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'Beef Over Germany' – Das erste Deutschrap-Handyspiel ist eine einzige Frechheit

Oder: Wie man in fünf Schritten die komplette deutsche Rap-Community gegen sich aufbringt.
Screenshot: YouTube

Am Mittwoch ist mit Beef Over Germany eine Art Street Fighter für Deutschrapfans erschienen, oder, um es mit den Worten des Entwicklers zu sagen: „das beste Kampfspiel für Tablet und Smartphone." Das klingt jetzt natürlich erst mal ziemlich großkotzig, aber ist es nicht genau dieser grundsympathische Größenwahn zwischen Kai Diekmann und Tony Montana, den wir an der deutschen HipHop-Szene so sehr lieben? Die größten Stars der Rapublik (haha!) sollten sich in allerschönster Beat-em-up-Manier gegenseitig auf die Fresse hauen, und damit das Ganze auch wirklich authentisch und kredibil ist, haben die beteiligten Musiker ihre Catchphrases dann auch noch direkt selbst eingesprochen.

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Da ich zu gleichen Teilen ein großer Fan von Rap, Videospielen und körperlicher Gewalt bin, konnte ich mir absolut nichts Schöneres vorstellen. Ich brauchte dieses Spiel. Als er dann kam, der 15. April, der große Tag, verwandelten sich die großen Erwartungen der Fans (und mir) innerhalb kürzester Zeit in bodenloses Entsetzen. Ganz so, als handle es sich hier gar nicht um den Launch eines mit Spannung erwarteten Handyspiels, sondern um ein Theaterstück mit dem Titel „Wie du es schaffst, die deutsche Rap-Community gegen dich aufzubringen". Ein Drama in fünf Akten quasi. Ich versuche mich mal an einer Rekapitulation.

Schritt 1: Habe eine gute Idee

„Was soll das sein? Gymnastik?" ist außerdem einer dieser Sätze, bei denen es unentschuldbar ist, dass sie noch nie in einem Martial-Arts-Film gefallen sind.

Ich kann es nicht oft genug sagen: Ein Straßenkredibilitäts-Tekken mit Schwesta Ewa, Haftbefehl, Kollegah und wer sonst noch so die raptechnische Badassness mit der Muttermilch aufgesogen hat? Awesome! Lasst mich euch mein Geld ins Gesicht werfen, ich möchte das! So ging es nicht nur mir, sondern auch jeder Menge anderer gamingaffiner Deutschrap-Fans da draußen, als das Spiel gegen Ende des vergangenen Jahres angekündigt wurde. Bisher konnte man sich bei Spielen wie Def Jam: Fight for NY nur mit US-amerikanischen Rappern gegenseitig auf die Fresse hauen. Eigentlich ist es sowieso absurd, dass eine deutsche Variante bei all den Social-Media-Drohungen und aufgezeichneten Telefonaten zwischen den Akteuren der Szene so lange auf sich warten ließ.

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Auch wenn wir nicht mehr wussten als das, was die Macher vage über ihren Facebook-Account verlauten ließen: Unsere Körper waren in jedem Fall bereit für die ganz große Pixel-Prügelei, auch wenn die ganz aufschlussreichen Details zum Spiel selbst noch so ein bisschen auf sich warten ließen.

Schritt 2: Sorge für ordentlich Hype

Die Idee war bekannt, die ersten Reaktionen überaus positiv. Jetzt musste das Ganze nur noch mit Leben gefüllt werden. Das Entwicklerteam schien sich irgendwann einmal darauf verständigt zu haben, dass man den Promo-Fokus weniger auf das Spiel selbst, sondern mehr auf die beteiligten Rap-Größen legen wollte. Deswegen zeigt das erste Video auf dem offiziellen YouTube-Kanal wahrscheinlich auch sehr viel von Fard in einem Auto und nicht das Tablet, auf dem gerade die „Beta-Version" des Spiels laufen soll. Nur einen Monat später zog man die Marketing-Zügel dann ordentlich an und veröffentlichte einen weiteren Teaser—dieses Mal allerdings mit einem ziemlich nachdenklichen Kollegah, dem offensichtlich niemand gesagt hatte, dass man zu einem Faustkampf keine Schusswaffen mitbringt. Je näher der angepeilte Release-Termin Ende Dezember rückte, umso mehr „Teaser" gab es dann auch mit den spielbaren Rappern, alles ebenso glossy wie gefährlich in düsteren Hinterhöfen abgedreht.

