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Popkultur

Deutschland ist einfach zu langweilig, um gute Serien zu produzieren


Wir haben uns mit Dr. Daniel Stein unterhalten. Der ist Leiter einer Serien-Forschungsgruppe und muss es wissen.

Foto: Leslie Duss | Flickr | CC BY-ND 2.0

Egal ob Mad Men, The Walking Dead, Hannibal, Sherlock oder House of Cards: Die englischsprachige Serienlandschaft ist so breit gefächert wie faszinierend. Mittlerweile hat es sich auch in Deutschland eingebürgert, diese Formate möglichst zeitnah und im Originalton zu konsumieren—natürlich über das Internet. Manchmal fragt man sich, ob es überhaupt noch einen Grund gibt, den Fernseher anzuschalten. Ein Anreiz sind deutsche Serienformate nur in Ausnahmen. Zwar verschwindet endlich die bräsige Schmonzetten-Soap Verbotene Liebe von der Bildfläche, wirkliche Innovation im Fernsehprogramm scheint allerdings auch in den kommenden Jahren nicht absehbar. Warum kann es nicht auch hierzulande gute, interessante Formate geben und was macht Serien wie Sopranos oder Breaking Bad eigentlich so gut? Wir haben uns mit Dr. Daniel Stein unterhalten, der im Rahmen des Forschungsprojekts „Ästhetik und Praxis populärer Serialität” an der Freien Universität Berlin genau solchen Fragen nachgeht. Seine Analyse des deutschen TV-Potentials war gelinde gesagt ernüchternd.

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VICE: Was genau macht Ihre Forschungsgruppe?
Stein: In dem Projekt geht es um das Phänomen des Erzählens in Serien in der Populärkultur. Das bezieht sich nicht nur auf Serien, sondern auch auf Comics, Science-Fiction-Romanhefte oder Film-Serials. Wobei darunter auch Prequels, Sequels oder Reboots fallen. Wir stellen uns die Frage, warum das Erzählen in Serie so populär ist. Das gibt es schon seit dem 19. Jahrhundert, ist durch das Internet, Globalisierung und Technologien wie DVDs aber richtiggehend explodiert.

Im Vorfeld wurden drei klare Schwerpunkte formuliert. Wir wollen uns die Narration angucken, also: Wie erzählen Serien Geschichten? Wie funktioniert das? Serien erzählen ganz anders als ein abgeschlossener Film oder ein Roman. Alleine schon deshalb, weil Serien ja immer noch laufen, während schon Leute zuschauen, und es da ein ganz anderes Feedback gibt. Der zweite Punkt ist die Geschichte an sich. Batman- und Superman-Comics gibt es beispielsweise seit Ende der 30er Jahre. Da ist es natürlich interessant zu sehen, wie 70, 80 Jahre erzählt werden. Evolution haben wir diesen Punkt genannt. Das Dritte wäre Distinktion: Wie sich Serien in der Populärkultur von der sogenannten Hochkultur und anderen Bildungsbereichen abgrenzen.

Gibt es klare Unterschiede dahingehend, wie eine US-Serie und eine deutsche Serie aufgebaut sind?
Ja, es gibt Unterschiede. Wobei die Deutschen natürlich auch sehr stark nach Amerika gucken. Ein Unterschied ist vielleicht, dass in Deutschland andere Serientypen oder Serienformate funktionieren. Familienserien, Krankenhausserien und Krimi-Reihen wie Tatort oder Polizeiruf 110 zum Beispiel. Die Family-Soaps sind narrativ nicht besonders komplex—natürlich gibt es da viele Figuren und Konflikte—aber es ist jetzt nicht so, dass man die Lindenstraße nicht weiter gucken kann, wenn man eine Folge verpasst hat. Das ist bei amerikanischen Sendungen ganz anders, deswegen nennt man sie in der Forschung auch eher Serials. Da haben wir Geschichten wie Sopranos, The Wire, Breaking Bad oder Homeland, wo eine Geschichte immer weiter erzählt wird. Wir müssen in der dritten Staffel noch wissen, was in der ersten passiert ist, um die Charaktere, Hinweise und Anspielungen zu verstehen. Das versteht man dann unter narrativ komplexem Erzählen. Dass man konzentriert gucken und sehr viel Zeit mit der Serie verbringen muss.

