Die schwule Geschichte des Holocausts

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Die schwule Geschichte des Holocausts

Bei Pacifico Silanos Ausstellung ‚Against Nature' geht es um einen oft vergessenen Abschnitt der LGBT-Geschichte: die Verfolgung von schwulen Männern in Nazi-Deutschland.

Aryan Idealvon Pacifico Silano

Against Nature, die beeindruckende und gleichzeitig bedrückende Ausstellung des New Yorker Fotografen Pacifico Silano, bietet einen Einblick in einen oft übersehenen und häufig vergessenen Abschnitt der LGBT-Geschichte: die Verfolgung und Ermordung von schwulen Männern in Nazi-Deutschland. Der Titel ist eine Anspielung sowohl auf den berüchtigten Roman von Joris-Karl Huysmans (bei uns unter dem Titel Gegen den Strich veröffentlicht) als auch auf einen Satz des Paragraphen 175 des deutschen Strafgesetzbuches, in dem Homosexualität für illegal erklärt und mit Sodomie gleichgesetzt wurde.

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Die Ausstellung schlägt in die gleiche Kerbe wie Silanos vorherige Fotoreihen, zum Beispiel Male Fantasy Icon: Darin werden durch die HIV- und AIDS-Epidemie dezimierte Schwulen-Communitys durch die Augen von Al Parker betrachtet—einem Porno-Star der 70er, der an AIDS gestorben ist. Bei Against Nature bedient sich Silano bei Archivquellen des Zweiten Weltkriegs und der frühen deutschen FKK-Bewegung, um zum einen die Erinnerung an die homosexuellen Opfer des Holocausts aufrecht zu erhalten und zum anderen die unterschwellige Homoerotik zu erforschen, die in der Nazi-Idealvorstellung des arischen Mannes zu finden ist. Mit einer auffälligen und trügerisch einfachen Rot-Weiß-Schwarz-Farbgebung stellt Silano teils verdunkelte Fotos von Männern, Blumen im Robert Mapplethorpe-Stil gegenüber und erschafft so ein aussagekräftiges Statement über Verlust, Identität und historischer Erinnerung.

Six Faces

Ich habe mich mit Silano unterhalten—dabei ging es um sein Interesse an der Geschichte von Schwulen im Nazi-Deutschland, die Bearbeitung seiner Fotos und welche Bedeutung er Archiven für die LBGTQ-Geschichte zuordnet.

VICE: In Against Nature geht es um das Schicksal von homosexuellen Männern während der Nazi-Zeit. Was hat dich zu diesem Projekt inspiriert?
Pacifico Silano: Ich bin 2012 nach Amsterdam gereist und habe mir dort das Homomonument angeschaut, also das weltweit erste öffentliche Denkmal, das den während dem Holocaust umgekommenen Schwulen und Lesben gewidmet ist. Das ist ein Thema, über das ich nicht viel wusste—wahrscheinlich, weil im Geschichtsunterricht die Unterdrückung der LGBTQ-Community komplett weggelassen wurde. Dieser Tag hat mich sehr betroffen gemacht und deswegen habe ich beschlossen, dass es in meinem nächsten Projekt darum gehen würde.

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Ein Großteil der Arbeiten stammt aus den Archiven, die sich mit dieser Ära beschäftigen. Wie bist du an die ganze Sache herangegangen und wie bist du an dein Quellenmaterial gekommen?
Es hat eine Weile gebraucht, bis das Projekt wirklich rund lief—das lag zum Teil auch daran, dass ich mir nicht sicher war, wie ich die Bearbeitung der Fotos gestalten sollte. Schließlich habe ich mich voll und ganz auf das Auffinden des Quellenmaterials konzentriert. Ich habe viel Zeit online verbracht, um gefundene Fotos und Negative aus der Zeit zu kaufen. Auch war ich oft in Bibliotheken unterwegs und habe dort Nachforschungen angestellt. Ich habe viel über das Konzept des „Archivs" nachgedacht und wie ich das Projekt zum Laufen bringen wollte und deshalb erschien mir die Bibliothek als ideale Inspirationsquelle. Die stundenlange Stille hatte auf jeden Fall einen Einfluss darauf, wie ich viele meiner Werke erschaffen habe.

Die Installation von Against Nature

Viele der Arbeiten setzen sich nur aus den Farben Rot, Weiß und Schwarz zusammen. Hat das einen bestimmten Grund?
Ich habe mir viele Gedanken über die Verwendung genau dieser drei Farben im Bezug auf die Nazi-Propaganda des Zweiten Weltkriegs gemacht. Sie haben diese Farbkombination dazu genutzt, um Hass und Intoleranz in der Welt zu verbreiten. Mit meinen Arbeiten zu diesem Thema unterwandere ich diese Assoziation. Das war eine sehr wichtige Entscheidung, die ich schon früh treffen musste. Dabei wurde ich kreativ gesehen richtig herausgefordert, aber sie war für den konzeptuellen Rahmen des Projekts sehr wichtig.

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German Officer

Der Name der Ausstellung bezieht sich auf das deutsche Strafgesetzbuch und Huysmans hochästhetischen Roman des 19. Jahrhunderts. Diese Bedeutungen scheinen ziemlich gegenteilig zu sein—warum also gerade dieser Titel?
Während meinen Nachforschungen bin ich auf die FKK-Bewegung gestoßen, die es in Deutschland schon vor dem Zweiten Weltkrieg gegeben hat. Dabei wurde der nackte Körper ganz schamlos gefeiert und aus dieser Zeit gibt es viele Fotobücher von Männern, die ohne Kleidung in der Natur posieren. Selbstverständlich wurde das unter Hitlers Herrschaft sofort unterbunden, aber ich hatte einen guten Startpunkt für meine Arbeiten gefunden.

