FYI.

This story is over 5 years old.

Popkultur

Die schmutzigen Geheimnisse Babylons

Kenneth Anger kennt sie alle und hat die Ästhetik Hollywoods zu ein paar der eindrücklichsten und emblematischsten Kurzfilme getrieben, die je gemacht wurden.

Ein paar Tage vor meinem Interviewtermin mit Kenneth Anger bekam ich es ein wenig mit der Angst. Ich stellte mir eine gruselige Szene vor, in der ich dem 85-jährigen Filmemacher in einem düsteren, sehr altertümlichen Zimmer gegenübersitze, während er von meinen Interviewfragen immer genervter wird. Und, obwohl ich an solche Dinge nicht glaube, begann ich zu fürchten, dass er einen thelemischen Fluch über mich aussprechen würde, wenn ich es mit meiner Fragerei zu sehr auf die Spitze trieb. Es wäre nicht das erste Mal. Ob mich dieses Schicksal nun ereilt hat, ist schwer zu sagen, aber zumindest bekam ich das, wofür ich gekommen war. Ich wollte mit Kenneth reden, weil er für mich jemand ist, der die Ästhetik Hollywoods zu ein paar der eindrücklichsten und emblematischsten Kurzfilme getrieben hat, die je gemacht wurden. Ein Großteil seiner Arbeiten, besonders Rabbit’s Moon, Scorpio Rising, Kustom Kar Kommandos, Lucifer Rising und Mouse Heaven, pervertieren auf subtile Weise die amerikanische Ikonografie, soziale Normen und Überzeugungen. Kenneth schrieb zudem die Bücher Hollywood Babylon und Hollywood Babylon II—detaillierte Schilderungen verschwiegener Skandale der Stars der Stummfilmära bis zu den 60ern. Ein paar der Behauptungen der Bücher sind zwar von Kritikern in Zweifel gezogen worden, aber was wissen die schon. Sie waren ja nicht dabei. Und vor der Zeit gesellschaftlicher Plagen wie People, InTouch und Us Weekly, war es für berühmte Menschen sehr viel einfacher mit ihren Missetaten davonzukommen, als es das heute ist. Sechs Jahre nachdem die Originalausgabe in Frankreich erschienen war, kam das Buch 1965 in den USA heraus. Es dauerte nur wenige Tage, bis es verboten und aus den Regalen entfernt wurde—bis 1975 eine neue Ausgabe erschien. Während meines Besuchs in L.A. anlässlich des Interviews tauchte komischerweise immer wieder zufällig sein Name auf. Als ich das Museum of Death auf dem Hollywood Boulevard besuchte, und im Gespräch mit dem netten Besitzerpaar seinen Namen erwähnte, sagten sie, dass sie seit Jahren mit „Ken“ befreundet wären und er sie seitdem mindestens dreimal (davon einmal über den Anrufbeantworter) verflucht hätte. Er schickt ihnen auch täglich alle möglichen Dinge per Post—Briefe, Notizen, Bücher und kleine Päckchen—anscheinend, weil er die Post und die Leute, die da arbeiten, mag, und weil es ihm Spaß macht, Leuten Dinge zu schicken. Ein weiterer seltsamer Zufall ereignete sich an einem freien Nachmittag, an dem ich die unglückliche Entscheidung traf, bei der Dearly Departed Tour mitzufahren, einer Busexkursion durch L.A., die zu den Schauplätzen berüchtigter Hollywoodskandale und -tode führt. Der Guide kam mehr als einmal wütend auf Kenneth zu sprechen, den er als „Tyrann“ und „Lügner“ bezeichnete. Er bezichtigte ihn sogar, die Todesumstände des 20er-Jahre-Sternchens Marie Provost frei erfunden zu haben. Während eines Mittagessens mit John Gilmore, wurde Kenneth erneut zum Gegenstand des Gesprächs. John brachte es besser als alle anderen auf den Punkt, als er den Regisseur als „ikonoklastischen, altertümlichen und experimentellen Filmemacher und den Stachel im Fleische Hollywoods“ bezeichnete—einen „selbst ernannten spirituellen Magier, aus den Zeiten, bevor die Ära des Glamour begann“. Er erzählte dann gleich noch die