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Der Khat-Drogenbaron und ich

Das Kauen von Khat ist in Somalia Alltag. Aufgrund des wirtschaftlichen und sozialen Elends des Landes lässt sich mit der pflanzlichen Droge ein einträgliches Geschäft machen.

Der Autor und der Besitzer der Gargaar-Company

Es ist 9 Uhr morgens in Hargesia, Somalia. Ein Mann mit einem Leinenrucksack, der halb so groß ist wie er selbst, quetscht sich durch eine Seitentür der Gargaar-Company. Er stellt seine schwere Fracht in die Mitte des 90-m2-Raumes, der als multifunktionaler Büro-Verkaufs-Lagerraum dient. In ihm stehen riesige Bündel mit Zweigen, von denen kleine, spitze Blätter auf den Boden fallen.

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Bei den Sträuchern handelt es sich um Khat, ein schwaches Rauschmittel. Es ist in Somalia allgegenwärtig, und die Wirkung unterscheidet sich je nach Statur des Konsumenten. (Es wirkt wie ein Amphetamin, bei manchen wie ein Downer und für ein paar Wenige halluzinogen.) Dieses Kraut ist die einzige Ware der Firma, und ein halbes Dutzend Arbeiter ist für den Verkauf zuständig.

Sie kümmern sich mit einer Dringlichkeit und Effizienz um das Khat, die ungewöhnlich für Hargesia ist. Schnelligkeit bedeutet alles in der somalischen Khat-Szene, weil die Blätter ihre Wirksamkeit schon nach 48 Stunden verlieren (obwohl Somalier die Blätter in der Hoffnung auf eine länger anhaltende Wirkung an den Stämmen lassen—anders als zum Beispiel Jemeniten). Die kurze Haltbarkeit wurde besonders bedeutsam, als der frühere somalische Diktator Siad Barre die Zerstörung der heimischen Khat-Plantagen anordnete. Das machte die Händler von Herstellern abhängig, die im 260 Kilometer entfernten Harar in Äthiopien anbauten. Hassan, der Besitzer der sechs Monate alten Firma, sitzt neben mir und seufzt vor Erleichterung—die neue Lieferung Khat trifft genau in dem Moment ein, als es in Folge der abendlichen Rushhour zur Neige geht.

Der Verkaufsstand im Gargaar-Komplex

Ich gehe hinüber zum Eingang des Lagerhauses, in dem die Hälfte der Gipswand herausgebrochen wurde und eine Ein-Mann-Bude aus hölzernen Planken auf die Straße hinausragt. Der Verkäufer ist damit beschäftigt, Geldbündel zwischen Kunden und dem Geldwechsler, der neben ihm hockt, hin- und herzureichen. Er bemerkt mich gar nicht, als ich über seine Schulter schaue und etwa 20 Khat-Haufen sehe, die halb von einem Laken verdeckt werden. Gargaar verkauft Jebis, ein Mittelklasse-Khat, das für fünf Dollar über den Tisch geht (billiges Khat wird für ein oder zwei Dollar und hochwertiges für mehr als 10 Dollar verkauft). Der Preis lag einmal bei sieben Dollar und mehr, als sein früherer Arbeitgeber, die Gafane-Comany, noch ein Monopol auf den Verkauf besaß. Ich lehne mich neben dem Geldwechsler an und versuche zu verfolgen, wie viele Bündel den Besitzer wechseln und wie viele Leute ihr Khat auf Pump kaufen—in erster Linie weil niemand Zeit hat, um mit mir zu reden, was unüblich ist für die meisten Geschäftsleute in Somaliland—, aber ich kann nicht mithalten und ziehe mich zurück, um Hassan über sein blühendes Geschäft auszuquetschen.

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Mmmmmh, Khat

Hassans junges Gewerbe hat acht Läden in vier Städten, fünf Transporter, die ununterbrochen Lieferungen bringen und 65 Vollzeitangestellte. Hassan allein importiert jeden tag 300 Kilo Khat. Aber Gargaar, Gefane und all die anderen Massenimporteure sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein—Hassan schätzt, dass jeden Tag 10 Tonnen Mittelklasse-Khat importiert werden, wenn man alle Preisklassen zusammenrechnet wahrscheinlich um die 50 Tonnen. Die Anzahl von kleineren Ständen, in Hargesia allein, lässt sich kaum zählen.

