FYI.

This story is over 5 years old.

DIE GLUTEUS MAXIMUS ISSUE

Pakistans Frauen ziehen in den Krieg

An vorderster Front des Geschlechterkampfes mit weiblichen Kadetten in Pakistan.

Kadettin Wardah Noor bereitet einen Testangriff während einer Feldübung vor, den sie anführen wird.

Kadettin Wardah Noor, eine schlanke 24-jährige Pakistani mit tief liegenden Augen und aufrechter Haltung, setzt all ihre Hoffnungen auf eine militärische Karriere. „Mein Leben als Zivilistin war langweilig und unbefriedigend“, erzählte sie mir eines Abends im September, nachdem sie den ganzen Tag Unterricht und Übungen an der angesehenen Pakistanischen Militärakademie (PMA) gehabt hatte. Sie war in einer Mittelschichtfamilie großgeworden und hatte bereits einen College-Abschluss in Informatik. Doch in ihrem Heimatdorf im pakistanischen Punjab, wo Pferdewagen noch immer das Hauptfortbewegungsmittel sind, hatte sie kaum Gelegenheit, ihren Beruf auszuüben. Sie sehnte sich nach Disziplin und Struktur, und ihr wurde klar, dass sie zum Militär gehen wollte.

Anzeige

Kadettin Wardah war eine von 32 Frauen zwischen 23 und 27 Jahren im Jahrgang 2013 der Militärakademie für weibliche Kadetten. Die Akademie befindet sich in Kakul, das nur wenige Kilometer von dem Gelände in Abbottabad entfernt liegt, wo Osama bin Laden 2011 von einem Team der Navy SEALs getötet wurde. Sie ist das pakistanische Gegenstück zur US-amerikanischen Militärakademie in West Point und es ist ebenso schwer, dort aufgenommen zu werden. Wer es schafft, wird Offizier und führt junge Soldaten in den Kampf.

Die Konkurrenz unter den Bewerbern um einen Platz an der Akademie ist groß. Sobald sie eingeschrieben sind, müssen männliche Kadetten zwei Jahre lang hartes körperliches Kampftraining absolvieren und das Kriegshandwerk erlernen. Die weiblichen Kadetten an der PMA erhalten nur ein sechsmonatiges Training und werden dann zu Aufgaben herangezogen, die keinen direkten Kampfeinsatz beinhalten. Sie leisten ihren Dienst als medizinisches und technisches Personal ab, arbeiten in der Taktikanalyse und im Logistikbereich oder bilden künftige Offiziere aus.

„Ich will mithelfen, mein Land vor dem Terrorismus zu schützen und unsere Grenzen zu sichern“, erklärte Kadettin Wardah. „Die Bedrohungen kommen sowohl von außen als auch von innen.“

Das Militär ist die stabilste und mächtigste Institution Pakistans. Es hat vier Kriege gegen Indien geführt, drei erfolgreiche Staatsstreiche durchgeführt, den Weg für eine Zivilregierung bereitet und seit dem 11. September 2001 17,2 Milliarden Dollar Militärhilfe von den USA erhalten. Und obwohl es—gemessen am aktiven Personal—die siebtgrößte Armee der Welt ist, sind die unwirtlicheren Gegenden Pakistans, wie die bergige Provinz Khyber Pakhtunkhwa (früher bekannt als die Nordwestliche Grenzprovinz) immer noch unter der Kontrolle der Taliban, und in der Nähe der offenen Grenze zu Afghanistan lauern noch immer vereinzelt Mitglieder von al-Qaida.

Anzeige

Die weiblichen Kadetten am Schießstand, wo ihnen der Umgang mit der Waffe beigebracht wird.

Aufgrund seiner geopolitischen Bedeutung stellt Pakistan die vorderste Verteidigungsfront im weltweiten Kampf gegen den Terror dar. Und bemerkenswerterweise wurde es zum Ort des Fortschritts und der Inspiration für Frauen auf der ganzen Welt, die den bewaffneten Streitkräften beitreten wollen. Seit der Amtsübernahme durch General Pervez Musharraf im Jahre 2006 holt das Militär nach und nach auch weibliche Kadetten in die Armee, während Frauen in Pakistan sonst nur eingeschränkten Zugang zu Bildung und beruflicher Karriere haben.