Geschichte, wie Kenneth bei der Beerdigung ihres gemeinsamen Freundes, des Regisseurs Curtis Harrington, auf dem Hollywood Forever Cemetary auftauchte und einen schwarzen Regenmantel, Eyeliner und Nagellack trug. Sein Hemd war bis zum Nabel hinunter aufgeknöpft, sodass das riesige Luzifertattoo auf seiner Brust zu sehen war, und er hatte einen knabenhaften Fotografen dabei, der Fotos machte, während Kenneth Curtis’ Leiche vor dessen Verbrennung küsste. Bevor er vom Friedhof flog, überreichte Kenneth John noch eine kleine Vampirfigur, die einen Behälter mit Pfefferminzbonbons enthielt, aber, wie er erklärte, ursprünglich ein Behälter für gerippte Kondome gewesen war. Am Ende lief unser Interview aber sehr gut, oder zumindest empfand ich das so. Kenneth war höflich, wenn auch etwas reserviert, und die einzigen komischen Momente während unseres Gesprächs waren die kurzen Momente des Schweigens, nachdem er eine Frage beantwortet hatte. Manchmal fiel ihm dann noch etwas ein und er fing noch einmal zu sprechen an, aber meistens schaute er mir nur in die Augen und sagte: „OK?“, um anzudeuten, dass er mit der Frage fertig war. Am Ende des Gesprächs war es völlig klar, dass er eine wandelnde Schatzkiste der Hollywoodgeschichte ist: Er treibt sich schon länger im Herzen Hollywoods herum und kennt es besser als jeder andere. VICE: Liebst du Hollywood eher oder verachtest du es?
Kenneth Anger: Ich habe zwar hin und wieder gemischte Gefühle, aber im Prinzip mag ich es sehr gern. Heute sind wir in einer ruhigen Phase, aber in den 20ern und 30ern gab es streckenweise fast jede Woche einen neuen Skandal. In letzter Zeit mangelt es an wirklich saftigen Skandalen. Hat das etwas mit der Art zu tun, wie in der Presse über Stars berichtet wird? Sind heute einfach zu viele Leute berühmt?
Nein, es waren die Persönlichkeiten dieser Leute, die irgendwie größer als das Leben selbst waren. Und es waren Genies. Nimm z. B. Charlie Chaplin. So gern er die Grenzen des Möglichen erweiterte, so leicht geriet er auch in Schwierigkeiten. In seinem Fall hieß das, dass er auf sehr junge Mädchen stand und das ist immer noch ein Tabu. Gibt es irgendwelche besonders interessanten Skandale, die du in letzter Zeit mitverfolgt hast?
Ich habe eine ziemlich gute Antenne für alles, was in Hollywood läuft, und es hat sich einfach beruhigt. In den 60ern kochte es mit der Manson-Geschichte noch mal hoch, aber inzwischen sind die Dinge wieder ganz ruhig. Und du musst es wissen. Du hast das meiste schließlich miterlebt. Und du hast schon, bevor du Teenager warst, Filme gemacht. Wann hast du dir zum letzten Mal einen dieser Filme angeschaut?
Ich habe sie mir nicht wieder angeschaut; sie sind archiviert. Ich habe damals auf 16 mm gefilmt. Heute arbeite ich lieber digital. Warum Kurzfilme? Hat es dich nie gereizt, einen Spielfilm zu machen?
Nun, kürzere Filme konnte ich aus meinem privaten Budget bestreiten und ich vergleiche meine Filme gern mit Gedichten—ich betrachte mich als Filmpoeten. Und 15 Minuten bis eine halbe Stunde kann ich gut aus meinem eigenen Budget finanzieren. Meine längsten Filme sind bis zu 40 Minuten lang, aber Spielfilme haben mich seltsamerweise nie gereizt. Heißt, dass du eine Digitalkamera benutzt, auch, dass du das Internet als Möglichkeit der Distribution deiner Filme akzeptierst?
Leider macht es das sehr einfach, die Filme illegal zu kopieren. Wir leben im Zeitalter der Piraterie. Ich habe allergrößte Probleme damit. Ich versuche meine Dinge so gut ich kann zu sichern, aber man kann sich nicht völlig vor Zugriffen schützen.

