Der letzte Kino-Plakatmaler

Wir haben keine Möglichkeit, das nachzuprüfen, aber Vasilis Dimitriou behauptet, der letzte Mann in Europa zu sein, der seinen Lebensunterhalt mit dem Zeichnen von Kinopostern bestreitet. Er ist jetzt 75 und seit 61 Jahren geht er jeden Mittwoch um 11 Uhr in Athens Zentrum um an der Vorderseite des Athinaion Kinos seine Poster anzupinnen. Wie gesagt, keine Ahnung ob er wirklich der letzte Mann seiner Zunft ist, aber wir nehmen das jetzt einfach mal an. Wir haben ihn also angerufen um mit ihm zu sprechen, während er in seinem Studio saß, umgeben von Postern aus der Vergangenheit.

VICE. Hi, Vasilis.

Vasilis Dimitriou: Hey, ich habe den ganzen Morgen auf euren Anruf gewartet. Gib mir eine Minute, damit ich meine Enkelkinder verabschieden kann.

Enkel: Bye-Bye Opa!

Ist es gerade ungünstig? Ich möchte dich nicht deinen Lieben wegnehmen. Ich kann auch morgen zurückrufen.

Keine Chance. Morgen fange ich wieder mit der Arbeit an.

Also hast du bis jetzt noch nicht aufgehört?

Ich höre erst auf, wenn ich tot in.

Möchtest du von Anfang an erzählen? Wie bist du dazu gekommen, Filmposter zu zeichnen?

Das ist eine Geschichte, die ich schon so oft erzählt habe. Ich war 14 als dieser Mann herausbekam, das ich Talent fürs Zeichnen habe. Jetzt bin ich 75 Jahre alt. Der Mann war jemand aus dem Filmgeschäft. Er sagte zu mir „Ich werde dich zu einem Workshop mitnehmen und du wirst von einem Typen der Filmposter macht, lernen, wie das richtig geht.

Wie, diesen Typen hast du einfach auf der Straße kennengelernt? Waren deine Eltern nicht total aufgebracht oder so?

Als ich meiner Mutter erzählte, dass ich Poster machen will, wollte sie davon nichts wissen.

Du hattest da bereits die Schule verlassen?

Ja, ich verließ die Schule früh, weil ich musste. Ich hatte wegen dem Krieg erst spät mit der Schule anfangen können. Dieser Typ hatte mich quasi entdeckt, aber damals konnte man nicht einfach entscheiden " ich male jetzt Poster”. Da gab es viele Probleme. Und die Deutschen.

Ah. Die Deutschen.

Ich mochte sie nie. Ich wurde mehrmals in den Arsch getreten, von denen.

Hat dir jemand beigebracht, zu zeichnen?

Nein, niemand!

Du hast es allein gelernt?

Niemand lernt etwas ganz von sich aus. Wenn du etwas lernen möchtest, aber kein Geld hast, um auf eine der beliebten Schulen zu gehen, schaust du dir alles an, was mit Malerei zu tun hat. Entweder in Büchern oder du siehst dir Arbeiten von anderen an. Das ist Studieren. Meine Lehrer waren die Leiter des Workshops. Ich sah ihm zu und lernte.

Wünscht du dir manchmal, du hättest das Zeichnen in einem formaleren Weg gelernt?

Ich weiß nicht, ob eine Kunstschule in mir etwas anderes ausgelöst hätte. Jeder Maler sollte in der Lage sein für sich selbst herauszufinden, dass die Mischung aus Blau und Gelb die Farbe Grün ergibt.

Da ich in Athen aufgewachsen bin, kann ich mich erinnern, immer überall Poster gesehen zu haben. Im Ausland habe ich nicht so viele gesehen. Ist das denn typisch Griechisch?

Es gab so etwas auch in Spanien und Frankreich….aber zu dem jetzigen Zeitpunkt, bin ich allein. Es gibt niemand anderen in ganz Europa, der das macht was ich mache!

Mit was arbeitest du?

Hagiographie Puder, Ölfarben, Indische Tusche und Aquarell.

Bist du ein Kinofan?

Früher war ich das. Aber nun bin ich alt und müde. Das Filmgeschäft ist viel schnelllebiger geworden. Dem kann ich nicht mehr folgen.

Also musst du nicht notwendigerweise den Film gesehen haben, um ein Poster zu zeichen? Musst du dich nicht stimmungsmäßig auf den Film einstellen, bevor du mit dem Malen beginnst?