Wie in vielen anderen islamischen Ländern haben es Frauen auch in Pakistan nicht leicht. Laut einer Studie der Thomson-Reuters-Stiftung aus dem Jahre 2011 sehen Experten für die Gleichstellung der Geschlechter Pakistan auf der Liste der Länder, in denen Frauen die wenigsten Rechte haben, auf Platz drei hinter Afghanistan und dem Kongo. Es finden immer noch Ehrenmorde statt und 90 Prozent aller pakistanischen Frauen sind Opfer häuslicher Gewalt. Die pakistanische Nichtregierungsorganisation Shirkat Gah berichtete Anfang des Jahres, dass die Hälfte aller Pakistanerinnen vor ihrem 18. Lebensjahr verheiratet werden, und der UNICEF-Bericht über Pakistan von 2012 besagt, dass „bei der Beschäftigung extreme Ungleichheit zwischen Frauen und Männern herrscht“.

Im Jahre 2012 richtete der Mordversuch an Malala Yousafzai—einem jungen Mädchen, das für das Recht auf Bildung für Mädchen kämpft—die Aufmerksamkeit auf eine neue Generation von pakistanischen Mädchen und Frauen, die sich für einen Wandel einsetzen. Eine Karriere im traditionell von Männern beherrschten Militär ist für die meisten unerreichbar. Und abgesehen von der Ungleichheit der Geschlechter ist es außerdem eine arge Schinderei.

Anzeige

Von 4 Uhr morgens an, wenn sie aufwachen, bis zum Schlafengehen um Mitternacht oder später, müssen die weiblichen Kadetten eine Strapaze nach der anderen über sich ergehen lassen. Um halb sieben beginnt die körperliche Ertüchtigung, danach folgen Frühstück und Unterricht in Verteidigung, Angriffspositionen und öffentlichem Sprechen. Danach kommen Drill und Grußübungen.

„Dieser Tagesplan soll sie auf stressige Situationen vorbereiten“, erzählte mir die Zugführerin der Kadettinnen Kapitän Arooj Arif, mit der nicht zu spaßen ist. Als ich sie kennenlernte, war sie im achten Monat schwanger und kommandierte trotzdem weiter ihre Soldaten.

Die Ausbildung der Kadetten gipfelt in einer viertägigen Feldübung an einem Ort, der weit von der Akademie entfernt liegt und den ich aus Sicherheitsgründen nicht nennen darf. Ich begleitete Kadettin Wardah und ihre Klasse—eine Gruppe disziplinierter, ehrgeiziger junger Pakistanerinnen aus allen Teilen des Landes—zum Ort ihrer Feldübungen, wo ihre Entschlossenheit, Kriegerinnen zu werden, auf die bisher härteste Probe gestellt wurde.

Während ihrer Vorlesung an der PMA notiert Kadettin Kiran Verteidigungs- pläne und Angriffs- positionen.

Die weiblichen Kadetten trainierten in der sengenden Hitze, die auf den Monsun folgt, und schliefen je zu viert in einem Zelt auf zusammenlegbaren Pritschen. Ich fragte Major Chengaiz Zafar, der in seinem ersten Jahr weibliche Kadetten ausbildet, warum die Frauen unter solchen Bedingungen trainieren müssen, wenn sie doch nie im Kampf zum Einsatz kommen. „Sie müssen wissen, wie es auf dem Schlachtfeld zugeht, wenn sie an Operationen beteiligt sind, die sich auf das Leben der Soldaten in Konfliktregionen auswirken“, erklärte er und fügte hinzu: „Sie werden teilhaben am Kampf gegen den Terrorismus in diesem Land.“ Major Chengaiz wurde ebenfalls auf der PMA ausgebildet und war einer der Ersten seiner Klasse.

Anzeige

Kadettin Wardah bekam für die Dauer der Übungen die Rolle der Bereichskommandeurin zugeteilt. Am vierten und letzten Tag fand im Basislager eine Einsatzbesprechung statt, in der sie die Pläne für den Testangriff vorlegte, den sie und ihre Kameradinnen ausführen sollten. Sie mussten sich in drei Teams aufteilen und durch bestelltes Ackerland und Kornfelder bis zur erdachten Feindlinie vorstoßen. Von dort aus sollten sie ihren vermeintlichen Gegner von drei Seiten her in die Zange nehmen und angreifen.

