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„Dich werde ich noch befriedigen“ – Ich wurde auf der IstanbulPride von Polizisten angegriffen

Die Politikerin Gönül Eğlence war dabei, als die LGBT-Parade von Polizisten und zivilen Schlägertrupps angegriffen wurde.
Foto: John Beck

In Istanbul gibt es schon seit Jahren eine Gay Pride Parade, die IstanbulPride. In den letzten Jahren war die Pride nie von den Behörden gestört worden. Sogar auf der Höhe der Gezi-Proteste, als die Pride selbst sich stark politisierte und eindeutig auf die Seite der Demonstranten stellte, ließ die Polizei sie unbehelligt über die Istiklal, die Haupteinkaufsstraße Istanbuls, ziehen.

Dieses Jahr jedoch wurde die Pride nicht nur kurz vor dem Start verboten, die schon eingetroffenen Teilnehmer wurden darauf sogar mit Tränengas, Wasserwerfern und Gummigeschossen angegriffen. Die Grünen-Politikerin Gönül Eğlence war dabei und hat uns diesen Augenzeugenbericht gegeben. Dabei hat sie vor allem eins bemerkt: Irgendjemand hatte offenbar versucht, Schlägertrupps in Zivil in die Pride einzuschleusen.

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Die Parade selbst wurde etwa eine halbe Stunde vor Beginn bereits verhindert. Hundertschaften und Wasserwerfer rückten an und sperrten den Weg auf die Istiklal. Hunderte Touristen waren bis dahin noch auf der berühmten Einkaufsstraße. Es gab im Übrigen auch keinerlei öffentliche Ankündigung eines Verbots oder dergleichen. Plötzlich standen sie da und ließen niemanden durch.

Als die Polizei dann vorrückte, machte sie die Durchsage, die Demonstration sei illegal und werde daher aufgelöst. Man habe genügend Zeit gegeben. Aber wie gesagt, die Demo hatte noch gar nicht angefangen.

Die Autorin. Foto: Privat

Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Parade waren in Seitenstraßen geflüchtet. So auch wir. Doch die Polizei gestattete keinerlei „Zusammenkunft". Die Organisatoren der Parade riefen durch Lautsprecher, man solle nicht mit der Polizei in Kontakt treten (also nicht provozieren), da die Verhandlungen noch weitergingen. So war es auch.

Wir waren auch in einer Seitenstraße, gerade erst hatte es die Durchsage zur Ruhe von Seiten der Demonstranten gegeben. Im nächsten Augenblick fiel ein Trupp Polizisten ein und schoss mit Plastikgeschossen in die Menge. Wir stellten uns an eine Wand, weil weglaufen nicht mehr möglich war.

Als sie weg waren, wollten wir uns von dort entfernen—doch dann kam der Tränengaseinsatz. Da wir ein derartiges Durchgreifen nicht erwartet hatten, waren wir auch nicht vorbereitet. Ich weiß nicht, was für aggressives Zeug da eingesetzt wird, aber es schnürte mir die Kehle zu. Wir liefen nur noch, so schnell wir konnten, bis wir uns in einen Hauseingang retten konnten.

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Foto: John Beck

Irgendwann erreichte uns die Nachricht, dass am Taksimplatz eine Pressekonferenz mit türkischen Abgeordneten stattfindet, also versuchten wir, dorthin zu gelangen. Dort durften die Parlamentarier dann pressewirksam die Barrikaden „durchbrechen", und es fand so etwas wie ein Demozug statt. Aktivisten hatten sich hinter die Parlamentarier geklemmt. In diesen Minuten auf der Istiklal bis runter zum Galatasaray-Gymnasium war die Stimmung völlig gelöst, und so wie wir sie eigentlich erwartet hatten—eine große Party.

Zeitgleich erreichte uns allerdings die Nachricht von Freunden, dass in den Seitenstraßen am Taksimplatz selbst nach wie vor Tränengas eingesetzt wurde und auch Wasserwerfer im Einsatz waren—dort, wo keine Presse war.


