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Dickpics, Hass, Heiratsanträge: Das passiert, wenn du nackt im Netz landest

Nachdem ihre Stripnummer auf YouTube gestellt wurde, bekam Ursula Martinez eine Flut an Männeremails. Jetzt liest sie die skurrilsten auf der Bühne vor.

Ursula Martinez hat eigentlich kein Problem damit, öffentlich nackt zu sein. Seit über zwei Jahrzehnten steht die britische Kabarettistin auf der Bühne und führt Nummern auf, bei denen sie Striptease und Zaubertricks verbindet. Bei "Light My Fire" gehen ihr Tanga und ihre Nippelhüttchen in Flammen auf. Bei "Hanky Panky"(zu Deutsch: Hokuspokus) lässt sie wie ein Zauberer ein rotes Tuch verschwinden. Es taucht in immer anderen Kleidungsstücken wieder auf, die Ursula nach und nach auszieht, bis sie nackt auf der Bühne steht und das Tuch aus ihrer Vagina zieht.

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Wie gesagt: Diese Dame ist nicht schüchtern. Aber als jemand ihre Performance unerlaubt auf YouTube hochgeladen hatte und sie dann dort und auf anderen Plattformen viral ging, war Ursula überfordert. Von der Aufmerksamkeit und auch von den Tausenden E-Mails von Männern, die sie bekam. Jahrelang hat sie diese gefiltert und ungelesen gelassen. Inzwischen aber hat sie die Nachrichten doch geöffnet—und daraus ein ziemlich lustiges Stück gemacht. Mit uns spricht sie über einsame Kerle im Internet und darüber, warum es anders ist, auf der Bühne nackt zu sein als im Netz.

VICE: Nachdem deine Strip-Performance online geleakt worden war, schrieben dir unzählige Männer E-Mails. Was stand drin?
Ursula Martinez: Sehr viel verrückter Kram. Die Menschen haben mir Fotos ihrer Genitalien geschickt. Ein Typ in Minneapolis fragte, ob ich mit ihm Abendessen will. Natürlich nicht! Ich wohne in London, und selbst wenn ich in Minneapolis wäre: nein! Im Internet kann man recht einfach rausfinden, dass ich lesbisch bin. Es gab diese gewisse Arroganz, nichts über mich wissen zu wollen. Ein geschiedener 60-jähriger Amerikaner schrieb: "Ich will dich heiraten." Mach deine Hausaufgaben, wenn du wirklich an mir interessiert bist! Alles andere ist arrogant, faul, desillusionierend. Und traurig und einsam.

Unser Leben verlagert sich immer weiter ins Netz. Ist die Digitalisierung schuld daran, dass Menschen die Grenzen anderer weniger respektieren?Ähm, ja. Es ist aber keine Frage von Generationen, denn viele der Typen, die mir E-Mails schickten, waren in ihren 50ern oder 60ern. Vielleicht ist es eher eine Geschlechterfrage. Ich habe nur zwei E-Mails von Frauen gekriegt. Eine 40-jährige Lesbe aus Kalifornien schrieb: "Hey, ich bin auch lesbisch, mag Theater und hab mich gefragt, ob du vielleicht mal nach Kalifornien kommst." Auf eine gewisse Weise ist das nicht ganz so verrückt—die hat wenigstens etwas über mich recherchiert.

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Du bist bei deinen Performances oft nackt auf der Bühne. Was war anders daran, nackt im Internet zu sein?
Wenn die Liveshow zu Ende ist, existiert nichts mehr. Das Video von Hanky Panky ging vor zehn Jahren viral und ist immer noch da. In Internetjahren ist das eine Ewigkeit. Danach habe ich das Stück zwar weiter aufgeführt. Aber es fühlte sich so an, als besäße ich es nicht mehr, sondern die Öffentlichkeit. Jeder hat Zugang dazu und die Möglichkeit, es an bestimmten Stellen zu stoppen, es 100 Mal anzusehen und an Freunde zu verschicken.

Reagierten die Männer online anders als die Männer, die dir auf der Bühne zuguckten?
Das ist der Punkt: Ich habe offline fast gar keine Rückmeldung bekommen. Wenn ich nach der Show in der Bar Zuschauer traf, sagten sie höchstens: "Hey, ich fand deinen Auftritt total super!" Persönlich sagen die Leute nicht so leicht, wenn ihnen etwas nicht gefallen hat. Online las ich in einem Forum sowas wie "Die ist verdammt hässlich, sie hat gar keine Titten!". Mein Körper und meine Nase wurden diskutiert. Das habe ich im echten Leben nie erlebt.

Wie hast du dich nach dem Leak gefühlt?
Verletzlich. Ich war besessen davon, diese Foren und E-Mails zu lesen. Das war sehr destruktiv, sodass ich angefangen habe, die Mails rauszufiltern, die über meine Website kamen.

Warum hast du dich dazu entschieden, sie wieder auszugraben?
Ein paar Jahre später öffnete ich diese E-Mails und dachte: "Wow, das ist eine großartige Reflektion unserer zeitgenössischen Gesellschaft. Leute, die einsam in ihren Zimmern sitzen und sich auf diese virtuellen Fantasien einschießen." Ich hatte keine Angst mehr davor. Es ist eine Kombination aus der verstrichenen Zeit, und mir, die das Internet besser verstand. Dadurch, dass ich aus den E-Mails eine neue Show gemacht habe, habe ich Kraft bekommen. Es ist definitiv kein Rachestück. Da ist keine Angst drin. Ich hätte das Stück nicht machen können, wenn da Hass drin wäre. Ich bin dem Ganzen objektiv begegnet und habe auf eine gewisse Art den Besitz über meine Arbeit und meinen Körper zurückerobert.

Hatte der Leak deiner Karriere geschadet?
Nein, ich habe weitergemacht. Ich habe dadurch tatsächlich sogar viel Arbeit angeboten bekommen.

Wie gehst du heute mit Trollen um?
Auf meiner Facebook-Seite stehen hauptsächlich nette Sachen. Manchmal kriege ich aber aggressive Posts. Jemand schrieb über mich: "Sie ist so ekelhaft, Kugeln würden umkehren, wenn man sie auf dieses Ding schießt." Das ist eine großartige sprachliche Ökonomie, die mich massiv und mit wenigen Worten vernichtet. Solche Sachen lasse ich stehen. Das ist meine Rebellion und mein Weg, der Öffentlichkeit und mir selbst zu zeigen, dass mir das nichts ausmacht. Ich muss nicht nur das Gute zeigen. Das ist meine Art, Kontrolle zu behalten und keine Angst zu haben.

Du hast das Stück, in dem du die belästigenden E-Mails liest, schon an vielen Orten aufgeführt. Sind einige der Absender dort aufgekreuzt?
Ich glaube nicht [lacht]. Aber ein Typ hat eine Besprechung des Stücks gesehen und mir danach einen Brief geschrieben. Das war der Kerl, der mir damals ein Foto seines erigierten Penis geschickt hatte. Ich verwende das Bild in der Show. Er schrieb mir, dass es ihn stolz macht, dass sein Penis mit mir auf Tour ist.