Khat-Felder

Khat ist ein seit Langem Teil der somalischen Kultur, und Menschen im Yemen und in Äthiopien, die sich mit der Pflanze auskennen, verteidigen sie als Mittel, das den sozialen Zusammenhalt fördert. Allerdings hat die Wirkung nicht nur positive Effekte. Hassans Geschäft läuft vor allem so gut, weil Khat die zeitliche und psychologische Leere füllt, die die Massenarbeitslosigkeit in die Gesellschaft gerissen hat. Es gibt allerdings auch einen kriminellen Aspekt bei dieser Sache: Historisch gesehen wurde Khat dazu benutzt, um die Somalier abhängig und faul zu machen und leichter an ihr Geld zu kommen, wie zum Beispiel im Äthiopischen Krieg in den 1960ern. Äthiopische Hersteller fluten den Markt mit Khat, weil sie merken, dass sie damit mehr Geld verdienen können als mit Kaffee, und nutzen somit (bewusst oder unbewusst) die hohe Arbeitslosigkeit in Somaliland aus.

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Die ständige Arbeitslosigkeit und die konstante Nachfrage haben das bisherige Konsumverhalten stark beeinflusst. Mittlerweile nehmen zwischen 60 und 80 Prozent der Männer Khat (viele davon kauen das Kraut wahrscheinlich auch gewissenhaft, doch es gibt eine ernsthafte Epidemie von Missbrauch). Diese Explosion des Khat-Konsums führt zu gesundheitlichen Problemen, manche davon sind nicht so schlimm, wie fleckige Zähne—die meisten dagegen haben schlimme Folgen wie Leberschäden, Verstopfungen, unfreiwillige Ejakulationen und Impotenz. Größere Arbeitgeber verweigern den Khat-Konsumenten Arbeitsplätze und befeuern damit den Teufelskreis des ständigen Konsums und der Arbeitslosigkeit.

Ameenas Khat-Stand

Hinzu kommt noch die Genderfrage. Khat verheißt ein gutes Geschäft, selbst für einen einzelnen Verkaufsstand. Deshalb zieht es auch Frauen mit arbeitslosen Männern oder kürzlich Verwitwete an, so wie Ameena. Im Gegensatz zur Gargaar-Bande verkauft Ameena nur etwa 15 Kilo Khat am Tag. Früher waren es 25. Sie hat zwölf regelmäßige Kunden, deren Loyalität ihr seit 13 Jahren einen sicheren Job beschert. Als ich mich eine Nacht lang mit ihr an ihrem Stand treffe, zähle ich nur vier Kunden. Das macht ihr allerdings nichts aus. Sie redet lieber mit mir über ihre Kinder, als potenzielle Verkäufe abzuschließen. Sie verdient dennoch genug, um ihre Familie zu unterstützen und ihre Kinder auf die Uni schicken zu können. (Wie viele andere Verkäufer auch hält sie sich verdeckt über die genauen Summen. Aber aufgrund der Steuer, die an der Grenze erhoben wird, und dem, was die örtlichen Bauern auf ihren Farmen verlangen, verdient sie höchstens 30 Dollar am Tag). Männer hingegen, die durch die selbstbewussten und wirtschaftlich erfolgreichen Frauen verunsichert sind, verbreiten Gerüchte, dass die weiblichen Verkäufer ihre loyalen Kunden durch Sex an sich binden, und durch Sex an Khat zum Einkaufspreis kämen.

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Ein Khat-Bauer präsentiert stolz seine Ware.

Die Menschen dort sind beschämt, damit etwas zu tun zu haben und möchten nicht fotografiert werden, wenn sie Khat kauen. Ist das Kraut allerdings verbraucht, posieren alle gerne. Selbst Hassan, der stolz auf sein Produkt und sein Imperium ist, gibt zu, dass sein Erfolg auf ernsthaften sozialen und wirtschaftlichen Missständen fußt. Er glaubt, dass die Leute nur am Wochenende Khat kauen würden, wenn das Land wirtschaftlich funktioniere. Damit käme er klar; es wäre besser für das Land.

Aber Khat ist hier etabliert, sowohl durch die nationale Wirtschaftslage als auch durch persönliche Abhängigkeit. Wenn Ameena 15 Kilo am Tag ausreichen, um ihre Familie zu ernähren, stellt euch den möglichen Gewinn von Hassan vor. Und auch die Gewinne, die die Regierung erzielt—Hassan geht davon aus, dass die Regierung bis zu 40 Prozent ihrer Steuereinnahmen durch den Zoll auf Khat erwirtschaftet, obwohl Studien den Anteil auf maximal 30 Prozent schätzen. Die Regierung bekommt zudem von jedem Stand täglich einen kleinen Steuerbeitrag.

Ein Khat-Kauer entspannt im Gargaar-Lagerhaus.

Hassan ist über die sozialen Missstände informiert und beunruhigt, dennoch steckt er auch weiterhin sein Geld ins Khat-Geschäft in der Hoffnung, seine Gewinne in den nächsten Monaten zu verdoppeln. Das scheint zwar widersprüchlich zu sein, aber es ist eine der wenigen Möglichkeiten, Vermögen für sich und das Land zu generieren. Es schafft Arbeitsplätze und stimuliert die Wirtschaft. Es wäre allerdings auch schön, wenn es neue Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum ohne Khat gäbe.

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