Unser Video von der Polizeigewalt bei der IstanbulPride:


Nach dem „Umzug" mit den Parlamentariern hatten die Aktivisten via Twitter verkündet, dass man sich am Tünelplatz [dem traditionellen Abschlussort der Pride] treffen würde, am Abend war noch die Abschlussparty dort geplant. In der Tat haben wir genau 10 Minuten lang die ausgelassenste Party mit der besten Stimmung, die ich je erlebt habe, mitmachen dürfen. Doch dann fingen die Leute an zu rennen und sie riefen, es kämen Wasserwerfer. Innerhalb von Sekunden war die kleine Straße leer gefegt. Als wir noch mal zurückgingen, um nachzusehen, stand der Wasserwerfer im Straßeneingang—er hatte nicht durchgepasst.

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Niemand war mehr in Partystimmung, also machten wir uns auf den Weg, etwas zu essen. Eine Mitreisende aus unserer Gruppe kam nach und erzählte, dass sie am Eingang der Straße zur Party, wo die Wasserwerfer standen, lauter Männer mit Bärten in kleinen Lieferwagen gesehen hatte.

Sie ist iranischstämmig und fühlte sich an zivile Trupps dort erinnert. Wir wollten es genauer wissen und gingen los, um nachzusehen. Mehrere weiße Sprinter mit getönten Scheiben standen auf dem Platz verteilt. Männer mit langen Bärten oder Schnäuzern—wie sie in der Türkei von Faschisten getragen werden—und mit Gebetskettchen in der Hand saßen zum Teil in den Wagen oder standen draußen. Sie sahen alle gleich aus. Keiner tanzte aus der Reihe und alle waren sehr gepflegt. Sie machten auf mich einen „uniformen" Eindruck.

Auf einmal sprangen Männer aus einem der Wagen und nahmen uns gewaltsam die Handys weg. Keine Namen, keine Erkennung, keine Erklärung. Nur grobes Verhalten und aggressive Sprache. Auf Anfrage zeigte einer seinen Dienstausweis mit Marke. Der andere erst, nachdem ich mehrmals darauf bestanden und schließlich gedroht hatte, bei der Botschaft anzurufen. Er fragte mich danach, ob ich nun „befriedigt" sei. Als ich ja sagte, rief er mir hinterher: „Dich werde ich noch befriedigen, keine Sorge."

Beim zweiten Mal sind wir selbst auf sie zugegangen—diesmal andere Männer, aber im gleichen Aufzug. Wir haben sie angesprochen und gefragt, ob sie zur Polizei gehören. Sie beantworteten die Fragen erst nicht, gaben sich dann aber als solche zu erkennen, als wir Fotos machen wollten. Sie erklärten uns, sie seien Polizisten in Zivil und einer zeigte den Ausweis mit Marke. Wie echt oder unecht diese waren, kann ich nicht beurteilen.

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Es muss sich dabei nicht um echte Beamte gehandelt haben. Aber, dass „normale" radikale Homophobe sich die Mühe machen, Polizeiausweise zu fälschen, glaube ich nicht. Auch die Organisation mit den abgedunkelten Fahrzeugen, die sie abholte, spricht wenig für einen Mob, der spontan ein paar Homosexuelle verprügeln will.

Insbesondere die Tatsache, dass sie sich ja offenbar gezielt zum Ort begeben hatten, wo die Abschlussparty stattfinden sollte, lässt mich vermuten, dass es sich um eine organisierte Aktion von staatlicher Seite handelt. Es war ein klar „polizeiliches" oder trainiertes Verhalten zu erkennen.

Alles in allem drängt sich mir der Verdacht auf—ob nun Beamte oder Rekrutierte—, dass es sich bei diesen Trupps um Leute handelt, die den Auftrag hatten, Chaos zu verbreiten. Das äußerliche Erscheinungsbild mit den Gebetskettchen und den Bärten ließen nicht auf normale Polizei in Zivil schließen, denn die hätten sich eher unauffällig gekleidet und verhalten. Das Gegenteil war ja der Fall.

Folgt Ismail auf Twitter: @ismail_kupeli