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Ich finde es ganz interessant, dass die wirklich hochklassigen Serien aus den USA kommen, die ja auch als Ursprungsland von Reality-Shows und Talkshows gelten, in denen sich Leute gegenseitig anschreien. Während der eher trocken und ernst wirkende Deutsche dann anscheinend doch eher der Lindenstraße-Typ ist.
Die USA sind einfach ein riesiges Land, in dem sich eine relativ komplexe Fernsehlandschaft herauskristallisiert hat. Da gab es schon in den 80ern Kabelfernsehen und Sender wie HBO haben sich bewusst dazu entschieden, kein „Broadcasting”—also ein Programm für möglichst viele—, sondern „Narrow Casting” zu machen und damit Nischen anzusprechen. Die wollen damit ein eher gehobenes Publikum ansprechen, das Serien abonniert, und somit ein ganz anderes Verkaufsmodell aufziehen. Bei den jungen Leuten in Deutschland sind die US-Serien sehr beliebt und deswegen ist auch der Blick nach Amerika sehr stark, aber die deutsche Serienproduktion kommt da einfach nicht hinterher.

Ist das wirklich ein Problem der Populationszahl? Dass es in Deutschland vielleicht rein prozentual genau so viele Leute gibt, die sich für Formate wie True Detective interessieren, die Anzahl rein zahlenmäßig aber viel geringer ist als in Amerika und sich somit eine Produktion gar nicht lohnt?
Ich glaube schon, dass das ein Aspekt ist. In Amerika expandiert Fernsehen einfach sehr und wird auch ins Ausland verkauft—die amerikanische Populärkultur funktioniert auch in Europa und Asien. Ich weiß gar nicht, ob jetzt beispielsweise Lindenstraße ins Ausland verkauft wurde, aber da fällt für Deutschland natürlich auch ein riesiger Zweitmarkt weg. Es geht aber auch gar nicht nur um Zuschauerzahlen. Wenn man sich beispielsweise mal The Wire anguckt: Das war gar nicht so populär, als es tatsächlich gelaufen ist. Sie galt als eine sehr komplexe, anspruchsvolle Serie, die es HBO erlaubt hat, sich inhaltlich von anderen Sendern abzugrenzen. Da ist dann eher die Zweitverwertung, über beispielsweise DVDs, riesig gelaufen. Schlussendlich hat das alles immer was mit Geld zu tun.

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Danke für nichts, ARD.

Die Leute, die sich in Deutschland für US-Serien interessieren, warten in den meisten Fällen ja nicht, bis die synchronisiert im deutschen Fernsehen laufen und gucken das lieber im Original per Stream. Ist Deutschland dementsprechend wirklich ein Markt für solche Formate aus Amerika?
Das würde ich genau so beschreiben. Das Problem ist: Wenn die Serien dann in Deutschland laufen, sind sie zum einen übersetzt und nicht im Original, was schon mal irritierend ist. Und zusätzlich laufen sie auch noch später. Das Schöne an Serien, wenn sie gerade laufen, ist ja, dass man an der Diskussion teilnehmen kann. Wenn in Amerika eine neue Staffel von Homeland anläuft, fiebert das ganze Land mit. Man kann im Internet Kritiken lesen und mitdiskutieren. Das kann ich natürlich nicht machen, wenn es erst drei Jahre später in Deutschland läuft. Wenn viele Leute es im Internet schauen, trägt das aber trotzdem zur Verbreitung der Serie bei, auch wenn das nicht direkt Geld in die Taschen der Sender spült. Es gibt natürlich den DVD-Markt und der läuft hier auch, oder Anbieter wie Watchever und Netflix.

Ist es vielleicht auch ein Problem in Deutschland, dass man einfach nicht diese Bandbreite an charismatischen Schauspielern hat, die das Gesicht einer Serie werden können?
Das kann schon sein. Wenn Kevin Spacey beispielsweise in House of Cards diese markante Rolle spielt, dann bringt das schon einen gewissen Bekanntheitsgrad. Das ist auch ein gutes Beispiel dafür, dass die innovativen Dinge gar nicht mehr unbedingt im Kino, sondern im Fernsehen passieren. Hierzulande hat man vielleicht auch immer noch die Unterscheidung zwischen Filmen als „gehobenem Fach“ und Serien, die man nur als Unterhaltung wahrnimmt. Es wäre auf jeden Fall wichtig, dass man, wenn man eine komplexe Serie plant, Schauspieler gewinnt, die schon einen gewissen Status haben.

