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Scheiß aufs Berghain

Diabloplaneten, Tulpen & Sexabenteuer auf dem Klo: Das war die deutsche Floristenmeisterschaft!

Scheiß aufs Berghain: Auf den Floristenmeisterschaften war der Alkohol umsonst, die Deko geschmackvoll, und auf dem Klo wurde auch noch Analsex angeboten.

Wüsstet ihr, wie ihr die Revolution der Zukunft, die globale Erderwärmung und das Web 3.0 in einem einzigen geschmackvollen Blumen-Arrangement darstellen würdet? Wenn ja, dann seid ihr wahrscheinlich Floristen. Genau das war eine von insgesamt fünf Aufgaben, die das Komitee der diesjährigen Floristenmeisterschaften in Berlin den Kandidaten stellte. Meine erste Vermutung war, dass die Damen und Herren vom Floristenfachverband zu viele Hortensien rauchten, als diese Aufgabenstellung ersonnen wurde; vielleicht aber besaßen sie schlichtweg mehr Vertrauen in die Fähigkeiten ihrer Kandidaten—jeder von ihnen bereits Bester auf Landesebene.

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Und tatsächlich, mit Blumensträußen, wie du sie deiner Mama zum Geburtstag schenkst und die das Tagesgeschäft eines Floristen bilden, hatten die Konstruktionen hier bei den Meisterschaften nicht mehr viel tun. Lena Meyer aus Berlin hat ein halbes Auspuffrohr in ihr ,Bouquet' verwurstet, Marc Müller aus Hamburg einen ganzen iMac (Modell G3)—darüber schwebten aufgespießte Puppenköpfe.

Mein ästhetisches Highlight war eine weitere Arbeit von Marc, mit der er uns einen Ausblick in die bevorstehende Zukunft geben wollte. Freunde, die sieht nicht rosig aus. Mutter Erde wird elendig untergehen, es herrscht Gewalt, Blut, blankes Entsetzen. Glücklicherweise wird die Menschheit in der Lage sein, über die Sonne hinweg auf einen ,Diabloplaneten' zu flüchten, den sie hoffentlich nicht genauso niedermacht wie den alten.

Nachdem ich mir auch die Arbeiten der anderen Teilnehmer angeschaut habe und mit einigen von ihnen sprach, wurde mir allmählich klar, was ich schon wusste, worüber ich aber nie nachdachte: ,Florist' ist mehr als bloß ein Blumenbinder oder -verkäufer, es ist ein echtes Handwerk, und ja, in den besten Fällen sogar Kunst.

Wie fast alle Teilnehmer fand auch Victor Breuer es schade, dass sein Berufsstand in der öffentlichen Wahrnehmung nicht wirklich angesehen ist. Und dabei hat dieser Beruf durchaus seine Vorzüge—wenn auch leider eine offizielle Lizenz zum Hanf-Anbau nicht dazugehört. „Du kannst unheimlich kreativ sein," schwärmte der 24-Jährige. Während wir miteinander sprachen, liefen hinter uns die Vorbereitungen für Victors nächstes Werk, eine Hommage an Christian Dior, inspiriert von den Haute-Couture-Shows Raf Simons. „Du bekommst auch Einladungen auf Partys, nur weil du die Blumen dort gemacht hast; und du gelangst teilweise an Leute ziemlich nah heran, die in der Öffentlichkeit stehen, indem du in ihren Privathäusern die Dekos machst. Dann hat man Kunden, für die—was sehr skurril ist—Geld keine Rolle mehr spielt und was man da in manchen Fällen so zusammenhämmert! Es ist einfach so der Moment: Sie wissen, das Alles hält nur drei Tage und sie nehmen trotzdem Sachen für mehrere Tausend Euro mit. Wir hatten mal eine Osterdecko für eine Kundin, für ein Fischessen, das im zweistelligen tausender Bereich lag—was ziemlich gruselig war, weil alles nur für zehn eingeladene Gäste war."

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Pro Gast und Blumendeko mindestens einen Tausender, nette Geste. Der Wettbewerb an sich war straff organisiert. Die Kandidaten und ihre Assistenten mussten allein am Freitag in sechs Stunden drei Werke zusammenschustern. Keine großen Pausen, gerade genug Zeit dazwischen, um zu essen und aufs Klo zu gehen.

Meine Hoffnung lag auf dem zweiten Tag, beziehungsweise Abend. Am Samstag nämlich würde der Festabend stattfinden, alle sprachen davon, wie „geil!" das werden würde. Die Ausgangssituation klang verlockend: Arena Treptow, Essen und Drinks für lau, losgelöste Floristen plus besoffener Anhang—ich ließ mich nicht zweimal bitten. Das feinste Jackett ausgepackt, Hunger und vor allem Durst mitgebracht, stand ich am Samstagabend um Punkt 19:30 Uhr auf der Matte. Meine Hoffnung, später noch zwei Freunde reinzuschmuggeln, hat sich bereits am Eingang verabschiedet. Ich musste durch zwei Security-Posten durch, dann zum Kartenstand, dann erst war ich drin, wo noch mehr Securitys umherpatrouillieren. Fort Knox war ein Witz dagegen. Egal—ich war drin und was ich sah, machte zunächst Eindruck: Riesenbühne, Lichtershow, Moderator, Bedienungen, das volle Programm. Die Floristen klagten am Vortag darüber, dass sie nur ein kleiner Verband mit wenig Mitteln seien, aber wenn diese wenigen Mittel ein solches Happening ermöglichen, dann will ich ihre Mittel haben.

