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Die ISIS-Kämpfer und ihre Freunde sind absolute Social-Media-Pros

Während ihre Bodenoffensive in vollem Gang war und sie eine Stadt nach der anderen eroberten, traten ISIS-Mitglieder einen effektiven PR-Krieg los—wie jede social-media-affine Marketingfirma posaunten sie ihre Erfolge pausenlos bei Twitter raus.

Der schnelle Vorstoß der ISIS-Kämpfer im Irak hat viele überrascht, aber er kam nicht ohne Ankündigung.

Während ihre Bodenoffensive in vollem Gang war und sie eine Stadt nach der anderen eroberten, traten die Mitglieder der al-Qaida-Splittergruppe einen ebenso effektiven PR-Krieg los—wie jede Social-Media-affine Marketingfirma posaunten sie ihre Erfolge pausenlos bei Twitter raus.

Das Phänomen von Kämpfern, die ihre Message nicht nur mit Waffen sondern auch über soziale Netzwerke verbreiten, ist nicht gerade neu und im syrischen Bürgerkrieg wird gleichermaßen um die Deutungshoheit der Geschehnisse wie auch tatsächliche Gebiete gekämpft. Der Vorstoß der Gruppe in den Irak eröffnet nun ein neues Schlachtfeld—on- wie offline—und bislang haben sich die militanten Kämpfer von ISIS als absolute Pros im Twitter-Krieg bewiesen.

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June

Die ISIS-Online-Offensive im Irak hat ihnen schon Tausende Erwähnungen bei Twitter eingebracht—über 67.000 allein in der letzten Woche. Das Bild der ISIS-Flagge über Bagdad wehend, zusammen mit der drohenden Warnung „Baghdad, we’re coming“, wurde laut CBS News an die Spitze der arabischen Twitter-Ergebnisse für die irakische Hauptstadt katapultiert.

Als weiteres Zeichen ihres professionellen Umgangs mit sozialen Netzwerken hat ISIS sogar eine Android-App mit dem Namen The Dawn of Glad Tidings—oder kurz: Dawn—entwickelt, die es der Gruppe erlaubt, über die persönlichen Accounts ihrer wachsenden Onlinefanbase zu twittern.

Während die militärischen Vorstöße von ISIS den irakischen Autoritäten alle Mühe bereiten, diese einzudämmen, und der Rest der Welt schon einen neuen Irakkrieg aufziehen sieht, hat sich die Gruppierung obendrein als wahres Produkt der heutigen Zeit erwiesen.

„Heutzutage braucht jeder eine Social-Media-Kampagne und, wie es scheint, selbst die politischen Bewegungen im Nahen Osten. Diese Art von extrem zielgerichtetem Marketing und der Aufbau einer Online-Community, wie sie gerade von ISIS an den Tag gelegt wird, ist etwas, das sonst von großen Firmen gemacht wird, um ihre Produkte unter die Menschen zu bringen“, sagte Dinah Alobeid—eine Sprecherin von Brandwatch, einer Firma, die die Wirkung von Firmen in den sozialen Medien analysiert—gegenüber VICE News. „Wenn man von den politischen und menschenrechtstechnischen Aspekten dieser Angelegenheit absieht, hat ISIS ein sehr gutes Gespür dafür, ihre Zielgruppe zu erreichen und einzubinden, und außerdem, ihre Anliegen und Neuigkeiten über soziale Netzwerke hoch interessierten Individuen mitzuteilen.“

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ISIS’ Stärke liegt in dem Wiedererkennungswert der eigenen Marke, der Reichweite des Netzwerkes und der Möglichkeit, ihre Twitter-Präsenz durch eine Kombination aus sorgfältig erstellten „offiziellen“ Posts wie auch durch die schiere Anzahl begeisterter Fans, die ihre Inhalte auf der ganzen Welt teilen, noch mal ordentlich zu pushen.

„Es gibt unterschiedliche ISIS-Abteilungen in den sozialen Netzwerken: den offiziellen ISIS-Media-Account, über den alle Videos veröffentlicht werden; lokale ISIS-Accounts, über die Live-Feed-Informationen und Bilder veröffentlicht werden; ISIS-Mudschahedin-Accounts, über die die Kämpfer sich über ihre Erfahrungen und den Alltag austauschen; und die der vielen ISIS-Unterstützer, die gegen die Propaganda und Lügen von Westlern, Schiiten und Tyrannen angehen“, erklärte Abu Bakr al Janabi—ein eifriger ISIS-Unterstützer, der oft die Meldungen der Gruppe übersetzt und verbreitet—gegenüber VICE News.

„Die Onlineplattformen sind sehr gut, um ein Netzwerk aus guten Verbindungen und Rekrutierungsmöglichkeiten aufzubauen“, fügte er hinzu. „Die Kämpfer teilen ihre Erfahrungen im Kampf und ermuntern andere Menschen dazu, sich zu erheben. Die Schar von Unterstützern verteidigt und übersetzt wiederum die ISIS-Statements.“

Dieser Ansatz—eine kontrollierte zentrale Message gepaart mit einer Vielzahl von Stimmen—scheint wirklich gut funktioniert zu haben.

„Während in den Medien davon berichtet wurde, dass die Gruppe die App nutzt, um ihren eigenen Einfluss größer aussehen zu lassen, als er tatsächlich ist, hat sie ihnen aber auf jeden Fall im Internet Aufmerksamkeit eingebracht und eine Diskussion über ihre Online-Strategien losgetreten. Egal, ob die Social-Media-Präsenz der Gruppe tatsächlich den Zahlen gerecht wird und diese große Wirkkraft hat, hat ISIS in jedem Fall viel Land im Internet gewonnen“, sagte Alobeid. „Aus einer Marketingperspektive gesehen ist es offensichtlich, dass ISIS einen sehr überlegten Social-Media-Ansatz fährt, der darauf aus ist, neue Mitglieder zu rekrutieren und interessierte Einzelpersonen miteinander zu verbinden, um eine vereinte Front zu bilden. Sie stellen sich selber als transparente Organisation dar, die News und Updates über ihr Anliegen teilt.“

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— June

Während ISIS in Syrien vielleicht einige Konkurrenten hat, gibt es davon im Irak kaum welche.

