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Menschen auf der Flucht

Die fünf besten Wege, illegal nach Europa einzureisen

Zwischen dir und deinem 5-Quadratmeter-Zimmer im Asylheim in Berlin-Hellersdorf liegen Hunderte Patrouillenboote, Hundestaffeln, Wärmekameras, Neonazis, Polizeipatrouillen und von Mafiosi bewachte Kilometer—und wenn du angekommen bist, ist es immer...

Zuerst einmal eine Warnung: Es ist wirklich alles andere als einfach. Europa will dich nicht haben. Die Europäer versuchen alles, ungebetene Gäste davon abzuhalten, auch nur einen Fuß in das gelobte Land zu setzen. Es bedarf viel Verzweiflung, um überhaupt daran zu denken, hierherkommen zu wollen. Falls du aber aus einem Land wie Somalia, Eritrea, Afghanistan oder eben Syrien kommst, einem Land also, in dem ein Menschenleben momentan sowieso keinen halben Hammel wert ist, dann kannst du es natürlich versuchen. Aber denk dran: Zwischen dir und deinem 5-Quadratmeter-Zimmer im Asylheim liegen Hunderte Patrouillenboote, Hundestaffeln, Wärmekameras, Neonazis, Polizeipatrouillen und von Mafiosi bewachte Kilometer—und wenn du angekommen bist, ist es immer noch scheiße. Seit 1988 bis heute sind geschätzte 19.000 Menschen auf diesem Weg umgekommen. Für alle, die es trotzdem versuchen wollen, haben wir mit Pro Asyl, Human Rights Watch und dem Bundesgrenzschutz gesprochen, um herauszufinden, wie man da am besten durchkommt.

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Methode Nummer 1: Mit dem Flugzeug

Zweifellos die bequemste und am häufigsten genutzte Methode, um nach Europa einzureisen. Falls du einen gültigen Pass, genügend Geld und irgendeinen halbwegs triftigen Einreisegrund besitzt, kannst du dir ein Touristenvisum besorgen und dann einfach nie wieder gehen (zum Beispiel, indem du dich vor Ort um Asyl bewirbst, aber dazu später mehr). Solltest du kein Visum bekommen, kannst du immer noch versuchen, dir einen gefälschten Pass inklusive gefälschtem Visum zu besorgen. Die allerschlechtesten bekommst du im Moment schon für zwischen 300 und 500 Euro, damit stehen deine Chancen aber natürlich nicht allzu gut. Wenn du etwas mehr Geld ausgeben kannst, solltest du dir echte, von Touristen geklaute Papiere zulegen. Für ein paar tausend Euro müsstest du in der Lage sein, dir einen von den begehrten deutschen, skandinavischen oder italienischen Ausweisen zuzulegen. Die absolute Mehrheit aller irregulären Einwanderer kommt mit dem Flugzeug bei uns an, tatsächlich handelt es sich bei den illegalen Grenzübertritten zu Wasser und zu Lande nur um eine vergleichsweise kleine Zahl. Was unsere Politiker aber nicht daran hindert, ständig zu behaupten, das ganze Mittelmeer sei voll mit dunkelhäutigen Hungerleidern, die unseren beschaulichen Kontinent zu überschwemmen drohen.

Methode Nummer 2: Durch Heirat

Die Scheinehe wird als die „goldene Karte der Einwanderung“ beschrieben. Eine sehr elegante Methode, aber auch hier hilft es ganz außerordentlich, wenn man es irgendwie geschafft hat, sich für eine kurze Zeit legal innerhalb der Grenzen Europas aufzuhalten, in der man schnell den Partner fürs Passamt findet. Am einfachsten geht das in Irland, wo man dann eine Lettin heiratet—man bekommt nur mit einer Frau aus dem europäischen Ausland volle fünf Jahre Aufenthalt, sonst nur ein Jahr. Außerdem kostet die Heirat mit einer Lettin mittlerweile nur noch 1000 Euro. Wenn man nicht nach Irland kommt, muss es eben Griechenland tun. Eine Heiratswillige  kostet zwischen 3000 und 7000 Euro. Diese Methode ist besonders bei georgischen Waffenschiebern beliebt, die sich ihre griechischen Bräute einfliegen lassen, um noch am nächsten Tag legal einreisen zu können. Man findet aber auch in Österreich hin und wieder Menschen, die einen einfach aus Nächstenliebe heiraten—und sich dann nach drei Jahren brav wieder scheiden lassen. Wenn du aber niemanden findest und sowieso kein Geld für irgendwelche Visa hast, dann bleiben dir jetzt nur noch die wirklich herausfordernden Wege.