Anzeige

Die Regierung hat ja in letzter Zeit versucht, die Anwendung des Urheberrechts im Netz enger auszulegen—mit Gesetzen wie SOPA und dem PROTECT IP Act und solchen Sachen. Verfolgst du diese Dinge mit und hast du eine Meinung dazu?
[verzieht das Gesicht] Ich wünsche ihnen viel Glück. Die Leute hinter der kommerziellen Filmindustrie machen sich vor allem Sorgen, dass sie richtig viel Geld verlieren, also steht für sie viel auf dem Spiel. Es hat den Anschein, dass die Filmemacher heute eher mit dem Vertrieb als mit den Inhalten Probleme haben. Das war nicht immer so. Als du Fireworks gemacht hast, deinen ersten offiziell veröffentlichten Film, bekamst du ein paar rechtliche Probleme.
Kleinere rechtliche Probleme; der Film war 1947 einfach ein wenig zu gewagt für seine Zeit. Es war ein Pionierfilm, und er wurde an einem einzigen Wochenende gedreht, also waren es wohl andere Zeiten. Aber es war irgendwie aufregend, nicht zu wissen, was passiert. Ich hatte, nachdem ich ihn gemacht hatte, z. B. Probleme ein Labor zu finden, in dem ich ihn entwickeln konnte. Aber schließlich fand ich eins, wo sie sagten: „Es ist ja nur ein kleiner Film, also machen wir es.“ Das war das Consolidated Lab, das damals eine Tochterfirma von Republic Pictures war. Einer der Techniker war früher bei der Navy gewesen und weil es in meiner Familie ein paar echte Seemänner gab, machte er sich Sorgen, wegen [der Seemänner] in dem Film. Aber am Ende passierte nichts. Dennoch wurdest du wegen Obszönität verklagt, was damals eine schwerwiegende Beschuldigung war.
Es kam nie dazu. Es stand mal im Raum, aber passierte dann doch nicht.

Anzeige

Kenneth posiert im Aufzug des schicken und stilechten Art-Deco-Restaurants Cicada in Downtown L.A. Kaum, dass wir den Laden betreten hatten, begann er die Geschichte des Ladens als gehobenes Textilkaufhaus zu erzählen, in dem ein paar der größten Stars ihre Einkäufe zu erledigen pflegten. Foto von Mike Piscitelli

