Die magische und aufwendige Welt der Lolitas

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Popkultur

Die magische und aufwendige Welt der Lolitas

Bei einer Comic-Convention habe ich herausgefunden, dass die Lolita-Subkultur so viel mehr ist als nur junge Frauen, die sich wie Puppen anziehen.

Ich befinde mich auf der wohl kleinsten Comic-Convention der Welt und halte dort nach den auffälligen Perücken und verspielten Kleidern der jungen Frauen Ausschau, die ich heute treffen soll. Nachdem ich zehn Minuten herumgeirrt bin, kommt mir endlich der rettende Gedanke und ich begebe mich auf die Toilette. Und siehe da, dort steht wirklich eine Handvoll in Pastell gekleideter Frauen vor dem Spiegel. Sie plaudern aufgeregt, helfen sich gegenseitig bei den aufwendig Outfits und tragen Augen-Make-up.

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Den Begriff "Lolita" hast du bestimmt schon mal irgendwo gehört. Die Lolitas, mit denen ich heute abhänge, haben aber nichts mit der sexuellen Konnotation am Hut, die dem Begriff eigentlich anhaftet. Nein, sie gehören stattdessen einer Subkultur an, in der sich alles um einen japanischen Modetrend dreht, der in den 90er Jahren aufkam.

Außenstehende vergleichen Lolitas am häufigsten mit Porzellanpuppen. Ihr Stil hat in Wahrheit aber viel mehr Nuancen, wird von den viktorianischen und edwardianische Epochen beeinflusst und ist in drei Hauptkategorien aufgeteilt—süß, gothic und klassisch. Die aus Japan importierten Kleider kosten dabei mehrere Hundert oder gar mehrere Tausend Euro. Und trotzdem hat sich in der westlichen Welt ein richtiger Kult um die Lolita-Fashion entwickelt. So gibt es in der kanadischen Stadt London, wo auch die Comic-Convention stattfindet, eine Lolita-Gruppierung mit mehr als 500 Mitgliedern. Und nein, das Ganze hat nichts Sexuelles an sich. Eher im Gegenteil.

Oasis (links) und Jenna

Ich quetsche mich in eine Ecke neben den Waschbecken und fühle mich in meinen normalen Kleidung fast schon langweilig. Dann höre ich den Lolitas dabei zu, wie sie sich über die ganzen falschen Vorstellungen aufregen, die viele Leute von ihrem Lifestyle haben.

"Allein schon der Name ist schrecklich. Die Japaner haben halt gedacht, dass 'Lolita' niedlich und weiblich klingt", erklärt mir Oasis, während sie sich und ihr Outfit im Spiegel betrachtet—ein pastellgrünes Kleid mit Rosenmuster, abgerundet mit einem Korb und unechten Blumen.

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"Manche Leute haben uns schon für Pädophile verantwortlich gemacht", sagt Shalane und perfektioniert anschließend ihren Kimono-Look. "Oder sie ziehen uns den Rock hoch und sagen dann: 'Na, was haben wir denn da drunter?'"

Diese bizarre Sexualisierung der Lolitas könnte nicht realitätsferner sein. Die jungen Frauen bevorzugen nämlich Outfits, die übers Knie gehen, und in der Community herrscht auch eher das Motto "Mit Reizen sollst du geizen". Und dennoch sind es Lolitas wie Oasis oder Shalane schon gewohnt, dass fremde Menschen sie auf der Straße anstarren, fotografieren oder sogar verfolgen.

Es gibt zwar auch die sogenannten "Lifestyle-Lolitas", die ihre Outfits sogar im Alltag tragen, aber die jungen Damen, mit denen ich den Tag verbringe, machen sich normalerweise nur für spezielle Anlässe schick, z.B. Äpfelpflücken, ein Besuch im Aquarium oder Sushi-Dates. Heute tragen sie ihre Kleider für eine Fashion-Show sowie ein Teekränzchen.