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Foto von Ggia

Methode Nummer 3: Zu Fuß

2012 war das noch bei weitem die beliebteste Methode. Man traf sich in der Türkei, wo man dank sehr laxer Visabestimmungen eigentlich immer irgendwie reinkommt, und macht sich von da in der Nähe der Stadt Edirne auf den Weg über die Landesgrenze nach Griechenland. Leider haben die Griechen die einzige trockene Stelle letztes Jahr mit einem Stacheldrahtzaun verriegelt, so dass man jetzt durch den Fluss Evros waten muss. Eine professionelle Flussübersetzung von einem Schlepper deiner Wahl wird dich ungefähr 1000 Dollar (ungefähr 740 Euro) kosten. Das Allerwichtigste hierbei ist: Wenn die griechischen Polizisten dich drüben erwischen, werden sie sofort versuchen, dich zurück in die Türkei zu schicken. Mach das auf keinen Fall mit, sie haben kein Recht dazu! Stell dich dumm und behaupte, du wüsstest nicht, wo du herkommst. Dann bleibt ihnen nichts anderes übrig, als dich in ein Auffanglager zu stecken. Die griechischen Auffanglager sind leider als die beschissensten in ganz Europa bekannt, und ein funktionierendes Asylsystem hat Griechenland auch nicht. Du wirst wahrscheinlich einige Wochen dort herumhängen, dir mit sechs anderen Typen den Löffel teilen müssen und Müll essen, bevor sie dir ein Papier geben, auf dem dir sechs Wochen Zeit gegeben werden, dich wieder dahin zu verdrücken, wo du hergekommen bist. Das wirst du nicht tun. Stattdessen machst du dich schnurstracks auf die Suche nach dem nächsten Schlepper, der dich irgendwie weiter nach Norden bringen kann. Pass nur auf, dass du währenddessen nicht von den Nazis der Goldenen Morgenröte erstochen oder per Brandbombe ins Jenseits befördert wirst. Wenn du soweit bist, dann lies bei „Mit dem Auto“ weiter.

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Flüchtlinge vor Lampedusa

Methode Nummer 4: Mit dem Boot

Seit die Griechen ihre Grenzen immer dichter machen, greifen immer mehr Flüchtlinge auf diese Methode zurück, obwohl sie zweifellos die gefährlichste von allen darstellt. Wenn du dich aus der Türkei in Richtung der griechischen Inseln einschiffen willst, musst du damit rechnen, dass die griechische Küstenwache dein Boot entert, alle an Bord verprügelt und ausraubt, den Bordmotor wegnimmt und euch dann in der Ägäis treiben lässt.

Die Alternative, die für die meisten Afrikaner auch deutlich näher liegt, ist der Seeweg von der Nordküste Afrikas nach Süditalien, wobei die erste Station auf diesem Weg meistens die Insel Lampedusa ist.

Die wird durch circa 140 Kilometer besonders trügerisches Meer von der libyschen Küste getrennt. 31.000 Menschen haben es allein seit Anfang 2013 auf diesem Weg versucht. Bis du aber überhaupt in die Nähe eines Bootes kommst, musst du leider erst an den Fangkommandos der libyschen (oder algerischen oder marokkanischen) Polizei vorbei. Damit es nicht immer wieder zu Zwischenfällen wie dem neulich vor Lampedusa kommt, haben die europäischen Innenminister nämlich ihre ‚Partner‘ in den nordafrikanischen Ländern dazu gebracht, ihnen das Problem schon dort abzunehmen. In Nordafrika gibt es deshalb jetzt von der EU finanzierte Internierungslager, in denen perspektivlose Flüchtlinge aus dem ganzen Kontinent sich die Fliegen aus dem Gesicht wischen. Deswegen ist es besser, du suchst dir stattdessen einen Schleuser, der für mittlerweile weniger als 1000 Euro einen Platz auf seinem (überfülltem) Boot reserviert. Und dann geht das Abenteuer los.

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Ein Mitarbeiter von Frontext (Foto von rockcohen)

Spätestens auf dem Wasser wirst du es richtig mit Frontex zu tun bekommen. Die Agentur sammelt Informationen über und koordiniert Aktionen der nationalen Küstenwachen gegen Flüchtlingsboote. Falls sie euch zu früh erwischen, werden sie euch also von den Libyern abholen und wieder zurückschleppen lassen. Falls ihr aber schon in italienischem Hoheitsgebiet seid, werden die Italiener kommen und wahrscheinlich erstmal versuchen, euch so lange zu schikanieren, bis ihr von alleine umdreht (indem sie euch zum Beispiel all euren Proviant wegnehmen). Das verstößt zwar gegen eine Menge internationaler Normen, aber außer Frontex schaut ja keiner zu—und die fühlen sich nicht befugt, euch zu helfen. Es kann aber auch sein, dass sie euch einfach wegtreiben und verhungern lassen, weil sie sich gerade nicht mit der maltesischen Küstenwache einigen können, wer euch retten muss. Macht euch auch keine Hoffnung, wenn ihr Fischerboote seht: Sie werden euch nicht helfen, denn würden sie es tun, würden sie vom italienischen Staat direkt wegen Schleuserei angezeigt und mit heftigen Geldstrafen belegt werden. Aber immerhin: Sollte deine Leiche nach all den Strapazen doch noch auf italienischem Boden angespült werden, dann bekommst du zum Trost immerhin posthum die italienische Staatsbürgerschaft verliehen—nur ein toter Flüchtling ist ein guter Flüchtling.

