Wir waren dabei, als die AfD sich selbst das Gehirn amputiert hat
Alle Fotos: Felix Huesmann

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Wir waren dabei, als die AfD sich selbst das Gehirn amputiert hat

Nachdem Bernd Lucke vom Sicherheitsdienst von seinem eigenen Parteitag eskortiert werden musste, ist die AfD ist jetzt die kaputteste Partei Deutschlands—in jeder Hinsicht.

Über 30 Grad und strahlende Hitze schon um kurz vor 10:00 Uhr morgens. Vor der Essener Gruga-Halle stehen Hunderte schwitzende Menschen (vor allem Männer) in langen Hosen und Hemden. Der Altersschnitt ist gefühlt knapp über dem Renteneintrittsalter. Die lange Schlange wartet darauf, an den Einlasskontrollen vorbei zum Bundesparteitag der „Alternative für Deutschland" zu kommen. Aus etwas Entfernung schallt ihnen Reggae-Musik von der kleinen linken Gegenkundgebung entgegen.

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Rund 3.500 AfD-Mitglieder sitzen kurze Zeit später in der Messehalle vor ihrer Parteiführung. Um die soll es an diesem Wochenende gehen: Die beiden Parteisprecher Bernd Lucke und Frauke Petry befinden sich schon seit Wochen in einem öffentlichen Kleinkrieg. Mit ihnen kämpfen: Der wirtschaftsliberal-konservative Parteiflügel um den Wirtschaftsprofessor Lucke und die Rechtsaußen um Frauke Petry. Einer der beiden soll am Wochenende als Sieger hervorgehen und den weiteren Werdegang der Partei bestimmen.

Keine Manieren

Gleich zu Beginn hält allerdings erstmal der dritte bisherige Sprecher der Partei, Konrad Adam, seine Eröffnungsrede: Er erzählt dem applaudierenden Publikum, dass die AfD nicht nach rechts, sondern die Mitte nach links gerückt sei. Rechts sei heute schon wer „einer geregelten Arbeit nachgeht, seine Kinder pünktlich zur Schule schickt und der Ansicht ist, dass sich der Unterschied zwischen Mann und Frau mit bloßem Auge erkennen lässt." Demnach sei er wohl rechts, stellt Adam fest und fügt hinzu: „Sie ja wohl auch!"

Als Bernd Lucke danach vors Mikrofon tritt, muss er nichtmal ein Wort sprechen, um die ersten Buhrufe zu ernten. Während seine Anhänger ihn bejubeln, buht und pfeift ihn etwa die Hälfte der versammelten Parteimitglieder aus. Zwischendurch sagt er Versöhnliches, grenzt sich aber immer wieder auch ab. Von Björn Höcke zum Beispiel. Höcke ist Fraktionsvorsitzender der AfD im Thüringer Landtag und fällt immer wieder durch Nähe zu Neonazis auf. Aus dem Publikum kommen darauf „Höcke, Höcke"-Rufe. Als Lucke klarstellt, dass rechtsradikale Ansichten für ihn keinen Platz in der Partei haben, erntet er erneut Pfiffe und Buhrufe.

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Frauke Petry hält im Anschluss noch kurz den Deckmantel der Freundlichkeit hoch, bedankt sich bei allen in der Partei, macht sich für eine sachliche Debatte oberhalb der Gürtellinie stark. Wenig später wird sie jedoch schärfer im Ton und greift das Lucke-Lager direkt an: Die Partei sollte „inhaltsleere Kampfbegriffe" wie antisemitisch, rassistisch und rechts nicht nutzen. Teile der Partei würden auf diese „Falle des politischen Establishments" hereinfallen. Dafür erntet sie beinahe frenetischen Beifall.

Schon zu Beginn des Parteitags kocht die Stimmung immer wieder hoch. Die Fronten sind verhärtet, die Hitze im Saal trägt ihr Übriges bei. Dabei sind die Fronten auch optisch erkennbar: Das eine Lager trägt Buttons mit dem Logo des von Lucke gegründeten Vereins „Weckruf 2015", weitaus mehr Parteimitglieder haben sich allerdings „Weckruf nein danke!"-Aufkleber auf die Brust geklebt.