Nein. Das macht es zwar einfacher, aber meistens haben mich die Filmfirmen nicht mal eingeladen um den Film vorab zu schauen.

Hat die Tatsache, dass du einen Film magst irgendeinen Einfluss auf das Poster später?

Natürlich hat es das. Ich mag Musicals. Ich mag die Tanzszenen. Und ich bin ein großartiger Tänzer.

Zu was tanzt du gern?

Zu allem. Aber Jazz ist meine Lieblingsrichtung.

Wer ist dein Lieblingsschauspieler?

Clint Eastwood. Er ist ein guter Schauspieler und ein offener Typ.

Kennst du ihn persönlich?

Vor ungefähr zehn Jahren, führte eine amerikanische Zeitung ein Interview mit mir. Er muss es gesehen haben, denn 2004 während der olympischen Spiele kam er  mit einem Übersetzter zu mir, um mit mir zu sprechen. Ich war gerührt. Er kam zu meinem Workshop, wir sprachen über Filme und ich zeigte ihm ein paar Poster, die ich mag.

Welche von deinen Postern magst du am liebsten?

Ich mag sie alle gleich gern.

Gibt es Schauspieler, die du nicht magst?

Lass uns nicht darüber reden.

Gab es lustige Momente im Poster-Business?

Ich habe ein Poster gemacht, für ein Kino in der Stadiou Straße – Das gibt es heute nicht mehr. Sein Name war Astor, warst du jemals da?

Nein, ich kann mich nicht erinnern.

Wie alt bist du denn?

24.

Ah, du bist ein Baby. Selbst meine Enkel sind älter als du.

Wie auch immer, es war um 1965 und das Poster von dem Film, den sie spielten bildete ein Mädchen im Bikini ab. An dem Tag an dem ich es fertiggestellt und angebracht hatte, rief mich der Besitzer von dem Kino an, um mir zu sagen: „Vasilis, du hast mich ruiniert“! „Was ist passiert?“, fragte ich. „ Du hast dieses Mädchen im Bikini gezeichnet und jetzt haben sich vor dem Eingang diese alten, gläubigen Frauen versammelt und rufen, was für eine Schande mein Kino ist. Sie verlangen, dass das Poster abgehangen wird. Du musst zurückkommen und das richtig stellen!

Scheiße. Was hast du gemacht?

Ich nahm meinen Werkzeugkasten, machte mich auf den Weg und  zeichnete ihr ein paar längere Shorts und ein T-Shirt auf ihren Bikini. Der Kinobesitzer war glücklich und die Damen auch. Ein junger Typ kam vorbei und sagte „ Alter, was hat der Bikini dir getan, lass ihn in Ruhe!"

Wie war ein Kinobesuch damals im Vergleich zu heute?

Damals gab es eine Pause, in der die Besucher etwas trinken konnten, rauchen und über den Film diskutieren. Du hattest die Chance, deine Meinung mit anderen zu teilen. Das hast du heute nicht mehr, sie wollen nur, dass du das teure Essen dort kaufst, es mit rein nimmst und schnell wieder verschwindest. Als ich jung war, 20 oder 25 oder so, haben wir uns schick gemacht um ins Kino zu gehen. Wir hätten uns rasiert und eine Krawatte umgebunden. Wir hatten unsere Dates ausgeführt. "Ich warte vor dem Kino", hatten wir zu den Mädchen gesagt.

Gibt es noch irgendwas, was du sagen möchtest, bevor wir auflegen?

Du machst die Geschichte. Oh warte! Der erste Jogurt der von einem Teddy Boy auf die Straße geworfen wurde, kam von mir!

Was?

Ich habe ihn auf einen Fußgänger geschmissen. Aus Spass! Wir waren vier oder fünf Jungs, wir haben einen Becher gekauft und uns gestritten, wer ihn werfen soll. Am Ende war ich es. Der Typ hat mich verfolgt und zu meinem Vater gebracht.

Und der hat dich geohrfeigt.

Natürlich tat er das! Väter waren anders zu dieser Zeit. So, das ist alles, lass es dir gut gehen Elektra!

Danke Mr. Vasilis. Ich werfe für dich bei Gelegenheit einen Jogurtbecher auf einen Deutschen.

FOTOS: THEO PRODROMIDIS