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Fotos

Auf und in die Fresse mit Jonathan Auch

Mit seinen Fotos aus den Straßen von New York City will Jonathan Auch die unterschwellige Gewalt sichtbar machen, die seiner Meinung nach dort vorherrscht. Immer. Und überall.

Alle Fotos: Jonathan Auch

Im Meer der amerikanischen Straßenfotografien stechen Jonathan Auchs Bilder als einzigartige und widersprüchliche Mischung aus Mut, Verschwommenheit und Körnigkeit hervor. Auch wird von Nachkriegsfotografen aus Japan und von amerikanischen Gesellschaftsdokumentaristen der 60er und 70er Jahre beeinflusst und bezieht sich dazu ebenfalls auf Künstler wie Caravaggio und Goya. Dennoch sind seine Arbeiten eindeutig fotografisch und abhängig von entscheidenden Momenten und der Direktheit der Kamera. Auch schreibt seinen Motiven eine allegorische Bedeutung zu—dabei sind seine Motive vergängliche und austauschbare Figuren der urbanen Landschaft von New York City, von denen aus nächster Nähe und in Aufsehen erregenden Details ein Foto gemacht wird.

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Das Ganze führt dann zu Bildern, die in der Tradition der großen Straßenfotografen von damals entstehen, aber trotzdem einen konkreten Bezug zur Gegenwart haben. Jeder Kritiker wird dir sagen, dass es zu den schwierigsten Disziplinen der Fotografie gehört, ein gutes Bild auf der Straße zu machen. Das Erschaffen von etwas Neuem wird durch die unglaublich gute Straßenfotografie von vor einem halben Jahrhundert nochmals erschwert.

Ein zeitgenössischer Einfluss von Jonathan Auch springt dir beim Betrachten seiner Bilder sofort ins Auge: der Straßenfotograf und Kritiker Bruce Gilden. Als Auch seine Arbeiten bei unserer Show Take It or Leave It einreichte, hat Gilden die Fotos als die besten Werke eines jungen Fotografen bezeichnet, die wir ihm bis dahin gezeigt hatten. Und das will etwas heißen. Ich habe mich mit Auch getroffen, um über das Konzept der Schönheit zu diskutieren, um über den aktuellen Stand der Straßenfotografie herzuziehen und um festzuhalten, dass dich der Besitz einer Leica-Kamera nicht automatisch zu einem guten Fotografen macht.

VICE: Die Ästhetik deiner Bilder erinnert mich an japanische Nachkriegsfotografen wie Daidō Moriyama, beziehungsweise allgemein an die Provoke-Bewegung.
Jonathan Auch: Nun, ich stehe auf die japanischen Fotografen aus der Provoke-Ära. Wenn ich meine Einflüsse auf eine Bewegung beschränken müsste, dann wäre das auf jeden Fall die Provoke-Bewegung.

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Du bist an das Art Center College of Design in Pasadena, Kalifornien gegangen.
Das ist eine technische Schule, die einst mal als handwerkliche Schule fungieren sollte. Dort zu studieren, ist kein Zuckerschlecken und man ist sehr darauf bedacht, dir die traditionellen Design- und Illustrationstechniken beizubringen.

Irgendwann hatte ich es satt, so viel Geld für die Studiengebühren zu bezahlen. Ich habe darüber nachgedacht, was ich mit den Fähigkeiten anfangen kann, die ich dort beigebracht bekam. Ich sah keinen Reiz darin, Illustrationen für die russische Vogue anzufertigen. Ich hatte etwas zu sagen, das eher dem Gegenteil davon entsprach. Deshalb habe ich mir eine Auszeit genommen und damit begonnen, mich mit Bildern zu beschäftigen. Ich bin nach Europa gereist und habe mir dort auch meine erste Kamera gekauft. So bin ich zur Straßenfotografie gekommen.

Welche Kamera war das?
So ein alter Nikon-Prügel.

Ich frage bloß, weil es immer den Anschein macht, als seist du auch an der technischen Seite interessiert.
Die technischen Aspekte helfen einem schon weiter, aber ein gutes Foto kannst du mit allem Möglichen schießen—sogar mit einem Handy, auch wenn ich da jetzt noch keine tollen Bilder gesehen habe. Theoretisch ist das aber möglich.

Du hast noch keine guten Fotos gesehen, die mit einem Handy aufgenommen wurden?
Ich will damit nicht sagen, dass sie nicht existieren. Die Leute verwechseln ihre Smartphones nur mit einer richtigen Kamera. Da bestehen jedoch gewaltige Unterschiede. Handybilder sind scheiße und nicht hochauflösend. Ein Handy ist halt eben keine Kamera. Ich habe noch nie erlebt, wie jemand ein Mobiltelefon auf eine provokante oder interessante Art und Weise verwendet hat. Aufrüttelnde Bilder müssen nicht unbedingt immer scharf sein—die Hälfte von Moriyamas Fotos sind unscharf oder verschwommen. Aber aus genau diesem Grund sind manche von ihnen ja so faszinierend.