Neben dem inhaltlichen Zwist wird immer wieder auch sichtbar, wie unerfahren und unprofessionell ein großer Teil der versammelten Parteimitglieder ist. Am laufenden Band werden „Geschäftsordnungsanträge" gestellt, die von der Sitzungsleitung zurückgewiesen werden, weil sie gar keine sind. Immer wieder werden alte Männer in kurzärmligen Hemden von den Organisatoren abgewimmelt. Mit der Zeit entsteht der Eindruck eines Haufens in die Tage gekommener Selbstverwirklicher, die gerne „auch nochmal was sagen" wollen.

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Als Bernd Lucke dann seine zweite Rede des Tages hält—die eigentlich ein Bericht über seine Sprechertätigkeit hätte sein sollen—wird klar, dass er sich auch selbst keine Hoffnungen auf eine Wiederwahl mehr macht. Statt sich bei den Parteirechten anzubiedern, teilt er aus: Er attackiert den nordrhein-westfälischen AfD-Vorsitzenden, der die Partei vorher als Pegida-Partei bezeichnet hatte und die „Systemfrage" stellen wollte. Es folgen erneute Buhrufe, Pfiffe, Gelächter. Als Lucke dann noch dazu aufruft, mehr für Flüchtlinge zu tun und Hilfe für Flüchtlinge in aller Welt auch mit deutschen Geldern zu unterstützen, wird es einigen zu viel. Er wird wüst beschimpft, ihm werden rote Karten entgegengestreckt, ein Parteimitglied versucht sogar, auf die Bühne zu klettern, um Lucke am Weiterreden zu hindern. Der vergleicht die Mitglieder seiner Partei mit der Leipziger Antifa: Die seien die letzten gewesen, die ihn durch Buhrufe am Reden gehindert hätten.

Ein stiller Abgang …

Am frühen Abend ist es dann soweit: Es wird gewählt. Als das Wahlergebnis bekannt gegeben wird, hat Lucke Mühe, noch zu lächeln. Frauke Petry ist mit 60% der Stimmen die neue erste Sprecherin der Partei. Lucke steht auf, gratuliert Petry zur gewonnenen Wahl. Die dankt auch Lucke, als „Galionsfigur der Gründerzeit".

Wenige Minuten später packt Lucke still und leise seine Sachen zusammen und verlässt den Saal durch den Hinterausgang. Er ist weg, die Partei nun ein ganzes Stück weiter rechts als je zuvor. Schon am Abend erklärt das erste Parteimitglied am Mikrofon seinen Austritt.

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Auch andere denken darüber nach. Einer von ihnen ist Thorsten Klottig. Der 43-Jährige erzählt, er sei ursprünglich wegen Lucke in die AfD eingetreten. Zu den Buhrufen und Pfiffen der Lucke-Gegner sagt er: „Ich bin über 20 Jahre in der CDU gewesen, da habe ich sowas nicht ein einziges Mal erlebt. Bevor ich in die AfD eingetreten bin, habe ich aber auch noch nie von Chemtrails oder ähnlichem Unsinn gehört." An der Parteibasis habe sich ein Publikum gebildet, das er so nicht mittragen wolle.

Reinhard Fichter trägt einen der „Weckruf nein danke!"-Aufkleber und ist mit dem Ergebnis des Parteitags zufrieden. „Die bisherige Parteiführung hat nicht effektiv gearbeitet und ist zu sehr in die Richtung der etablierten Parteien gegangen", sagt er. Das Verhalten der Lucke-Gegner findet er zwar nicht in Ordnung, „aber üblich. Die Leute verhalten sich bei solchen Veranstaltungen eher wie in einem Fußballstadion. Vor allem, wenn jemand redet, der besonders unangenehm ist."

… und ein Abgang mit Trommelwirbel

Am Samstagabend stellen sich viele Beobachter vor allem die Frage, ob Lucke und seine Anhänger am zweiten Tag des Parteitags überhaupt nochmal wiederkommen. Am Sonntagmorgen ist der Saal bereits bedeutend leerer—nur noch knapp über 2000 Parteimitglieder nehmen an den Abstimmungen teil, im Laufe des Tages werden es immer weniger. Buttons von Luckes „Weckruf" sieht man fast keine mehr. Die stellvertretenden Parteisprecher und Vorstandsmitglieder, die noch gewählt werden, sind Vertreter der Petry-Linie. Kurz vor Ende des Parteitages wählen die verbliebenen Mitglieder dann mit Alexander Heumann sogar einen Anwalt und Redner der „Hooligans gegen Salafisten" und ehemaligen Organisatoren des Düsseldorfer Pegida-Ablegers als Richter in das Schiedsgericht der Partei.

