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Die Mauer ist gefallen und alle Berliner sind Schuld daran

Ein Stück aus der hässlichen East Side Gallery wurde heute versetzt, weil unsere Poliker zu populistisch und inkompetent sind, weil wir zu lange faul und ignorant waren und die Initiatoren der Protestbewegung uns für ihre eigenen wirtschaftlichen...

Die Mauer ist gefallen! Einigkeit und Recht und Freiheit! Was für ein historischer Moment das heute morgen war, als ich das Radio einschaltete und mir berichtet wurde, dass die Mauer gefallen sei!

Irgendwas passt hier nicht, dachte ich mir. Ich musste mich kurz sortieren, um dann festzustellen, dass 1989 schon lange vorbei ist und dass es im Jahr 2013 nicht mehr en Vogue ist zu jubeln, wenn Mauern durchbrochen werden. Stattdessen übt man sich in den sozialen Netzwerken in fassungslosem Entsetzen, windet sich in grenzenloser Trauer und propagiert einen gerechten Zorn, der den inszenierten Trauerfeierlichkeiten bei den Steinzeitkommunisten in Nordkorea zu Kim Jong-ils Tod kaum nachsteht. Aber stellen wir uns doch mal die Frage, wer sich in den vergangenen Jahren um die East Side Gallery wirklich geschert hat? Wer war dort und hing mit den Touristen ab? Wer hat dort der 245 Maueropfer gedacht und Blumen niedergelegt? Ich zumindest nicht, aber ich habe wohl etwas verpasst, denn es hat den Anschein, als hätte sich ganz Berlin jedes Wochenende an der Mauer versammelt und dieser Betonsperre gehuldigt. Was uns aber anscheinend allen entgangen ist, ist dass die Entscheidungen, die nun die Gemüter der Berliner so erregen, bereits vor Jahren in aller Öffentlichkeit getroffen wurden und in den betreffenden Bezirken von einer breiten Mehrheit getragen wurden. Zuerst sollte man also der Richtigkeit halber festhalten, dass das Mauerstück, das heute die Gemüter so erzürnt, gar nicht, wie in den Medien kolportiert, abgerissen, sondern um ein paar Meter versetzt wird. Ebenfalls falsch ist die Annahme, dass Luxuswohnungen der alleinige Grund dafür sind. Die Mauer wird geöffnet, um Zugang zu einer neuen Fußgängerbrücke zu schaffen. Dieser Brückenbau zwischen Friedrichshain und Kreuzberg und der dafür notwendige Mauerdurchbruch zur Mühlenstraße war 2008 in einem Bürgerentscheid durchgewunken worden.

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Dieser Bürgerentscheid besagte jedoch auch, dass keine neuen Hochhäuser an der Spree errichtet werden dürfen. Warum wird nun ein 63-Meter-Wohnhaus an das Ufer gebaut? Nun, die Planungen für diesen Bau sind älter als der Bürgerentscheid und der Investor hat bereits seit 2005 ein vom Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg abgesegnetes Baurecht. Irgendwer hat dort wohl geschlafen. Das alles ist seit Jahren bekannt und öffentlich. Selbst das ansonsten so strenge und überkorrekte Denkmalschutzamt hat dem im Vertrag zugesicherten Durchbruch für Brücke und Haus Thumbs up gegeben und jetzt müsste man schon anfangen, Investoren zu enteignen, um das alles rückgängig zu machen. Doch alleine die Schlagzeile „Rechtsstaat enteignet Bonzenbürger im Todesstreifen“ würde die enormen Kosten und vor allem den Schaden, den Berlin und unser Gesetz nehmen würden, rechtfertigen, oder? Die Realität ist aber leider, dass wir in Berlin Hungerleidende sind. Berlin ist und war (dank der Mauer ja auch schon historisch) so arm, dass es nur durch Subventionen am Leben gehalten wird. Das ist natürlich beschissen und die Schuld trifft vor allem die Berliner Politik, doch was Berlin benötigt, um eben auch die Arbeitslosenquote von 13,7 % (bundesdeutscher Durchschnitt ist zum Vergleich 5,4%) in Friedrichshain-Kreuzberg zu bekämpfen und die Bezirke überhaupt am Laufen zu halten, bevor sie sich in Slums verwandeln, ist Geld. Geld, das dummerweise von Investoren kommen muss.

