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Die drei größten Fehler im neuen Suchtbericht der Regierung

Heute hat die Drogenbeauftragte der Bundesregierung den neuen Suchtbericht vorgestellt. Wir haben für euch den Unsinn rausgesucht.
Originalfoto: imago/Reiner Zensen

Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler, hat heute den Drogen-Suchtbericht 2015 vorgestellt. Was wir daraus lernen können: Es gibt wieder mehr Drogentote (1032), das Problem mit den Legal Highs ist ein wenig außer Kontrolle geraten, Crystal wird nicht nur bei Nazis immer beliebter, und Heroin ist nach fast 50 Jahren Drogenkrieg nicht tot zu kriegen. Es verursacht immer noch die meisten Todesfälle, wobei Bayern hier immer noch die Nase ganz vorne hat.

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Allerdings fällt der Bericht in ein Klima, in dem sich auch in der Politik in Sachen Legalisierung immer mehr bewegt. Von Grünen über FDP, SPD und zuletzt sogar CDU finden sich immer mehr Politiker, die an dem totalen Cannabis-Verbot rütteln. Also muss man sich was einfallen lassen, wenn man das Bild von Cannabis als gefährlicher Droge aufrechterhalten will—und dass sie das will, hat Marlene Mortler oft genug erklärt. (Auch wenn sie dann nie so richtig erklären konnte, warum. Es gibt Leute in der Cannabis-Szene, die sind überzeugt, dass Mortler von der Gras-Lobby als eine Art Schießbudenfigur absichtlich aufgestellt wurde, um die Glaubwürdigkeit des Cannabis-Verbots zu untergraben. Das hat sie, anders als ihre drogenpolitischen Hausaufgaben, bislang prima hingekriegt.)

Die beste Methode, um diese Fiktion aufrechtzuerhalten, beinhaltet natürlich Statistiken, die einem Recht geben. Wir haben den Drogenbericht deshalb mal genauer unter die Lupe genommen und ein paar Ungereimtheiten gefunden:

1. Die Zahl der Jugendlichen mit Cannabis-Problemen ist praktisch ausgedacht

Die zum Beispiel belegen, dass Cannabis vor allem unter Jugendlichen Schreckliches anrichtet. Dafür hat sich die Drogenbeauftragte extra Statistiken zusammenbauen lassen, die sich mit dem „problematischen Cannabis-Konsum Jugendlicher" auseinandersetzen.

Fakt ist, dass der Cannabis-Konsum in ganz Europa ziemlich stark angestiegen ist, jedoch unter jungen Erwachsenen in Deutschland laut der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen- und Drogensucht (EMCDDA) sogar rückläufig ist. Bei den 15-64-Jährigen liegt er im europäischen Mittelfeld. Weshalb dann die Panik? Vielleicht, weil es in dem Bericht heißt:

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Dies spiegelt sich wider in der hohen Nachfrage nach cannabisbezogener Beratung und Behandlung: 38,7 Prozent aller Klientinnen und Klienten haben Probleme mit ihrem Cannabiskonsum, bei den erstmaligen Behandlungen beträgt deren Anteil bereits fast 60 Prozent. Hochgerechnet ist davon auszugehen, dass rund 600.000 vorwiegend junge Menschen Probleme mit dem Konsum von Cannabis haben. - S. 40

Tatsächlich sind die Beratungszahlen für Jugendliche angestiegen. Das kann aber auch einfach daran liegen, dass jugendliche „Straftäter", die mit einem oder zwei Gramm Gras erwischt werden, jetzt immer öfter vom Gericht den Gang zu einer Drogenberatungsstellen auferlegt bekommen. Schließlich steigt die Zahl der „konsumnahen" Delikte und somit auch diese Art der Zwangsberatung seit Jahren an. Die 600.000 Menschen, die im Drogenbericht plakativ genannt werden, beruhen auf unseriösen Schätzungen, die nicht mal medizinisch evaluiert sind. Die Polizei räumt sogar ein, das sei auf den verstärkten Kontrolldruck zurückzuführen. Es mutet schon ein wenig seltsam an, dass in einem Land, in dem der Konsum von Gras offiziell entkriminalisiert ist, konsumnahe Cannabis-Delikte drei Viertel aller Drogenstraftaten ausmachen.