Als die Veranstaltung losging, wurde mir schlagartig ein großer Anfängerfehler bewusst: Ich war zu früh da. Ein weiteres Problem: Es war unmöglich, an die Leute ranzukommen. Sie saßen alle mit Freund, Freundin, Kind, Oma, Opa an ihren spezial für sie eingedeckten Tischen—im inneren Kreis sozusagen—, wohingegen die Leute von der Presse (also eigentlich nur ich und die internen Fotografen) wie Monde auf einer Umlaufbahn umkreisten. So konnte es nicht weitergehen. Ich beschloss, mich hinten an einen der Werbetische von den niederländischen Sponsoren zu setzen. Vorzug: Bar in Reichweite.

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Der Abend nahm also seinen Lauf, und ich fing an, mich in Stimmung zu trinken. Wenn die niederländischen Vertreter mal keinem verirrten Gast, der eigentlich nur die Toilette suchte, Prospekte ihrer neusten Palmblätter- und Moospflanzenkollektion in die Hände drückten, tranken sie Pils. Ich trank Cuba Libre. Unser Verhältnis war wie folgt: für jedes Pils, das sie tranken, trank ich drei Cuba Libre. Ich wusste, so ein Tempo kann kein Mensch durchhalten. Wenn ich also um 22:00 Uhr nicht nackt und bewusstlos von den Securitys weggetragen werden wollte, musste ich mein Tempo drosseln.

Salvo, einer der niederländischen Petunien-Playboys

Das tat ich dann auch. Ab 21:00 Uhr betrug unser Verhältnis nur noch 1:2. Aber immer noch war für den offiziellen Teil der Veranstaltung kein Ende in Sicht. Es kamen die üblichen Ansprachen, dann der Azubi-Cup, hohe Tiere der Floristikbranche wurden geehrt—u.a. auch Kurt Hornstein, Vorsitzender des FDF-Fachausschusses für Wirtschaft und Handel, der so ergriffen war, dass er seine Tränen nicht zurückhalten konnte (aller Spaß mal kurz beiseite: Das war wirklich ein sehr rührender Moment, danke Kurt).

Nichtsdestotrotz, die Bekanntgabe des Deutschen Floristenmeisters 2014 war einfach nicht abzusehen. Die Cuba Libre schlugen durch, ich war genervt und ging aufs Klo. Was ich nicht wusste: Dort erwartete mich das Highlight an dem Abend. Es war ein älterer Herr. Er lehnte mit der Stirn an der Wand über dem Pissoir und pisste ganz entspannt vor sich hin. Der Mann hatte Potential. Vielleicht würde er irgendetwas Interessantes zu erzählen haben. Ich stellte mich neben ihn, zielte meine Schüssel an und fragte: „Ne ziemlich träge Veranstaltung, oder?" Der Kollege schaute mich an, schüttelte ab und konterte mit einer Gegenfrage: „Du bist auch ein Langweiler, oder?" Recht hatte er, was für eine Eröffnung von mir. Meine Ehre stand auf dem Spiel, ich antwortete: „Nö."

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Er macht sich nicht mal die Mühe, die Hose zuzumachen, sondern schlurfte einfach vom Pis­soir zur Toilettenkabine rüber. Das Gesicht zum Klo, die Hände links und rechts an die Wände gelehnt, streckte er mir den halbnackten Arsch entgegen und fragte: „Kommst du?" Alles klar, kacken war es nicht, was der Typ wollte. Ich bedankte mich höflich für die Gelegenheit, lehnte ab, in dem Moment kam auch schon ein leicht irritierter Gast in die Toilette und die Sache hat sich ohnehin erledigt. Nach dem gemeinsamen Händewaschen gaben wir uns die Hand und jeder ging seines Weges.

Als ich wieder an meinen Platz kam, standen endlich die Finalisten auf der Bühne, doch bevor der Deutsche Meister verkündet wurde, haben die Veranstalter noch zwei Sonderpreise dazwischen geschoben—einer davon vom japanischen Floristenverband. Beide gewann der Baden-Württemberger Marcel Schulz, und spätestens als er den zweiten Preis überreicht bekam, konnte man in den Gesichtern der übrigen Kandidaten lesen, dass dieser verdammte Typ wohl nicht mehr zu stoppen sein würde. So war es dann auch. Er holte das Tripel und wird Deutschland aller Voraussicht nach bei der Floristenweltmeisterschaft ebenfalls hier in Berlin vertreten.

Viel wichtiger aber war: Das Ende des offiziellen Teiles war gekommen! Die Leute würden sich nun von ihren Tischen begeben und in Richtung Tanzfläche gehen. Vor lauer Vorfreude bestellte ich mir gleich zwei Cuba Libre—kostet ja nichts. Aber fast eine ganze Stunde später blieb die Tanzfläche immer noch leer. Die Band spielte sich die Finger blutig, teilweise machte sie Pause, während die Niederländer am Werbestand einen Spaß daran hatten, um die Wette Lieder zu raten.

Ich wusste, das Ding war durch hier. Um dennoch sicherzugehen, fragte ich eine der Barkeeperinnen, ob ihrer Erfahrung nach das Ganze doch noch eine unerwartete Wendung nehmen würde. „Nee, hier wird nichts Großartiges mehr passieren. Nicht wie damals bei der Vans Warp Tour oder dem SPD-Parteifest." SPD? Respekt. Doch noch bevor ich mehr darüber erfahren konnte, kam ein Security dazwischen und verbot mir, weiter mit der guten Frau zu sprechen.

Das war mein finales Zeichen zum Aufbruch. Es war kurz nach elf, in der Bar warteten meine Freunde, und später würden wir gemeinsam schauen, was die Berliner Nacht noch für uns bereithält.