„ISIS ist zweifellos die beste Gruppierung, was die Nutzung sozialer Netzwerke angeht, und im Irak hat sie schon eine Monopolstellung eingenommen“, sagte uns Aymenn Al-Tamimi—ein Mitglied des Middle East Forum, das schon seit einiger Zeit die Social-Media-Auftritte der militanten Gruppierungen in Syrien verfolgt. „Es hat viele Vorteile, öffentlich in dieser Art und Weise für sich zu werben—gerade wenn es darum geht, Bekanntheit und Unterstützung von Außen zu erlangen. Das ist vor allem hilfreich bei dem Aufbau des Staates, den sie gerade in ihrem Territorium erschaffen.“

Letzte Woche löschte Twitter mit dem Verweis auf seine Richtlinien bezüglich Droh-Inhalten einige ISIS-Accounts, was allerdings kaum die Flut brutaler Bilder eindämmte, die die Gruppe während ihres Vorstoßes im Irak veröffentlichte. Dawn, das im April an den Start ging, erreichte, wie The Atlantic berichtete, letzten Dienstag den bis dato Höhepunkt seiner Nutzung, als ISIS-Kämpfer Mossul stürmten und die App-User fast 40.000 Tweets an einem einzigen Tag posteten.

Es liegt allerdings in der Natur von Social-Media-Kampagnen, dass den Usern ein großer Teil der Kontrolle über die Inhalte überlassen wird (erinnerst du dich noch an den #myNYPD-Twitter-Fail?) und ISIS bildet da keine Ausnahme.

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— February

„Es ist klar, wer die offiziellen Accounts pflegt—die Organisation ist zentralisiert—aber dann gibt es auch noch die ganzen Fanboys und niemand hat irgendeine Kontrolle darüber, was sie machen“, sagte Al-Tamimi. „Ich glaube, diese Fanboys scheinen eher die Seite von ISIS widerzuspiegeln, die weniger offen für Dinge wie Kompromisse mit anderen Gruppierungen ist, die Seite, die viel parteiischer ist.“

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Wie Twitter-Nutzer auf der ganzen Welt haben auch die ISIS-Mitglieder die Plattform genutzt, um Bilder aus ihrem Alltag zu teilen—inklusive Selfies, Essensfotos und mit Vintage-Filter.

„Immer mal wieder geben ISIS-Kämpfer Ratschläge, wie man den islamischen Prinzipien treu bleibt, aber einige Unterstützer können auch sehr emotional werden“, sagte al Janabi und fügte hinzu, dass „alle richtigen Neuigkeiten über die offiziellen ISIS-Accounts verbreitet werden.“

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Die Offiziellen sind mit ihren Posts in der Regel direkter, obwohl Al-Tamimi sich daran erinnert, wie einer dieser Accounts vor einigen Monaten ein Bild twitterte, auf dem Kämpfer an einem Pool in Latakia chillen.

„Derartige Darstellungen von Annehmlichkeiten, die man auch als Kämpfer haben kann, sind aber in der Regel nichts, was die offiziellen Medienkanäle von ISIS verbreiten. Es ist mehr eine Sache der ISIS-Kämpfer selber, die mit solchen Luxusgütern werben, um Menschen anzulocken und zu zeigen, dass das Leben dort nicht nur ein Albtraum und harte Schufterei ist und dass du eben auch Dinge wie Schokoriegel haben kannst“, sagte er. „Das Problem dabei ist aber, dass es als zu große Fokussierung auf die materielle Welt gesehen werden kann. Es gab heftige Diskussionen unter den Fanboys, ob diese Einlassung mit derartig unumwundenem Materialismus akzeptabel ist. Daraufhin gab es dann eine Gegenkampagne, die versuchte, die Schwierigkeiten aufzuzeigen, denen sich die Kämpfer in Syrien ausgesetzt sahen.“

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— June

Während sie regelmäßig Bilder, viele davon grausam und bearbeitet, von Märtyrern und Feinden posten, verhalten sich ISIS-Mitglieder auf Twitter wie jeder andere. Einige haben schon auf ISIS’ Vorliebe für süße Kätzchen verwiesen—dem Social-Media-Klischee schlechthin.

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Das allerdings, sagte al Janabi, habe nichts mit einem Versuch zu tun, viral zu gehen.

„Die Katzen auf den Bildern haben nichts mit einer Medienstrategie zu tun, die Macher versuchen nur, Abu Huraira nachzuahmen, einem Mitstreiter des Propheten, der für seine Vorliebe für Katzen bekannt ist“, sagte er. „Sogar der Prophet selber hatte Katzen.“

Am Ende fügte er noch hinzu, dass ISIS-Kämpfer und ihre Unterstützer nur „normale“ Typen seien, die Twitter genau wie alle anderen nutzen würden.

„Wir sind normale Menschen, die gerne miteinander rumalbern, Witze machen, lachen und so weiter“, sagte er. „Wenn es aber um den Schutz der eigenen Leute geht, dann sind wir gegenüber unseren Feinden sehr brutal.“

Und es gibt wirklich eine Menge von Tweets und Instagram-Posts mit enthaupteten und gekreuzigten Feinden, die das bestätigen.