2. Alle Probleme mit „Legal Highs" gelten als Probleme mit Cannabis

Ein weiteres Problem: Statistisch gesehen ist Gras auch an den zahlreichen problematischen Konsumerlebnissen mit Kräutermischungen Schuld. Denn da es für Legal Highs keine eigene Kategorie gibt, werden solche Vergiftungen nach dem von der WHO definierten ICD10-Code als Störung F12 „Psychische und Verhaltensstörungen durch Cannabinoide" erfasst. Wer zu viel „Spice" oder „Banana-Rama" gepafft hat und ins Krankenhaus muss, wird in der Statistik also als Problem-Kiffer geführt. Das verzerrt die Statistik erstens deutlich. Zweitens ist es besonders ärgerlich, wenn man bedenkt, dass es diese Stoffe nicht geben würde, wenn echtes Gras einfach legal wäre.

Übrigens: Am Beispiel Tabak kann man im 152 Seiten umfassenden Bericht die langfristigen Folgen vernünftiger Prävention und einer streng kontrollierten Abgabe bewundern: Die Zahl der Tabakraucher, jugendlich oder nicht, ist seit Jahren rückläufig. Ganz ohne Verbot.

3. Der Anbau wird maßlos übertrieben

Beim Thema Cannabis-Anbau wird noch maßloser übertrieben als in den Jahren zuvor. Ich habe vor einiger Zeit schon einmal erklärt, wie die Drogenbeauftragte und die Polizei die Statistiken zum Fund von „Cannabis-Plantagen" öffentlichkeitswirksam tunen, ohne so richtig zu lügen. Bei weit über 90 Prozent der Ertappten handelt es sich entgegen der dramatischen Darstellung im „DSB 2015" immer noch um Kleinstgärtner, die weniger als 20 Pflanzen besessen haben. Mortlers Bericht klingt, als sei Deutschland der neue Hotspot des illegalen Weed-Anbaus. Verglichen mit den Exportnationen Spanien, Tschechien oder den Niederlanden ist Deutschland allerdings ein ziemlich kleines Licht. Reicht unser Weed doch kaum für den eigenen Markt, wie man an den immer noch zahlreich ertappten Hasch- und Grasschmugglern sehen kann.

Die gute Nachricht: Es gibt Alternativen

Vor drei Tagen haben die Deutsche Aidshilfe, Jes e.V. und akzept e.V. mit dem „Alternativen Drogen-Suchtbericht" vorweggenommen, was in Mortlers Bericht nicht steht. „Es ist Zeit für einen Paradigmenwechsel. Wir brauchen jetzt den Schritt vom erfolglosen Verbot zu einer wirkungsvollen Regulierung", sagt Prof. Dr. Heino Stöver, Vorstandsvorsitzender von akzept e.V. und Direktor des Instituts für Suchtforschung der Frankfurt University of Applied Sciences, in einer Pressemitteilung am Montag. „Wir wissen längst, welche Maßnahmen wirken. Mit einer staatlich kontrollierten Abgabe von Drogen können wir viele Probleme lösen. Jugend- und Verbraucherschutz würden damit massiv gestärkt." War einst Abstinenz oberstes Ziel deutscher Drogenpolitik, sollte eine zeitgemäße Drogenpolitik ihren Fokus auf den Schutz mündiger Konsumenten und das Überleben Abhängiger richten. Dazu müsste man akzeptieren, das manche Menschen andere Drogen als die bislang legalen konsumieren, ohne gleich „süchtig" oder gar eine gesellschaftliche Bedrohung zu sein. Der offizielle Drogen-Suchtbericht 2015 ist das Papier nicht wert, auf dem er gedruckt wurde.