Aber der Sexologe Alfred Kinsey wurde auf dich aufmerksam, und ihr freundetet euch an. Hat er dich in deiner Arbeit ermutigt?
Ja. Kinsey machte Interviews für sein Buch Sexual Behaviour in the Human Male, und, ich weiß nicht … Was ist, wenn jemand nicht „human“, also menschlich, ist? Der Titel war irgendwie ungeschickt, aber so nannte er sein Forschungsbuch halt. Er war ja im Grunde Biologe, ein Experte für—ausgerechnet—Wespen. Als er nach L.A. kam, um seine Befragungen durchzuführen, trafen wir uns. Er kam ins Coronet Theatre, um sich eine Mitternachtsvorführung von Fireworks anzusehen, und er wollte eine Kopie für seine Sammlung an der Indiana University kaufen. Ich stimmte zu, und das war die erste Kopie, die ich je verkauft habe. Aber wir blieben bis zum Ende seines Lebens gute Freunde. War er zu dieser Zeit, als es ja schwierig war, offen über Sexualität in der Gesellschaft zu sprechen, eine Art Waffenbruder für dich, oder waren eure Interaktionen eher loserer Natur?
Als Kinsey zum ersten Mal nach Europa und Italien kam, hatte ich intensiv zur Villa von Aleister Crowley recherchiert, denn ihm gehörte dieses Farmhaus aus dem 18. Jahrhundert, dem er den Namen The Abbey of Thelema gab. Er war von Gauguin inspiriert und dekorierte die Wände mit Wandbildern, die aber explizit erotisch waren, wenn auch auf eine humoristische Art, und so wurde er aus Italien verbannt. Es waren die Anfangstage Mussolinis, der die Engländer eh nicht mochte. Es war also ein guter Grund ihn rauszuwerfen und dann hat man Crowleys Bilder weiß übertüncht. Ich habe einen Sommer damit zugebracht, die weiße Farbe wieder abzukratzen und [die Wandbilder] zu fotografieren. Das war eine interessante Form der Archäologie. Viele deiner Filme zeigen homoerotische Bilder, obwohl sie zu einer Zeit entstanden sind, als die Homosexualität technisch illegal war. Hat die Einmischung des Staates in die sexuellen Präferenzen Einzelner einen Einfluss auf deine Art des Filmemachens gehabt? Hat das je eine Rolle gespielt?
Ich habe einfach immer gemacht, was ich will. Es hat mich nie gestört und ich hatte auch nie besondere Probleme damit. Meine Filme sind nicht explizit. Obwohl man vielleicht sagen könnte, dass Fireworks auf gewisse Weise explizit war, ist er doch so symbolisch, dass es irgendwie durchging. Glaubst du, dass die Zensur manchmal vielleicht auch eine Quelle der Inspiration sein kann? Dass man manche Dinge sogar klarer ausdrücken kann, wenn man sie einfach unausgesprochen lässt?
Wir leben in einer Zeit, in der irgendwie alles erlaubt ist. Es gab Zeiten, wo man um alles, was mit Sexualität zu tun hatte, auf Zehenspitzen herumspazieren musste. So fehlt das Geheimnisvolle.
Die Tatsache, dass man heute im Prinzip alles machen kann, was man will, heißt, dass es keine Zensur gibt, die einen vom Filmemachen abhalten kann, oder die dazu führt, dass man in den Knast geworfen wird. Damals in den Anfangszeiten, in den 40ern, konnte einem so was passieren. Und dennoch waren viele der Stars, über die du in Hollywood Babylon schreibst, außerhalb der Leinwand in Aktivitäten involviert, die sehr viel skandalöser waren. Und, obwohl ich sicher bin, dass es nicht so war, kamen diese Dinge scheinbar aus dem Nichts. Du hattest fast fünf Jahre lang keinen Film mehr gemacht und dann brachtest du plötzlich all diese schmutzigen Details der Unterhaltungsindustrie ans Tageslicht.
Ich habe nie mit dem Filmemachen aufgehört, aber es stimmt, ich arbeitete an dem Buch und lebte und reiste durch Europa. Jetzt arbeite ich gerade an einem über Zeppeline, eine faszinierende, obsolete Form der Fortbewegung, mit gelegentlich explosiven Folgen, wenn man nicht vorsichtig mit ihr ist. Das scheint eine logische Fortentwicklung deiner Arbeit, aber ich vermute mal, es wird um einiges leichter werden, dafür einen Verlag zu finden, als für ein Buch, dass ein paar der berühmtesten Leute der Welt wie verhaltensgestörte Sonderlinge aussehen lässt. Wie hast du es geschafft, dass Hollywood Babylon überhaupt in die Regale kam? Ich weiß, dass die Franzosen involviert waren.