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Bernd Lucke taucht allerdings auch am Sonntag wieder auf. Nachdem er zuerst still im Publikum sitzt, sucht er nach einer Weile das Gespräch mit Medienvertretern. Immer wieder reden Parteimitglieder auf ihn ein, es bildet sich eine große Menschentraube um ihn. Weil das zu einigem Trubel und Lärm führt, wird der Parteitag sogar kurzfristig unterbrochen. Sang- und klanglos will Lucke aber nicht abtreten. Er tritt an ein Mikrofon im Saal, wird, noch bevor er etwas sagen kann, von Frauke Petry abgewürgt: Man könne sich gerne persönlich unterhalten, wolle aber nun mit dem Programm weitermachen. Lucke hat hier offensichtlich nichts mehr zu melden.

Unter lauten Buhrufen, wüsten Beschimpfungen und vom Sicherheitsdienst abgeschirmt macht sich Lucke auf den direkten Weg zum Podest des Fernsehsenders Phoenix. Nach einem kurzen Interview geht er zielsicher auf die davor versammelten anderen Journalisten zu, bietet auch ihnen ein Gespräch an. In einem Seitengang drängen sich daraufhin mehr als ein Dutzend Journalisten um den ehemaligen AfD-Sprecher. „Noch bin ich AfD-Mitglied", sagt er. „Es ist aber unwahrscheinlich, dass ich das bleibe." Die neue AfD vergleicht er mit der französischen „Front National". Dass von ihr eine Gefahr für Deutschland ausgeht, glaubt er aber nicht, „weil die AfD so nicht genug Stimmen bekommen wird."

Danach holt er an seinem Sitzplatz seine Tasche, seine Frau und seinen Sohn ab und geht durch die Menge in Richtung Ausgang. Auch wenn der Parteitag längst weiterläuft, die Aufmerksamkeit gehört ihm. Ein ordentlich inszenierter Abgang mit viel Trommelwirbel.

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Was bleibt von der AfD?

Noch ist Lucke Mitglied der Partei. Noch sind das auch die meisten seiner Anhänger. Das wird sich jedoch in den kommenden Tagen und Wochen verändern. Die AfD ist nun endgültig die Alternative der Rechtsaußen.

Applaus erntet Frauke Petry bei den Mitgliedern vor allem mit Stimmungsmache gegen den Islam und ihrem Eintreten für eine „Konservative Familienpolitik". Die sieht nicht nur eine Familie aus Vater, Mutter und möglichst vielen Kindern vor, sondern verteufelt auch die Abtreibung—damit das deutsche Volk nicht ausstirbt. Dieselbe Argumentation ist auch in rechtsextremen Parteien und Kameradschaften zu finden.

Was AfD-Mitglieder zu einem Parteitag nicht mitbringen dürfen: Messer, Flaschen, Kirschschnaps

Die Redebeiträge der Kandidaten für die diversen Parteiämter klingen, ebenso wie die „Nachfragen" der Parteimitglieder, wie ein rechtes Buzzword-Bingo. Antiamerikanismus und „Russlandfreundschaft" treffen auf Forderungen nach einer Schließung der Grenzen, Abschiebung „krimineller Ausländer" und Stimmungsmache gegen den Islam. Kandidaten reden hier gegen Homoehe, „Frühsexualisierung" und „Gender-Ideologie"—und die Masse tobt vor Applaus.

Der wirre Phrasenmix, der hier entsteht, würde auf einer Pegida- oder Endgame-Demonstration dieselbe Zustimmung finden. Von den rechten Auswüchsen der „neuen Friedensbewegung" bis hin zu den Hooligans gegen Salafisten könnte diese AfD so einige politische Ränder begeistern.

Im Gegenzug wird sie einen Großteil ihrer Wähler und Mitglieder aus dem konservativ-wirtschaftsliberalen Spektrum verlieren—und damit wohl weniger Chancen auf einen Einzug in den nächsten Bundestag haben als bisher.

Die Partei ist nun rechter—sie ist aber auch kleiner und kaputter als zuvor.