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Der Kaugummi-Prozess: Schon wieder ein neuer Befangenheitsantrag im NSU-Gerichtsverfahren

Es ist Beate Zschäpes gutes Recht, einen Befangenheitsantrag nach dem anderen zu stellen. Auch wenn es schon für viele ganz klar ist, dass Zschäpe mitgemordet hat, so klar ist es vor einem Gericht nicht.

Foto: Imago/Sebastian Widmann

Aufhängen, Köpfen, Rädern oder Vierteilen—das scheint allgemein das einzig gerechte Urteil im sogenannten NSU-Prozess zu sein, das eigentlich doch schon längst hätte gesprochen werden müssen und zwar gestern! Stattdessen steht der gesamte Mammut-Prozess wegen eines erneuten Befangenheitsantrags der Angeklagten gegen den Senat mit seinem vorsitzenden Richter Manfred Götzl wieder mal auf der Kippe. Das Verfahren zieht sich damit wie ein ausgelutschter Kaugummi—fader Beigeschmack inklusive.

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Was ist passiert?

Der Nebenklägeranwalt Alexander Hoffmann erklärt VICE gegenüber, dass der Mitangeklagte von Beate Zschäpe, Ralf Wohlleben, einen Beweisantrag gestellt hat, den das Gericht aber abgelehnt hat. In seiner Begründung spricht das Gericht an einigen Stellen von „den Straftaten" ohne ein obligatorisches „vermeintlich" oder „mutmaßlich" voranzustellen. Wohllebens Anwalt will daraus schließen, dass die Straftaten also schon für das Gericht feststehen und es somit befangen ist. Beate Zschäpe hat sich dem Befangenheitsantrag angeschlossen. Eine Formulierungsschwäche ist dem Gericht sicherlich vorzuwerfen. Aber für einen erfolgreichen Befangenheitsantrag könnte das ein bisschen dünn sein. Eine endgültige Entscheidung steht noch aus. Es ist ja auch nicht der erste Antrag, den die Angeklagten stellen. Das ging schon am ersten Verhandlungstag vor nun über zwei Jahren los. 2014 kam dann noch die große Vertrauenskrise der Beate Zschäpe gegenüber ihren Pflichtverteidigern Sturm, Stahl und Heer (die heißen wirklich so) dazu. Sie wäre alle drei gerne losgeworden—das hat das Gericht aber auch abgelehnt. Das sind alles Vorgänge, die den Prozess nur noch weiter in die Länge ziehen können.

Warum das alles?

Das müsste man eine Glaskugel fragen. Wir können auch nur mutmaßen. Falls der Prozess wirklich wegen eines Befangenheitsantrags platzt, wäre das jedenfalls ein juristischer Gau! Eine Katastrophe! Alles ginge von vorne los. Dass dann die U-Haft aufgehoben würde, ist für Ralf Wohlleben denkbar, bei Beate Zschäpe jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen. Das wäre gut für die Angeklagten. Das Verfahren würde sich um Jahre verlängern.

Wir stehen in dem Mammut-Prozess jetzt beim 262. Verhandlungstag. Jeder Tag kostet so viel wie eine kleine Wohnung in Berlin-Prenzlauer Berg: rund 150.000 Euro. Es wurden rund 670 Zeugen vernommen und über 40 Sachverständige gehört. Das sind Dimensionen, die dieses Gericht noch nicht erlebt hat.

Aber es ist Beate Zschäpes gutes Recht, eben solche Anträge zu stellen. Sie darf ein faires Verfahren verlangen, bei dem die Unschuldsvermutung bis zum Schluss gilt. Auch wenn es schon für viele ganz klar ist, dass Zschäpe mitgemordet hat, so klar ist es vor einem Gericht nicht. Es wird geprüft, geprüft, geprüft.

Es wäre vermessen zu behaupten, jeden kleinen Beweis zu kennen, aber die obligatorische „smoking gun" in der Hand von Beate Zschäpe gibt es nicht. Ein Geständnis, außer dem, ihre Katzen vernachlässigt zu haben, gibt es auch nicht. Es kann also noch länger dauern, bis ein Urteil gesprochen wird. Und auch da kann niemand voraussagen, ob das Gericht Beate Zschäpe tatsächlich am Ende für schuldig erklärt, in Mittäterschaft gemordet zu haben. Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand, heißt es immer.

Was bleibt?

Der Prozess platzt wahrscheinlich auch mit dem neuen Befangenheitsantrag nicht. Das einzige, das platzen könnte, ist die Hoffnung, dass wir irgendwann in einem Urteil DIE Antwort auf die wohl wichtigste Frage bekommen werden: Warum mussten so viele Menschen sterben?