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Hast du überhaupt eine fotografische Ausbildung abgeschlossen?
Nein, aber Fotografie ist meiner Meinung nach nichts wirklich anderes als Zeichnen.

Ich meine, für den richtigen Gebrauch einer Kamera ist ja auch ein gewisses technisches Wissen vonnöten.
Ach, welches technische Wissen ist denn heutzutage denn noch nötig? Für viele meiner Bilder benutze ich so etwas.

[Auch holt zwei kleine Kompaktkameras aus seiner Tasche und legt sie auf den Tisch.]

Das habe ich jetzt nicht erwartet. Beim Betrachten deiner Bilder habe ich immer den Eindruck, dass man dafür an der Kamera schon alles genau richtig einstellen muss.
Das sind nur kleine Kameras ohne Spiegel. Darauf kommt es aber auch nicht an. Nimm einfach das, was dir zur Verfügung steht. Mit einer Leica könnte man die gleichen Fotos schießen. Ich habe jedoch kein Geld, deswegen verwende ich günstige Kameras.

Wie bist du zur Straßenfotografie gekommen? Nennst du das Ganze überhaupt so?
Klar, was auch immer mit diesem Begriff gemeint ist. Der hat schon so viele Bedeutungen, dass er schon fast nichts mehr bedeutet. Ein „Straßenfoto" könnte alles sein.

Es ist nicht leicht, ein gutes Bild auf der Straße zu schießen, vor allem in Anbetracht der legendären Straßenfotografen von damals.
Meiner Meinung nach sollte Straßenfotografie etwas Mutiges sein, das Fragen aufwirft. Das ist ein offenes Genre: Du kannst ein Foto von allem machen, was dir wichtig, attraktiv oder interessant erscheint. Ich finde die meisten Straßenfotografien von heute jedoch gestellt oder sehe sie als eine Art Witz oder schlechtes Klischee an. Für mich hat das keinen künstlerischen Wert.

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Oft will man als Fotograf gar nicht auffallen, aber du gehst ja doch ziemlich konfrontativ an das Ganze heran.
Ja, ich betrachte die Welt einfach auf einen gewisse Art und Weise und deshalb fotografiere ich auch auf eine gewisse Art und Weise. Vor seinen Gedanken, seiner Geschichte und seiner Seele kann man nicht davonlaufen. Ich glaube, dass gewisse Vorstellungen vor allem in unserem Alltag nicht angesprochen werden, und dieses Thema lässt sich mit Straßenfotografie sehr gut bearbeiten.

Hast du feste politische Überzeugungen?
Ja.

Werden dadurch deine Arbeiten beeinflusst?
Unser Wirtschaftssystem lenkt die Welt und damit auch unsere Beziehungen untereinander in gewisse Bahnen. Das merke ich vor allem in New York. Irgendwie sehen wir uns hier nicht als Menschen an. In den Straßen von New York herrscht immer so immer eine Art unterschwellige Gewalt. Und das will ich nicht beschönigen, sondern lieber genau so darstellen.

Wie erkennst du interessante Szenen so schnell?
Mit der Zeit entwickelt man einen Instinkt. Wenn ich etwas sehe, das Potenzial hat, dann versuche ich, mich in den Menschenmassen so gut wie möglich zu positionieren. Dann passiert das Ganze oder eben nicht.

Werden die Leute wütend, wenn du sie fotografierst? Wie gehst du damit um?
Manchmal. Ich erzähle ihnen dann, was ich mache. Wenn es zu Handgreiflichkeiten kommt, dann verteidige ich mich auch.

Hattest du auch schon mal mit der Polizei zu tun?
Ja, sogar schon oft. Wenn du auf der Straße Fotos von Leuten machst, dann fällt das unter die Kategorie „Ungewöhnliches Verhalten". Die Polizei will eben, dass man sich normal benimmt.

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Du nimmst ja auch oftmals Leute als Motive, die vielleicht außerhalb gewisser sozialer Normen existieren.
Ich habe feste politische Überzeugungen und ich werde mich immer auf Leute konzentrieren, die am Rande der Gesellschaft leben oder auf irgendeine Art und Weise benachteiligt werden.

Findest du diese Menschen schön?
Anziehung und Abneigung gibt es nunmal. Ich finde manche von ihnen schön, andere wiederum hässlich.

Versuchst du, sie hässlich aussehen zu lassen? Sind das akkurate Abbildungen dieser Leute?
Was soll das heißen? Wenn man zehn Fotos einer Person macht, dann sind das auch zehn verschiedene Abbildungen des Wesens dieser Person. Es handelt sich ja um ein Standbild, eine festgehaltene Sekunde, und man kann es immer wieder in einen neuen Kontext setzen.

Auch interpretiert jeder Betrachter das Foto anders. Ich finde den Typen [vorhergegangenes Bild] zum Beispiel auf seine eigene Art und Weise ziemlich schön, aber andere Leute halten ihn wohl für hässlich. Was ist denn Schönheit überhaupt?

Darauf habe ich keine Antwort.
Ich auch nicht.

Mehr von Jonathan Auchs Fotos kannst du dir auf seinem Blog anschauen.