Als ich nach Paris zog, lernte ich die Leute von Cahiers du Cinéma kennen, dem wichtigsten Filmmagazin. Ich erzählte ihnen Geschichten, die ich kannte—seltsame und schillernde Geschichten über Hollywood—und irgendwann sagten sie: „Warum schreibst du nicht ein Buch darüber?“ Und so kam die erste Ausgabe von Hollywood Babylon auf Französisch heraus—in den späten 50ern in Paris. Und dann erschien eine erweiterte Fassung auf Englisch. Beruhten die meisten Geschichten auf deinem eigenen Wissen, oder warst du auf Nachforschungen und Interviews angewiesen?
Ich wusste das im Prinzip alles selbst. Als ich nach Paris kam, hatte ich schon alles absorbiert, alles was ich über die Geschichte Hollywoods wissen konnte. Wegen eurer Fotoseiten liest es sich in vieler Hinsicht wie eine Zeitschrift—so wie eine Klatschzeitschrift sein sollte.
Das war absichtlich so. Es ist ein Bilderbuch, fast eine Art Dokumentarfilm. Ich sammle schon mein Leben lang Fotos des alten Hollywood, also habe ich buchstäblich Tausende, aus denen ich wählen kann. Es ist eine Auswahl meiner Fotos, die fast so wichtig sind wie der Text. Ich wohne während meines Besuchs in L.A. im Beverly Hilton und vor dem Hotel gibt es eine Art Schrein für Whitney Houston, mit Luftballons und Kerzen etc. Aber sogar jetzt, schon wenige Wochen nach ihrem Tod, herrscht wieder business as usual. Sie ist schon wieder aus den Medien raus. Denkst du, dass sich die Öffentlichkeit an die extremen Verhaltensweisen der Stars gewöhnt hat, oder sind die Dinge einfach nicht mehr so interessant?
Sie ist im Bad eingeschlafen, ich denke, sie ist ertrunken. Aber sie hatte eine Menge Drogen im Blut, also glaube ich nicht, dass es Selbstmord war. Ich glaube es war ein Unfall. Sicher, aber worauf ich eigentlich damit hinaus wollte, ist, dass die Haltbarkeitsdauer dieser Art von Geschichten sich, seit du Hollywood Babylon geschrieben hast, extrem verkürzt zu haben scheint.
Die Branche der Entertainment-News ist heute eine gut laufende Maschine. Es kommt darauf an, um wen es geht und was passiert ist. Vor meiner Zeit gab es z. B. den Fatty-Arbuckle-Skandal und der blieb noch die ganzen 20er hindurch im Gespräch. In Whitneys Fall liegt es daran, dass es keine Geheimnisse gibt. Es war einfach ein Unfall und es ist schlimm, dass es passiert ist, aber sie war wohl selber schuld. Fatty Arbuckel ist das perfekte Beispiel für jemanden, dessen Privatleben seinem Leben auf der Leinwand genau entgegen­gesetzt war. Und die Tatsache, dass ein dicklicher Schauspieler mit dem Spitznamen Fatty angeblich ein Mädchen zu Tode quetschte, während er sie bei einer Party in seinem Hotelzimmer vergewaltigte, machte die Geschichte und die darauffolgenden Gerichtsverfahren zum beliebten Nachrichtenstoff für über ein Jahrzehnt. Aber ich habe das Gefühl, dass die Stars heute noch viel schlimmere Sachen öffentlich gestehen, ohne dass ihnen dadurch ein Schaden entsteht. Sind sie einfach besser darin, so zu tun, als täte es ihnen leid, und haben sie alle Teams von PR-Leuten, die ihnen helfen, ihre Geschichten zu beschönigen?
Nun, wir reden von der Schauspielkunst, und zu schauspielern ist somit ihr gutes Recht. Aber die Leute, die heute in Hollywood sind, sind einfach nicht auf die gleiche Art skandalös. In den 60ern kochte die Drogenwelle hoch und auch wenn es die Drogen noch gibt, ist es doch sehr still darum. Kokain macht immer mal Probleme. Wenn man sich die Filme der Stummfilmära anschaut, die Art, wie sie gefilmt und geschnitten wurden, hat man den Eindruck, dass alle tonnenweise Koks gezogen haben, bis zu der Sekunde, wo der Regisseur „Action!“ brüllt.
Ich finde, dass der Stil der Filme es reflektiert, besonders die Komödien von Mack Sennett [dem Regisseur, der ganz wesentlich für die Popularität von Slapstick verantwortlich war]. Und meine Nachforschungen beweisen, dass sie Kokain nahmen. Man sieht den Sachen diesen Einfluss an. In Babylon Hollywood gibt es einen Menge Geschichten, in denen von „Joy Powder“ die Rede ist—was ungefähr so harmlos klingt, als nähmen die Leute einen dieser Energy-Cocktails. Ein anderer Begriff, den du in dem Buch verwendest, und zwar gleich auf den ersten Seiten, ist „Purple Epoch“—die purpurne Epoche. Was ist das? Es klingt schön.
Das war eine Zeit, in der die talentierten Leute auch extravagante Geschmäcker und Geld hatten. Es waren die 20er, eine Reflektion des Jazzzeitalters. Und die Hollywood-Version davon war ziemlich wild.