Klar, irgendwie war es ein bisschen verdächtig, dass keine Szenen aus dem Spiel selbst gezeigt wurden. Andererseits: Wie schwer kann es sein, ein einfaches Prügelspiel zu programmieren? Und würde dieCreme de la Creme der deutschen Straßenrap-Szene wirklich einem Produkt Gesicht und Namen leihen, das sowohl vom Gameplay als auch dem allgemeinen Look her so schlecht ist, dass man es in der heißen Promophase unter keinen Umständen zeigen will? Wohl kaum. Mit sehr viel gutem Willen ließ sich das Ganze einfach als Versuch interpretieren, die Spannung möglichst hoch zu halten.

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Schritt 3: Lasse die Leute im Unklaren darüber, wann das Spiel erscheint

Screenshot: Facebook

Eigentlich sollte Beef Over Germany als eine Art virtuelles Weihnachtsgeschenk am 24. Dezember 2014 veröffentlicht werden. Wie das aber oft so ist mit ambitionierten Projekten von Leuten, die in der jeweiligen Branche vielleicht nicht unbedingt zu Hause sind, musste die Veröffentlichung des Titels überraschend verschoben werden. Dabei hatten die Macher noch eine Woche vorher verkündet, dass das Spiel „zu 99,5 Prozent" zum geplanten Termin veröffentlicht werden würde. Was ist passiert in den sieben Tagen zwischen Ankündigung und Verschiebung? Ist das Tablet mit der einzig funktionierenden Endversion runtergefallen? Wollte Kollegah eine andere Waffe oder hatte Eko Fresh plötzlich bedenken, dass die Fans das Game nur spielen würden, um ihm virtuell mal so richtig auf die Fresse zu hauen? Wir wissen es nicht. Fakt ist: Das Spiel kam nicht an Weihnachten.

Professionell, wie man es aus der Szene nun mal gewohnt ist, kam die Ankündigung über die überraschende Veröffentlichungsverschiebung über Facebook und warf mehr Fragen auf, als sie beantwortete. „Ihr wollt ein krasses Game ? Okaaaay!!! #Frühjahr2015" posteten die Seitenbetreiber mehr oder weniger aus dem Nichts. Aber warum sich erklären oder gar entschuldigen, wenn man Nordi-Urgestein Azad dafür bezahlen kann, in die Kamera zu sagen, dass das alles nur passiert, damit das Spiel „noch geiler" wird?

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Screenshot: Facebook

Wenn 45XXX aus der immer lauter werdenden Empörung der Deutschrap-Fans etwas gelernt hat, dann war es die Tatsache, ab dem Dezember-Debakel einfach gar keine konkreten Daten (oder Zahlen im Allgemeinen) zu nennen. Mitte Januar ließ man verlauten, dass es „nicht mehr lange" dauern würde, schließlich bräuchte „alles was perfekt werden soll" seine Zeit, nach mehreren weiteren Promovideos und geteilten Posts über die involvierten Musiker, kam Ende März dann noch mal die Bestätigung: „Wir starten in den nächsten Tagen mehrere gewinn Aktionen und dann ist es soweit für den Beef!!!"

Beef Over Germany ist am 15. April 2015 erschienen. Vier Monate nach dem 99,5 prozentigen Releasetermin. Aber war es denn nun das perfekte, krasse Game, für das wir monatelang vertröstet wurden?

Schritt 4: Liefere ein Produkt ab, das nichts von dem hält, was es verspricht

Screenshot: Facebook*

Nein—zumindest wenn man dem Gros der Rezensionen im Google Play Store und auf Facebook Glauben schenkt. Probleme beim Spielstart, heißlaufende Handys, rucklige Steuerung, keinerlei Information darüber, durch welche Tastenkombination man spezielle Moves aktivieren kann, verzögerte Tonausgabe und eine fehlgeleitete KI, die den Computergegner zum ungefährlichen Sandsack machen, klingt ziemlich genau nach der Art von Spiel, das man sich im App Store runterlädt, weil es umsonst ist und irgendwie gut klang, nach spätestens zehn Minuten aber auch schon wieder deinstalliert.

