Der lässigste Pensionist Deutschlands erklärt: Wie altere ich, ohne scheiße zu werden?
Alle Fotos: Grey Hutton

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Der lässigste Pensionist Deutschlands erklärt: Wie altere ich, ohne scheiße zu werden?

Sonntags raven, Geheimratsecken nicht unter Basecaps verstecken und einen stylischen Grabstein kaufen sind nicht alles.

Günther Krabbenhöft gilt als der älteste Hipster der Welt. Er ist zwar nicht 104 Jahre alt, wie Medien vor einem Jahr behaupteten, sondern 70, hat aber offensichtlich einiges richtig im Leben gemacht. Er zieht sich besser an als du, ist besser drauf als du und tanzt jeden 20-Jährigen unter den Tisch. Und auch mit dem Hype um seine Person geht er erstaunlich gelassen um: Trotz einer Flut von Medienanfragen und einer Werbekampagne für Google findet er Zeit für Radeln, Morgengymnastik, Mittagsschläfchen und Ausgehen: Seit zwei Jahren gab es kein Wochenende, an dem er nicht tanzen war.

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Wir haben uns von Günther Krabbenhöft beraten lassen, wie man später weder langweilig noch peinlich wird. Und wie man damit zurecht kommt, dass wir irgendwann alle alt sein werden und sterben müssen.

VICE: Wie bleibe ich jung, ohne dabei krampfhaft dauerjugendlich zu sein?
Günther Krabbenhöft: Indem man noch Wünsche hat, für die man brennt—und sie auch verwirklicht. Für mich sind das Tanzen und Techno—also Dinge, für die sich junge Menschen interessieren. Aber man darf sich nicht anbiedern, so wie diese alten Säcke in gelöcherten Jeans und mit umgedrehten Basecaps. Ich bin keine 18 und brauche auch nicht so zu tun. Ich setze mich mit meinem Alter und meiner Vergänglichkeit auseinander. Vor Kurzem habe ich mir einen echt schönen Grabstein gekauft. Es gibt einen großartigen alten Friedhof, auf dem man Patenschaften für historische Gräber übernehmen kann. Ich habe einen riesigen Obelisk aus schwedischem Granit restaurieren lassen [zeigt auf seinem iPhone ein Foto von einem minimalistischen schwarzen Grabstein mit goldener Schrift]. Zwei Särge und vier Urnen passen da drauf—und alle Plätze werden mit meinen Liebsten belegt sein. Meine Ex-Frau, mit der ich zehn Jahre verheiratet war, hat sich angemeldet und außerdem vier Freunde.

Ihr werdet also sozusagen eine Grab-WG haben.
Genau. Sobald die Renovierungsarbeiten fertig sind, lade ich alle Mitbewohner ein und dann trinken wir auf dem Friedhof Champagner.

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Apropos alte Säcke mit zerlöcherten Jeans: Muss man sich irgendwann eingestehen, dass man nicht mehr alles tragen kann?
Generell finde ich, alle dürfen alles tragen, solange sie es mit der richtigen Attitüde machen. Ich finde es peinlich, wenn sich 40-Jährige mit Attributen von Jugendkulturen verkleiden, mit Baggypants, Jogginghosen. Oder wenn sie Männerkleider anhaben—diese T-Shirts, die unters Knie gehen. Wenn ich solche Menschen auf der Straße sehe, will ich ihnen einen Plastikeimer und eine Schaufel in die Hand drücken. Ich schätze die alte Herrenschneidekunst, achte aber darauf, nicht auszusehen wie ein englischer Landlord. Ich trage Dandy-Outfits mit einem modernen Twist, zum Beispiel mit knalligen Socken. Hauptsache: Man traut sich was. Wenn ich junge Leute auf der Straße sehe, die gleichgeschaltet angezogen sind, denke ich: Das sind die beigen, uniformen Alten von morgen.