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Falls ihr es aber wirklich weit geschafft habt und die Italiener wirklich keine Wahl mehr haben, dann werden sie euch in Lampedusa an Land ziehen, wo ihr in ein völlig überfülltes Erstaufnahmezentrum gepfercht werdet. Von hier werdet ihr entweder abgeschoben oder man nimmt eure Asylbewerbung entgegen. Die dritte Option besteht darin, dass die Beamten dir unter der Hand einen Wisch und 500 Euro geben, damit du dich nicht bei ihnen registrieren lässt, sondern weiter nach Norden ziehst. Das wäre der Jackpot—warum, wird weiter unten erklärt. Du bist auf jeden Fall bereit für die nächste Etappe!

Methode 5: Mit dem Auto

Egal, wie du aufs Festland gekommen bist, du musst ja noch weiter, wenn du nicht im krisengeschüttelten Südeuropa bleiben willst. Du könntest dich jetzt theoretisch auf eigene Faust mit Bus und Bahn auf den Weg machen, aber da die verschiedenen Grenzpolizeien trotz Schengen-Abkommen überall stichprobenartige Passkontrollen durchführen, ist das eine ziemlich riskante Methode. Was dagegen ganz gut funktioniert, ist, sich einfach bei der Mitfahrzentrale eine Mitfahrt rauszusuchen, dabei kann man auch immer interessante Leute kennenlernen. Wenn du aber nicht mit dem Internet umgehen und kein Wort Europäisch kannst, bist du wieder auf Schlepper angewiesen. Dabei solltest du dir von den Schauergeschichten in den Medien nicht unbedingt Angst machen lassen: Kein Schlepper hat was davon, wenn seine Kunden unterwegs sterben. Viele sollen sogar ganz nette Typen sein oder wollen nur ihren Nachbarn aus dem Heimatdorf weiterhelfen. Trotzdem kann es natürlich sein, dass du unbequem lange Strecken zwischen Melonenkisten oder in einem doppelten Boden verbringen musst. Mit etwas Glück kannst du das letzte Stück aber auch ganz gemütlich mit dem Taxi fahren, wenn du noch Geld am Mann hast.

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(Methode Nummer 6: Warten, bis Europa dich legal reinlässt)

Es gibt Leute, die glauben, man könne das auch irgendwie anders regeln, indem man Flüchtlingen in echter Not zum Beispiel einfach Sondervisa oder Green Cards ausstellt, so dass alle legal einreisen können. Aber: Vergiss es einfach. Europa hasst dich. Die allseits beliebte Innenministerin Mikl-Leitner behauptete im ZIB-Interview, dass die Schlepper die Verantwortung für die toten Flüchtlinge tragen würden, nicht die EU. Die Flüchtlingspolitik der EU sei schließlich vorbildlich. Viel mehr solle man also die Bedingungen in den Herkunftsländern verbessern, so dass da gar keiner mehr weg will. Da die EU-Innenminister aber noch keinen Plan vorgelegt haben, wie genau sie deine Schwester in Somalia vor den rostigen Macheten der Shabaab-Milizen beschützen wollen, würde ich nicht drauf zählen.

Das Asylbewerberheim im Zirndorf

Gut angekommen?

Wenn du alles richtig gemacht hast, solltest du mit deiner Familie jetzt irgendwo in Mitteleuropa blinzelnd an einer Autobahnraststätte stehen. Glückwunsch! Jetzt musst du nur noch zum nächsten Polizeirevier gehen und Asyl beantragen. Solltest du aber bereits in Spanien oder Italien Asyl beantragt haben, wird man dich nach einer Weile wieder dorthin schicken (das Ganze beruht auf einer enormen Erpressung, die Dublin II genannt wird und den Staaten am Mittelmeer die gesamte Verantwortung für Europas Flüchtlingsproblem aufbürdet, weil sie eben am Mittelmeer liegen). Nur nach Griechenland wird seit 2011 keiner mehr zurückgeschickt, weil es dort einfach zu scheiße ist. Falls du wirklich das erste Mal in Deutschland auf dem Radar aufgetaucht bist, dann hast du alles richtig gemacht.

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Dein Antrag wird über Monate bearbeitet werden, während du dir die Zeit mit Spaziergängen vertreiben kannst. Natürlich musst du aufpassen, dass du nicht irgendwelchen Nazis in die Hände läufst. Die sind nämlich überzeugt, dass die Tatsache, dass deine Mutter vor einem Monat von einer Scud-Rakete in ihrem Wohnhaus in Aleppo atomisiert wurde, dich irgendwie zu einer Gefahr für den lokalen Arbeitsmarkt macht. Und wehe du beschwerst dich! Einem syrischen Familienvater, der sich in München aus Verzweiflung von einem Kran werfen wollte, hat das Volk nur fröhlich „Spring runter! Wenn nicht dann abschieben!“ zugegrölt. Vielleicht ziehst du lieber doch noch ein bisschen weiter, nach Skandinavien zum Beispiel. Jetzt hast du es ja schon so weit geschafft.

Flüchtlinge in Europa:

Eine grenzwertige Krise in Griechenland

Dumme Idioten gegen das Asylheim in Hellersdorf

Zu viele Tunesier, zu wenig Toiletten