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Man wundert sich deshalb ein wenig, weshalb nun auch die Politik plötzlich anfängt, wie verrückt die East Side Gallery zu instrumentalisieren. Große Reden werden wieder geschwungen und die Rettung dieses historischen Ortes wird zum großen Politikum erklärt und mit Priorität behandelt (neben der voraussichtlichen Fertigstellung des Flughafens im Jahr: niemals). Aber sieht man es sich genauer an, folgen alle dem schleimigen Beispiel des Brandenburger Ministerpräsidenten Platzeck, der, sofort nachdem er Chef des noch zu bauenden Flughafens wurde, eine populistische Politik sondergleichen salonfähig machte, und sich populistisch auf die Seite der Lärmgegner schlug und dadurch den zukünftigen Hauptstadtflughafen endgültig zu einem höchstpeinlichen Provinzflughafen degradierte. Kein Wunder also, dass sich die Berliner Politik auch ein Beispiel daran nimmt, wie einfach es ist, sein Fähnchen nach dem Wind zu richten und sich so Wählerstimmen zu sichern. Stadtentwicklungssenator Michael Müller, dessen Behörde zwar an der Aufstellung des Bebauungsplans durch den Bezirk formal beteiligt war, schiebt nun alle Verantwortung an den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, dessen Bürgermeister Frank Schulz wiederum legt eine lächerlich scharfe 180-Grad-Wendung hin und protestiert nun gegen seine eigene Unterschrift, die den Durchbruch in der Mauer erst genehmigte. Wenigstens kann sich Wowereit nach seinem BER-Fiasko wieder mit markigen Sprüchen in der Öffentlichkeit präsentieren. Peinlich nur, dass er einen für gestern angesetzten Krisengipfel mit dem Investor Hinkel kurzfristig absagte, da unser Bürgermeister noch wichtige Termine in Chicago wahrzunehmen hat. Eine Ohrfeige für unseren Bürgermeister, dass vielleicht auch wegen dieses geplatzten Termins heute um 5 Uhr morgens durch die Entfernung der Mauersegmente Fakten geschaffen wurden. Auch wenn die East Side Gallery, die mit Abstand hässlichste Touristenattraktion der Stadt ist, hat sie unbestritten einen Wert für die Menschen in Berlin und trotzdem sollte man aufpassen, den Wert dieses Stückes Mauer nicht ideologisch zu überladen. Die East Side Gallery war schon immer nichts weiter als eine Uferbefestigung auf Ostberliner Seite. Sie liefert kein repräsentatives Bild davon, was die Mauer wirklich für Berlin bedeutete. Die Teile der Mauer, die Straßenzüge durchschnitten und direkte Nachbarn von einander getrennt hat, wurde schon vor langer Zeit und mit breitem Konsens abgerissen.

Die Gedenkstätte Berliner Mauer an der Bernauer Straße ist heute wohl der einzige Ort, der zumindest im Ansatz etwas über die Geschichte der zwei deutschen Staaten und die Lebensrealität damals berichten kann. Auch wenn die East Side Gallery im Vergleich dazu eine Requisite in Disney Worlds sein könnte und ein kompletter Abriss auch gar nicht zur Debatte steht, wäre ein öffentlicher und transparenter Diskurs der Politiker und Investoren für die Berliner trotz allem wünschenswert und nötig gewesen. So wäre auch deutlich geworden, dass Kritik an der Gentrifizierung Berlins zumindest an diesem Ort nicht zutreffend und verschwendete Energie ist. Es gibt an der Mühlenstraße keine Anwohner, die durch steigende Mieten vertrieben werden. Es gibt stattdessen nur eine verseuchte Brachfläche am Ufer, von der die meisten Berliner bis vor Kurzem nicht einmal wussten, dass sie hinter der Mauer existiert.