Valentina (links) und Enith

Im Backstage-Bereich erzählt mir die aus Panama stammende Enith, ein neues Mitglied der Community, was ihr an dem Lolita-Stil gefällt: "Wenn du als Lolita auftrittst, dann machst du das für dich selbst—damit du dich feminin und elegant fühlst. In unserer Gesellschaft ist die weibliche Kleidung oft nur darauf ausgelegt, dem männlichen Auge zu gefallen. Und das finde ich richtig traurig." Dann zeigt mir Enith noch ihr Outfit—ein hellbraun-cremefarben gestreiftes Kleid mit burgunderroten Strümpfen—und begibt sich anschließend für die Fashion-Show in Position.

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Nachdem Meagan, eines der Gründungsmitglieder der Londoner Lolita-Gruppierung, die Frauen vorgestellt und Fragen aus dem Publikum beantwortet hat, erzählt sie mir, wie die London Ontario Lolitas überhaupt entstanden sind.

Meagan (links) und Heather

"Meine Freundin Sophia hat das Ganze damals vor gut fünf Jahren während der High School ins Rollen gebracht. Ich war dann eine der Ersten, die sich für diesen Lifestyle interessiert hat und die Gruppierung zu dem formte, was sie heute ist", erzählt mir die 20-Jährige. "Unsere Community ist wie eine große Familie und wir passen aufeinander auf. Gegenseitiger Respekt ist uns sehr wichtig."

Manchmal gibt es aber auch Schwierigkeiten. Nach einem Zwischenfall auf dem Weg zu einem Treffen musste Meagan vergangenen Sommer zum Beispiel ein neues Mitglied wieder aus der Lolita-Gruppierung werfen. Besagtes neues Mitglied hatte nämlich einen schwarzen Security-Mitarbeiter rassistisch beleidigt.

"Sie wurde sogar fast verhaftet", erzählt Meagan. "Sie hat psychische Gesundheitsprobleme und ich habe ihr dann erklärt, dass sie sich gerne weiter als Lolita verkleiden kann. Für unsere Community ist ein solcher Zwischenfall jedoch Gift, weil wir so schnell in öffentliche Ungnade fallen."

Obwohl in der Community sowohl online als auch im echten Leben darauf geachtet wird, dass es zu keinen Streitigkeiten kommt, führen die Outfits manchmal zu Spannungen zwischen den Mitgliedern. "Wenn wir als Admins dann partout nicht mehr vermitteln können, bitten wir die streitenden Parteien einfach darum, sich wie normale Menschen zu verhalten", erklärt Victoria, eine Moderatorin der internen Facebook-Gruppe. Außerhalb dieser sicheren Gruppen ist Cyber-Mobbing für die Lolitas zudem leider keine Seltenheit.

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Milky Swan

Milky Swan, eine 28-jährige Lolita und Lehrassistentin, lädt mich zu sich nach Hause ein, wo wir uns erst ihre beeindruckende Sammlung von 14 Kleidern sowie unzähligen Accessoires ansehen und anschließend über das Cyber-Mobbing reden, mit dem sie sich im Internet konfrontiert sieht.

"Viele Lolitas, die nicht unserer Community angehören, können online wirklich fies sein", erzählt sie mir. Sie erwähnt den Blog Behind the Bows, wo Lolitas die Fotos von anderen Lolitas posten und anschließend darüber herziehen. Der Ausdruck "ita" ist eine abfällige Bezeichnung für eine Lolita-Anfängerin und lässt sich besonders häufig lesen. Milky Swan hat aber schon viel Schlimmeres erlebt. Einmal hat ein Hater sogar ein "normales" Bild von ihr durch den Dreck gezogen.

Inzwischen ist es 20:00 Uhr und Londons Lolita-Community ist in einem Nebenzimmer der Comic-Con auf eine Tasse Tee zusammengekommen. Von Drama fehlt hier jede Spur. Nein, man unterhält sich stattdessen angeregt, verdrückt kleine Sandwich-Happen sowie rosa Makronen, malt Papierpuppen an und kichert vergnügt. Im Hintergrund läuft J-Pop-Musik.

Nach einem ganzen Tag mit der Lolita-Gruppierung verabschieden meine Fotografin und ich uns von den jungen Frauen. Als wir gehen, sagt Victoria abschließend noch zu uns: "Wenn ihr das nächste Mal vorbeischaut, verkleiden wir euch auch!"

Noch mehr Fotos von den Lolitas findest du auf Hayley Stewarts Website.