Ich war kürzlich bei einem Film-Screening und da hat der Regisseur etwas ganz Interessantes gesagt: Dass die deutsche Filmlandschaft aufgespalten ist zwischen flachen Mainstream-Komödien und sehr sperrigem Arthouse und es diese gehobene Mainstream-Unterhaltung eigentlich gar nicht gibt.
Das leuchtet mir in jedem Fall ein. In Amerika funktioniert Mainstream, der nicht flach und banal ist, ziemlich gut. Two and a Half Man ist da ein gutes Beispiel. Die Geschichte von dem Playboy und dem Loser ist vielleicht relativ simpel, aber sie schaffen es trotzdem, das über zehn Staffeln hinweg zu erzählen und immer wieder eine humoristische Wendung reinzubringen. Die Amerikaner sind bei solchen Formaten, mit denen sie unglaublich viele Menschen erreichen können, ziemlich raffiniert und erfahren. Und hier fehlt immer noch diese Unterscheidung zwischen: Was ist Bildungskultur? Was ist anspruchsvoll und was ist nur Unterhaltung? Dass man eben Mainstream macht, der nicht total schwach ist. Wenn wir das auf beispielsweise die Comedy beziehen: Warum sollte es zwischen Mario Barth und Kabarett nichts geben?

Ist es dann ihrer Meinung nach ein Schritt in die richtige Richtung, wenn man ein deutsches Breaking Bad mit Bastian Pastewka in der Rolle eines Geldfälschers macht?
Das ist eine gute Frage. Es gibt da ja schon mehrere Versuche—nicht bei Fernsehserien, aber beispielsweise bei Sachen wie der heute show, die sich an der Daily Show mit Jon Stewart orientiert. Die kopiert das nicht, man hat das Format aber übernommen und macht das ziemlich erfolgreich und ziemlich gut. Bei Serien ist das Problem, dass Leute das vielleicht nicht kapieren, wenn man die Sachen einfach nur kopiert. Man müsste eher versuchen, auf eine Art innovativ zu sein, die das Publikum nicht überfordert. Wenn man sich anguckt, wie Serien erzählen, geht man immer davon aus, dass das eine Mischung aus Wiederholung und Variation ist. Ich habe beispielsweise eine Person oder eine Sache, die immer wieder auftaucht, und da muss dann variiert werden. In den Teil kommt die Innovation dann durch neue Kombinationen und Abwandlungen rein. Crystal Meth ist auch hier in den Medien, aber Breaking Bad funktioniert in Deutschland vor allem, weil man auch hier Lust hat, amerikanische Serien zu gucken. Das sind andere Figuren, das sind andere Schauplätze—wir haben ja hier auch gar keine Wüste oder so. Es wäre keine gute Idee, Trends hinterher zu laufen. Stattdessen sollte man versuchen, etwas eigenes zu machen, aber dazu müsste man risikobereit sein. Selbst in der Forschung klagen die Leute darüber, dass man in Deutschland relativ innovationsscheu ist. ARD und ZDF funktionieren ganz gut mit ihrem Bildungsauftrag und dem älteren Publikum. Der Tatort läuft ja auch immer ganz gut und deswegen ist der Druck, innovativ zu sein, nicht so riesig groß. In Amerika ist mit dem knallharten Konkurrenzgeschäft zwischen den Sendern der Innovationsdruck einfach größer.

Ist Deutschland zu limitiert, zu langweilig, um wirklich spannende Formate produzieren zu können?
Ja, ich glaube schon, dass das eine Rolle spielt. Wenn sie sich beispielsweise im amerikanischen Süden eine Sumpflandschaft und irgendeine bestimmte Musik vorstellen, haben sie sofort Bilder im Kopf. Regionen, die mit einer besonderen Bedeutung aufgeladen sind und die man aus dem Kino kennt, gibt es in Deutschland halt ziemlich wenig. Es gibt Tatort-Folgen, die dann versuchen, auf dem Land das Verrückte von so einer Dorfbevölkerung abzubilden. Das ist dann meistens aber nur spannend, weil es Anklänge aus dem Amerikanischen hat. Man kann den amerikanischen Highway ja auch nicht mit der deutschen Autobahn vergleichen. Deutsche Produktionen haben schon immer einen gewissen Realismus-Anspruch, aber man ist dann eben doch nur in Köln und nicht in Baltimore.

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