Das wirklich ernste Wohnungsproblem in Berlin findet in Kreuzberg, Friedrichshain, Neukölln und selbst im bereits kaputt gentrifizierten Prenzlauerberg statt, wo die Mieten Jahr für Jahr steigen, aber doch nicht auf einer brachen Müllhalde am Ufer der Spree. Auch die Kapitalismuskritik ist in der Form, wie sie in den Protesten vorgebracht wird, einfach nur unreflektiert. An der East Side Gallery wird nicht für etwas protestiert, wie eben für mehr soziale Wohnungsprojekte oder eine Überarbeitung der Stadtplanung, sondern dafür, dass alles so bleibt, wie es ist. Eine Stadt kann jedoch nicht statisch sein und vor allem dann nicht, wenn es drängendere Probleme gibt, wie klamme Kassen, mangelnder Wohnraum und wirkliche Gentrifizierung in anderen Stadtteilen. Auch das Argument der „Verkommerzialisierung“ der East Side Gallery ist nicht ganz richtig. Ganz sicher gab es Projekte entlang des Ufers, die zum kulturellen Leben in Berlin beigetragen haben und ich habe es selbst erlebt, doch in diesem Kontext wird leider auch nur zu gerne vergessen, dass die Mauer bereits seit Jahren durch Clubs und Bars, Hostels und Souvenirstände verkommerzialisiert ist. Wirklich alternative Projekte an der Spree sind schon lange rar geworden. Vermeintlich „alternative“ Nachfolgeprojekte wie das geplante Kreativen-Bar25-Ghetto namens „Holzmarkt“ oder diverse andere Clubs geben sich nur nach außen hin diesen Anstrich, da auch sie nach den Regeln des Kapitalismus funktionieren und ihre Betreiber wissen, dass sich alles, was „alternativ“ ist, in Berlin ganz gut verkauft und sofort einen Sympathiebonus kassiert. Wenn man es sich aber genauer ansieht, muss man leider feststellen, dass dort, wo Gegenkultur propagiert wird, mehr Berlin Mitte drinsteckt, als in Mitte selber ist. Bizarr ist also, dass viele der Initiatoren von Mediaspree versenken! und anderer Protestbewegungen gegen den Ausbau des Spreeufers tief und eng mit der Berliner Clubkultur verbunden sind. Die meisten der Initiatoren sind selber Clubbetreiber oder Leute, die durch Clubs oder unter dem Banner „alternativer Lebenskultur“ Geld verdienen. Ganz klar haben sie deshalb auch ganz eigene Vorstellungen zur Kommerzialisierung dieses Bereichs und wirtschaftliche Interessen. So packen sie neben große Worte wie „alternative Kulturszene“, „Erinnerungskultur“ und „Sehnsuchtsort“ auch einen der wohl praktischeren Gründe ihres Protests ganz offen auf ihre Webpage: „Die Bebauungspläne weisen eine Durchmischung der bisherigen Gewerbe durch eine Vielzahl an Wohnungen aus, was insbesondere durch die Schallübertragung am Wasser zu massiven Nutzungskonflikten führen wird. Nach Einschätzung der Clubcommission werden dadurch bis 2020 die Avantgarde-Clubs aus dem Spree-Areal fast vollständig verschwinden.“ Obwohl in Berlin die Wohnungen knapp sind, stellen sich die Clubbetreiber also aus eigenen wirtschaftlichen Interessen dagegen, dass in Berlin zusätzlicher Wohnraum geschaffen wird, obwohl ihnen klar sein sollte, dass die zukünftigen Bewohner des Turms an der Spree ansonsten mit großer Wahrscheinlichkeit in einem anderen Viertel mit akuter Wohnraumnot wirkliche und knallharte Gentrifizierung betreiben würden. Wie hedonistisch, wie bigott.

Keiner der Beteiligten dieser Farce hat wirklich eine weiße Weste und wir alle laufen Gefahr, instrumentalisiert zu werden, von wem auch immer. Gemauschel, Populismus und ein seltsam naives Weltbild gehen Hand in Hand und werden schließlich für eigene Interessen eingespannt.

Und wenn es sogar soweit ist, dass David Hasselhoff Einfluss auf die Stadtpolitik Berlins hat, dann kann man auch gleich aufs Land ziehen, denn das Bauerntheater kann dort auch nicht peinlicher sein als das in Berlin.