Um 10 Uhr morgens herrschte bereits sengende Hitze auf den Feldern, und die Luft war dick und feucht. Nach der Einweisung durch Kadettin Wardah kehrten die anderen Kadettinnen an ihre jeweiligen Positionen in den Gräben zurück, die an verschiedenen Stellen auf den Feldern angelegt worden waren. Dort sollten sie den ganzen Tag lang ausharren, bis es Zeit war loszuschlagen. Sie hatten kaum Schutz vor der Sonne, und die Aussicht, in einer Armee Soldat zu werden, die bis auf Weiteres zwischen den Taliban und al-Qaida eingekesselt sein würde, erschien mir nicht sehr verlockend.

„Diese Kriegsübungen helfen uns zu begreifen, wie es auf dem Schlachtfeld zugeht. Ich wünschte, wir dürften später selbst in den Kampfeinsatz“, sagte Kadettin Kiran Javed Khan, eine 27-Jährige, die zuerst die Gewichtsanforderungen der Akademie für Kadetten nicht erfüllt hatte. Sie musste zwei Kilo abnehmen. „Schließlich waren es dann vier“, erzählte sie mir.

Anzeige

„Beeilung! Macht euch bereit und stellt euch in Formation auf!“, brüllte Kadettin Wardah. Die weiblichen Kadetten machten sich in ihren Gräben für den Kampf bereit. Ein heftiger Regen ergoss sich auf die von der Sonne ausgetrocknete Landschaft und verzögerte den Angriff. Doch kurz vor der Dämmerung gab Major Chengaiz den Befehl anzugreifen. Die Kadettinnen, die ihr Haar unter den olivegrünen Baretten hochgesteckt hatten, begannen—jede mit einem GR-Gewehr deutschen Fabrikats bewaffnet—durch die matschigen Felder zu stapfen.

Für die meisten dieser Frauen ist der Militärdienst die einzige Möglichkeit, ihre Heimatdörfer verlassen und ein unabhängiges Leben führen zu können. Die 23-jährige Kadettin Meimouna Mahrukh erinnerte sich, wie sie mit 150 anderen Bewerbern aus ihrem Dorf Swabi in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa in einem Raum gesessen und sich gefragt hatte, ob sie wohl zu den Auserwählten gehören würde. Stolz verkündete sie mir: „Ich bin die erste Frau aus unserem Dorf, die der Armee beigetreten ist.“

Um an der PMA angenommen zu werden, müssen die weiblichen Bewerber eine Reihe von schriftlichen Prüfungen und Sport-Tests, sowie ein abschließendes Gespräch absolvieren, bevor sie für einen der begehrten Plätze ausgewählt werden können. Für Frauen stehen nur 40 Plätze zur Verfügung, im Gegensatz zu den 2.100 offenen Plätzen für Männer.

„Nach und nach werden die Militärkommandeure die Zahl der weiblichen Kadetten erhöhen. Die Zahl ist schon größer geworden, seit das Programm begonnen hat, und die physischen Anforderungen wachsen jedes Jahr“, sagte mir Kapitän Arif, die bereits 2010 ihren Abschluss an der Akademie gemacht hat. „Am Anfang wussten sie nicht, wozu Frauen fähig sind. Nächstes Jahr werden sie Reiten und Schwimmen in das Sporttraining aufnehmen.“

Anzeige

Die Kadettinnen stapften durch den Matsch und feuerten auf imaginäre Gegner. Danach kehrten sie ins Lager zurück und warteten auf das Abendessen. Es war ein langer Tag unter sengender Hitze und heftigen Regengüssen. In der kühlen Abendluft zitterten die Kadettinnen vor Kälte.

Es war ihr letzter Tag und die Aussicht auf die warme Dusche in der Akademie und den bescheidenen Komfort von Routinedrills, Märschen und Rundlaufübungen auf dem gepflegten Boden der PMA hob die Stimmung der weiblichen Kadetten.

Kadettin Zarnigar, nachdem sie während der Waffenausbildung ihr Ziel getroffen hat.