1935 entfernten die Nazis das Wort „widernatürlich" aus dem Paragraphen 175—der bezog sich vorher nur auf den Beischlaf. So war es viel einfacher, mutmaßliche Homosexuelle zu verurteilen und wegzusperren. Schon ein Kuss, ein Liebesbrief oder bloßes Händehalten konnte zur Verhaftung und Verurteilung führen. Ich dachte mir, dass diese Wörter aus dem Strafgesetzbuch schon sehr bedeutungsvoll waren. Wären sie nicht gestrichen worden, hätte man vielleicht mehr Leben verschont.

Floral in Red, Black, And White

In der Ausstellung stellst du veränderte Archivaufnahmen Schwarz-Weiß-Stillleben von Blumen gegenüber, die mich an Mapplethorpes Blumenfotos erinnern. In welcher Beziehung stehen diese Pflanzen zu der Ausstellung als Ganzes?
Jedes Stillleben ist ein Denkmal für die Opfer von Paragraph 175 und Faschismus. Ich war fasziniert von der offensichtlichen Symbolik von Blumen-Stillleben und wie etwas so Schönes gleichzeitig auch eine tiefer gehende Bedeutung haben kann.

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Beim Erschaffen dieser Kunstwerke fühlte ich mich quasi dazu verpflichtet, Anspielungen auf jemanden wie Robert Mapplethorpe einzubauen, denn er machte es erst möglich, dass Künstler wie ich arbeiten können, ohne eine Zensur fürchten zu müssen. Als schwuler Künstler ist es eigentlich unmöglich, nicht von ihm inspiriert zu werden.

Ich finde es interessant, dass es bei dir nicht nur um die homosexuellen Holocaust-Opfer geht, sondern du dich mit Werken wie The Aryan Ideal oder The German Officer auch mit der Homoerotik des Nazi-„Übermenschen" auseinandersetzt. Warum war es für dich wichtig, beide Aspekte anzusprechen?
Ich wollte, dass die homosexuellen Holocaust-Opfer endlich die Anerkennung bekommen, die ihnen in der Geschichte jahrelang verwehrt wurde. Gleichzeitig werden die die machohaften Darstellungen von Nazi-Soldaten unterwandert, indem ich sie in einen schwulen Kontext setze. Durch das Wegnehmen ihrer Identität und die Objektivierung aus einem schwulen Blickwinkel machen wir sie basierend auf Hitlers Ideologie machtlos.

Untitled

Welche Bedeutung schreibst du dem heutigen Rückblick auf das Schicksal der Homosexuellen im Nazi-Deutschland zu—vor allem mit der Hilfe von Kunst?
Kunst kann Menschen bewegen oder sie wütend machen. Meiner Meinung nach verändert gute Kunst jedoch unsere Sichtweise auf Dinge, von denen wir dachten, dass wir sie schon kennen. Es ist wirklich wichtig, dass man auf diese vergessenen Schicksale aufmerksam macht. Erst in den 80er Jahren wurden Homosexuelle wirklich als Opfer des Holocausts anerkannt—das ist unfassbar. Folgende Tatsache war selbst vielen meiner schwulen Freunde nicht bewusst: Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden die Homosexuellen der Konzentrationslager oft nicht befreit, sondern mussten ins Gefängnis. Ihnen wurden also nicht nur die Reparationsleistungen verwehrt, sie waren dazu auch noch weiterhin eingesperrt. Laut Paragraph 175 waren sie ja immer noch kriminell.

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Es gibt immer mehr auf Archivmaterial basierende Kunst, die sich mit der LGBTQ-Geschichte beschäftigt—ein Beispiel dafür wäre die Ausstellung Ephemera As Evidence von Visual AIDS. Worin siehst du die Bedeutung eines Archivs im Bezug auf die Erhaltung der Geschichte der Homosexuellen?
Ich beschäftige mich intensiv mit der Geschichte der Homosexuellenunterdrückung und leider ist diese Unterdrückung immer noch sehr präsent. Meine Werke müssen sich also einfach mit diesen Problemen beschäftigen.

Obscured Salute

Ich finde, dass wir dank der großen Fortschritte, die uns in den letzten Jahren zu einem Platz im Mainstream verholfen haben, nun endlich auf unsere Kultur zurückblicken und sie erhalten können. Die Schwierigkeit dabei ist die Feststellung, wie viel eigentlich verloren gegangen ist. Ein offensichtliches Beispiel hierfür wären all die wundervollen und talentierten Menschen, die während der AIDS-Krise gestorben sind. Es ist viel Scheiße passiert und das dürfen wir nicht außer Acht lassen. Durch ein Archiv haben wir die Möglichkeit, uns darüber zu informieren, wer wir einmal waren, wo wir einmal waren und wo wir in der Zukunft hoffentlich sein werden.

Mehr von Silanos Werken findest du auf seiner Website. Seine Ausgabe des MATTE-Magazins kannst du hier bestellen.

Emily Colucci ist eine Autorin aus New York, die den Blog Filthy Dreams mitbegründet hat. Dort wird unsere Kultur aus dem Blickwinkel der Homosexuellen betrachtet.