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Technische Probleme zum Start können selbst bei den größten Entwicklern und Gaming-Franchises auftreten (Hust, Assassin's Creed Unity, hust) und werden in aller Regel in den darauffolgenden Wochen durch Patches und Updates behoben. Ungleich fragwürdiger ist es allerdings, wenn angekündigte Features im Spiel komplett fehlen. Nehmen wir beispielsweise den vielversprechend klingenden Story-Modus. „Im Karriere-Modus liefert ihr euch den Fight for the Mic und kämpft so um die Rap-Hoheit über Deutschland" heißt es nach wie vor auf der offiziellen Website von Beef Over Germany. Nur: Im finalen Spiel gibt es lediglich den Arcade-Modus, der es ermöglicht, mit einem Rapper seiner Wahl gegen seinen Wunschgegner anzutreten. Ein Kampf, das war's.

„Als spielbare Charaktere sind u.a. Haftbefehl, Kollegah, Fard, Massiv, Schwesta Ewa, Xatar, Eko Fresh und DCVDNS vorhanden" wird ebenfalls verlautbart—besonders interessant ist hierbei das „u.a.". Die aufgezählten Musiker sind bis dato nämlich auch die einzig spielbaren Charaktere. Was mit Künstlern wie Azad, Summer Cem oder Farid Bang ist, die teils offen angekündigt hatten, ebenfalls beim Spiel dabei zu sein, oder deren Partizipation über die Facebook-Seite des Spiels zumindest suggeriert wurde, bleibt fragwürdig. Wird das Game nach und nach mit Updates erweitert? Und weil sich die Frage gerade nochmals aufdrängt: Was genau wurde am Spiel optimiert, nachdem es verschoben wurde? Was bisher an Gameplay-Material einzusehen ist (und von den Leuten, die es schon gespielt haben, kommuniziert wurde), erinnert verdächtig an die Beta-Version, die Fard im bereits erwähnten Promovideo gezockt hat. Vor fünf Monaten.

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(Man möge uns verzeihen, dass wir uns hier vor allem auf Nutzerreviews beziehen und uns bisher noch keine eigene Meinung zur tatsächlichen Spielerfahrung bilden konnten. Auch am zweiten Tag nach Release ist das Spiel allerdings nicht im App Store erhältlich und das große Glück, eines der signierten Android-Tablets zu gewinnen, hatten wir leider auch nicht.)

Schritt 5: Verlange absurd viel Geld dafür

Screenshot: Facebook*

Immerhin ist das Ganze umsonst, richtig? Die Praktik, kostenlose Games zu launchen, die über Micro-Transaktionen im weiteren Spielverlauf Profit generieren, funktioniert schließlich bei nahezu jedem größeren Mobile Game. Nope. Nope, nope, nope, schon wieder falsch. Ganze 6,99 Euro möchten die Entwickler von uns. Für ein Spiel mit einem einzigen Spielmodus, offensichtlichen technischen Problemen, unterirdischer grafischer Umsetzung und … Haben wir schon erwähnt, wie lange die Spieler darüber im Unklaren gelassen wurden, wann und in welcher Form es überhaupt erscheint? Klar ist es teuer, wenn man Dutzende Promovideos mit Deutschraps Straßen-Elite dreht. Sicherlich ist es nicht billig, die größten Namen ebenjener Szene Catchphrases einsprechen zu lassen und die Entwicklung eines Spiels an sich kostet ja auch Geld.

Screenshot: Facebook*

Aber, und das kann man nicht oft genug sagen: Wenn ein Game offensichtlich mehr Image-Werbeplattform für Samsung-Tablets (Verlosung, Auftauchen in jedem zweiten YouTube-Video), Muskelaufbau-Proteine und die Musiker als solche ist—warum zur Hölle muss die größtenteils ziemlich junge Zielgruppe dann dermaßen zur Kasse gebeten werden? Für denselben Preis bekommt man im Steam-Sale mehrfach ausgezeichnete AAA-Titel. Selbst die Mobile-Adaption von GTA: San Andreas kostet nicht mehr als Beef Over Germany. Vielleicht ist es ja wirklich so, dass die jetzige Version des Spiels noch nicht das Ende der Fahnenstange ist. Vielleicht kommen sie noch irgendwann, die anderen angekündigten Kämpfer und Spielmodi. Ich bin mir allerdings zu 99,5 Prozent sicher, dass sich die Investition von sieben Euro in absehbarer Zeit nicht lohnen wird. Vielleicht nächstes Frühjahr.

(*Nachtrag: Mittlerweile wurde besagter Facebook-Post samt dazugehöriger Kommentare gelöscht)

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