Viele, mit denen ich gesprochen habe, waren der Meinung, dass Frauen in Pakistan eines Tages Seite an Seite mit den Männern in vorderster Linie kämpfen würden, eine Vorstellung, die in vielen anderen Ländern der Welt noch ­undenkbar ist. Es gibt nur wenige Länder, die weibliche Soldaten uneingeschränkt in den Kampfeinsatz lassen. Und bei­spielsweise in den USA gab es in gemischten Kampfeinheiten bereits ernsthafte Probleme, wie mehrere Fälle sexueller Übergriffe.

Vielleicht ist der Widerstand gegen gemischt-geschlechtliche Kampfeinsätze auch bloß Propaganda und Getöse und entspricht nicht der Stimmung vor Ort. Aber männliche Kadetten sagten zum Beispiel, dass die Trainingszeit von sechs Monaten—im Gegensatz zur zweijährigen Ausbildung der Männer—die Frauen nicht zu Kampfeinsätzen befähigt, was eine realistische Einschätzung zu sein scheint. Andererseits könnte dies aber auch nur ein Vorwand sein, um die Einstellung zu verschleiern, dass man Frauen grundsätzlich die Fähigkeit, sich im Kampf zu bewähren, abspricht—ganz gleich, wie intensiv ihre Ausbildung sein mag. Zwar wollte sich niemand mit solch einer Meinung zitieren lassen, aber einige Gentleman-Offiziere, mit denen ich sprach, ließen diese Ansicht unmissverständlich durchblicken. Und selbst wenn Frauen zwei Jahre ausgebildet würden und grünes Licht für den Kampfeinsatz erhielten, gäbe es noch immer Hindernisse zu überwinden und sie müssten lange am Image der Frau in Kriegszeiten arbeiten, bis die traditionelle Geschlechterverteilung reformiert würde.

Anzeige

Nachdem sie zur PMA in Abbottabad zurückgekehrt waren, nahmen die Kadettinnen wieder ihre normale Abfolge von Übungen auf. Sie marschierten auf ein großes Feld, wo sie in vier Gruppen aufgeteilt wurden und den Umgang und das Abfeuern von Waffen lernten. Dies beendeten sie am frühen Abend und eilten rasch in ihre Unterkünfte zurück, während dunkle Gewitterwolken über die Berge krochen.

Kadettin Mehnaz Younas, 23 Jahre alt und aus der Provinz Kaschmir stammend, ging sich waschen, band sich ein langes weißes Tuch um den Kopf, rollte einen kleinen Teppich aus und begann zu beten. Zur gleichen Zeit zogen sich die Wolken über dem Himalaja weiter zusammen. Als sie fertig war, gesellte sie sich zu den anderen, die sich zum Abendessen in die Kantine begaben.

In dem geräumigen Saal besetzten die Frauen lediglich drei Tische, während die männlichen Kadetten den Rest des Raumes füllten und durch ihre lauten Stimmen den Geräuschpegel in die Höhe trieben. In starkem Kontrast dazu saßen die Frauen still an ihren Plätzen und verzehrten die kleinen Portionen, mit ­denen sie sich begnügten. Sie waren erschöpft und aßen, ­beinahe ohne ein Wort zu sagen, ihre Teller leer. Um Mitternacht lagen sie in ihren Betten, um am nächsten Tag um 4 Uhr wieder aufzustehen und von Neuem mit ihrem Programm zu beginnen.

Für diese Frauen wird es nicht leicht sein, in den Männerklub aufgenommen zu werden. Die Gebräuche Pakistans hemmen die Vermischung zwischen den Geschlechtern und hindern sie daran, sich mit ihren männlichen Kollegen anzufreunden oder gar zu verbünden, um dadurch eventuell eine rasche Beförderung zu erreichen.

In einem Land, in dem von Frauen nicht mehr erwartet wird, als zu heiraten und Kinder zu bekommen, sind diese weiblichen Kadetten auf dem Weg zu Selbstbestimmung und Unabhängigkeit, angetrieben von einer Motivation, die eine ganze Generation pakistanischer Frauen erfasst hat.

„Ich treibe mich immer wieder selbst an“, sagte Kadettin Wardah an meinem letzten Tag in der Akademie. „Wenn ich etwas will, dann tue ich, was ich kann, um mein Ziel zu erreichen, ganz gleich, was es ist.“

Ihr könnt Kadettin Wardah und ihre Kameradinnen in einer neuen Reportage in Aktion sehen, die demnächst auf VICE.com erscheinen wird.