Soll ich meinen Körper ans Limit treiben, um den meisten Spaß aus dem Leben zu quetschen. Oder eher darauf aufpassen, damit ich länger etwas davon habe?
Es gehört dazu, Grenzen zu überschreiten. Aber es wäre traurig, wenn kein Lernprozess eintritt. Wenn du über die Stränge schlägt und dann drei Tage lang im Koma liegst, sollte es dir schon etwas beibringen. Entweder: Lass es sein, oder: Beim nächsten Mal weniger davon. Ich werde im Club oft gefragt "Hast du Drogen?", weil ich so einen weggetretenen Eindruck beim Tanzen mache. Ich sage dann: "Meine Drogen kommen aus dem Lautsprecher." Früher habe auch ich Aufputschmittel genommen, aber das war eher eine Pille, um am nächsten Tag wach zur Arbeit zu gehen. Beim Tanzen mag ich meine Erfahrungen ungefiltert. Und wenn man alt wird, kann man, was Alkohol und Drogen angeht, sowieso nicht mehr so auf den Putz hauen.

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Wie schafft man es mit 70, trotzdem so ein Partytier zu sein?
Ich kann nicht mehr die Nacht durchmachen, aber ich tanze trotzdem meine sieben, acht Stunden, manchmal sogar elf. Ich gehe dann einfach am Sonntagmorgen in den Club. Ich komme fit und gehe fit nach Hause. Manchmal reicht mir auch ein Quicky: drei, vier Stunden tanzen. Und wie gesagt: Zu viel Rauschmittel sind der Ausdauer beim Feiern abträglich. Das ist auch bei jungen Menschen nicht anders. Ein Schwips ist etwas Wunderbares, aber mein letzter Vollrausch ist über ein halbes Jahrhundert her. Da bin ich mit 18 morgens auf einer Grünanlage in Dortmund aufgewacht.

Was macht alt?
Zu meinen, alles besser zu wissen. Sich hinzustellen und der Jugend zu erzählen, wie das Leben läuft, bringt nichts. Jeder muss sein eigenes Leben leben. Es heißt ja auch: Das Leben lebt man vorwärts, aber begreifen tut man das nur rückblickend. Man kann also niemandem seine Fehler ersparen.

Was hält jung?
Dass man noch Sachen genießen kann, auch die kleinen. Ich freue mich über jeden Kaffee, den ich mir im Café leisten kann. Über jeden Sonnenstrahl, der durch meine Wohnung wandert. Auch Wissendurst ist ein gutes Mittel gegen das Altern. Aber es ist auch wichtig, mit dem Alleinsein klar zu kommen. 2011 bin ich für zwei Jahre in ein Haus am See nach Mecklenburg-Vorpommern gezogen, nur mit meinem Fahrrad. Es gab keine Menschen da und auch keinen Fernseher. Die nächste Haltestelle war sechs Kilometer entfernt, und selbst da hielt der Bus nur mittwochs. Manchmal habe ich eine Woche lang mit niemandem gesprochen. Ich saß da wie ein Kind und staunte über den mecklenburgischen Himmel und die Rapsfelder. Es war so schön, dass es mir manchmal Tränen in die Augen trieb.

Allein sein zu können, ist super. Aber wie schafft man es, nicht einsam zu sterben?
Spätestens mit 30 oder 40 sollte man Menschen gefunden haben, die einen stützen und durch das Leben begleiten. Aber das muss nicht unbedingt ein romantischer Partner sein. Ich finde, die lebenslange Liebe wird zu sehr glorifiziert. Der Zweisamkeit wird mit so viel Bedeutung aufgeladen, das ist zum Scheitern verurteilt. Es ist wichtig, autonom zu bleiben. Der andere Mensch soll nicht der Lückenfüller sein, sondern die Süße im Leben. Und man darf seine Freunde auf keinen Fall vernachlässigen. Auf Freundschaften lasten nicht so viele Erwartungen wie auf Partnerschaften. Deswegen sind sie auch in einer gewissen Weise stabiler.

Also sind Freunde wichtiger als Lebenspartner?
Meine Freunde sind meine Lebenspartner! Sie sind seit 30 Jahren für mich da. Ich kann ihnen meinen Kopf auf die Schuler legen, ich kann ihnen meine Verzweiflung zeigen. Sie kennen mich und meine Abgründe und lieben mich trotzdem. Und mit dem Sex … Da wird punktuell nachgeholfen. Ich glaube, in meinem Alter haben Singles sogar mehr Spaß im Bett als die Menschen, die seit 50 Jahren zusammen sind.