkommen, so vertue ich meine Zeit in der Küche, so verkoche und verzehre und verdaue ich meine Langeweile bis es wieder Zeit wird, weiter zu leben und weiter und zu schreiben. So kämpfe ich immer gegen eine unmittelbare Fettleibigkeit an, die mir wohl drohte, kehrte ich nicht immer wieder schnell genug an die Tasten und an das Euter zurück.

Dieser Zerriss damals, war der Ersatz dafür, jenes Buch tatsächlich in einem Kraftakt meiner Arme und meiner Hände zu zerreißen und an die Wand zu werfen. Nach jenem leidenschaftlichen Zerriss fühlte ich mich wie der leidenschaftliche Mörder, nackt, peinlich und verpflichtet, sich seine unerklärliche Tat zu erklären. Und so führte mich dieser Zerriss aus der säuglingshaften Triebhaftigkeit, aus diesem Garten Eden, in die herrliche Hölle des Nachdenkens. Aber dabei wurde ich weniger zu einem Literaturkritiker, als zu einem Selbstkritiker, und nicht zu einem Journalisten, sondern zu einer Art Schriftsteller, zu einem Menschen, der auch mal schriftlich an seinem Leben arbeitet - zu einem Menschen, der schreibt was er ist und der ist was er isst und der isst was er schreibt.

Dies hier, also, ist ein Weg und ein Begleiter meines Lebens, dies hier ist ein Tritt in meinen willigen Hintern, dies hier sind die “Selbstwatschen” von denen Thomas Bernhard sprach, dies hier hat etwas von der “Tristesse”, von der der Françoise Sagan sprach, und auch von den “Strahlungen” unter denen Ernst Jünger stand, dies hier führt natürlich zu mir, und so wie ich mitten in der Welt stehe, führt es natürlich auch in die Welt hinaus, dies hier ist also eine Art literarischer Kopfbahnhof.

Pippin Wigglesworth (geb. 1983) ist ein Schweizer Schriftsteller britischer Abstammung und lebt in Berlin.