Kenneth posiert für seine bewundernden Fans, nachdem er beim Anthology Film Archives Benefit 2010 mit Lob überhäuft worden ist. Foto von Jason Henry

Ein anderes Thema, auf das du im Buch recht schnell zu sprechen kommst, sind die Geschichten um den Tod von Olive Thomas—der vielleicht erste „Hollywood Skandal“, wie wir ihn heute kennen. Du schreibst, und es wurde ja auch immer gemunkelt, dass sie eine große Freundin von Kokain war, was in Kombination mit Alkohol und der Syphillismedizin ihres Ehemanns Jack Pickford anscheinend ein tödlicher Fehler war. Sie war einer der ersten bildhübschen Stars, die unter düsteren Umständen starben. Und so wurde ihr Name für immer mit schmuddeligem [Verhalten] in Verbindung gebracht.
Ihr Tod zog den Leuten auch den Schleier von den Augen: Olive Thomas hatte so ein reines und liebreizendes Image. Der Ruf Hollywoods kippte plötzlich in etwas sehr viel Düstereres, als man es bis dahin gesehen hatte. Die Leute dachten wohl: „Wenn Olive das tut, müssen es ja alle tun.“ Es gab auch noch andere, wie Mary Miles Minter [die beschuldigt wurde, ihren Lover, den Regisseur William Desmond, auf dem Höhepunkt ihres Erfolgs ermordet zu haben]. Sie war eine Art andere Version von Mary Pickford [Jack Pickfords Schwester], aber an die größten Stars traute sich nie jemand ran. Das Karussell der Skandale drehte sich, aber bestimmte Stars wurden von dem Ganzen einfach nicht tangiert. Hast du einen Lieblingsstar aus dieser Ära? Jemand, mit dem du dich in deinen Forschungen immer wieder beschäftigst?
Ich liebe die Karriere von Rudolph Valentino, der mit 31 starb und in dieser kurzen Zeit einen erstaunlichen Weg zurückgelegt hat. Sein Leben fasziniert mich immer wieder. Und findest du immer noch neue Informationen? Ich kann mir kaum vorstellen, wie umfassend deine Archive sein müssen.
Ich habe zu ihm sehr viel Information. Es gibt die Fakten und es gibt die Gerüchte. Ich bevorzuge die Fakten, aber ich höre mir auch die Gerüchte an. [lächelt] Deine Bereitschaft, auch die Gerüchte zu durchforsten hat dir, als Hollywood Babylon erschien, mit ein paar Leuten einigen Ärger eingebracht, besonders nach der zweiten Auflage. Man hat dir vorgeworfen, eine Schlammschlacht zu betreiben, und manche haben dir sogar faktische Ungenauigkeiten nachgesagt.
Nun, ich bin nie verklagt worden … In anderen Worten—deine Kritiker konnten dir nichts nachweisen.
Keiner kam je zu mir und sagte: „Nun, du hast dir das Ganze ausgedacht.“ Denn das habe ich definitiv nicht. Ich glaube, der Filmemacher und Historiker Kevin Brownlow hat einmal gesagt, dass du ihm erzählt hättest, dass der Großteil deiner Forschungen auf „mentaler Telepathie“ beruht. Warum denkst du, haben manche Leute versucht das Buch schlecht zu reden?
Ich glaube nicht, dass sie das getan haben. Das wäre mir neu. Solche Probleme habe ich nie gehabt. OK, reden wir von etwas anderem. Ich finde die Verbindung zwischen Hollywood und dem Okkulten faszinierend. Denkst du, dass das eine das andere bedingt?
Es hat [in L.A.] eine Reihe etwas seltsamer Kulte und solcher Dinge gegeben und das ruft dann gelegentlich das Interesse von ein paar Leuten in Hollywood hervor. Es hat aber nie eine massive Hinwendung zum Satanismus oder so etwas gegeben. Ja, aber was ist mit Scientology? Es kommt einem so vor, als hinge halb Hollywood da irgendwie mit drin. Dabei fällt mir ein: Du hast in verschiedenen Interviews erwähnt, dass du ein fast fertiges Manuskript für Hollywood Babylon III hast, dass es aber nie veröffentlicht werden kann, weil es sich in großen Teilen um Scientology dreht. Stimmt das?
Ich habe eine Rohfassung, aber sie verklagen die Leute gerne und da will ich mich nicht drauf einlassen. Und sie haben ein paar Leute, wie John Travolta und Tom Cruise, die da reingeraten sind und es zu ihrem Glauben gemacht haben, also lass ich die in Ruhe. Dein Interesse an den Lehren von Aleister Crowley hat deine Arbeit sehr beeinflusst. Was hat dich an ihm und seiner thelemischen Philosophie so angezogen?
Er ist ein faszinierender Typ und wenn ich Spielfilme machen würde, würde es mich sehr reizen, etwas über Aleister Crowley zu drehen. Gott sei Dank hat das noch keiner. Verschiedene Leute haben aber damit schon gedroht. Ich habe irgendwie gehofft, dass es nicht passiert und das ist es auch [noch] nicht, und so ist mir das bisher erspart geblieben. Leute, die sich nicht auskennen, würden vielleicht keinen großen Unterschied zwischen Crowleys Jüngern und den Scientologen sehen. Sie haben natürlich keine Ahnung, aber kannst du ihnen helfen, es zu verstehen?
Es hat immer Leute gegeben, die sich für Aleister Crowley interessieren, der 1947 gestorben ist. Seine Anhänger sind Mitglieder des OTO, Ordo Templi Orientis, was eine Art Kultgesellschaft ist. Sie hat Hunderte Mitglieder, ist aber fast unsichtbar, sie fallen nicht auf. Es ist nicht wie Scientology, was ja praktisch ein Gewerbe ist. Mit denen habe ich nichts zu tun. Alles klar.
Können wir zum Ende kommen? OK, darf ich noch kurz drei Fragen stellen?
[seine Augen weiten sich, während er die Lippen schürzt] Nein. Nicht mal eine?
Na, wenn es nur noch ein paar wenige sind … Nur eine, vielleicht zwei, versprochen. Werner Herzog behauptet immer gerne, dass L.A. die einzige wahre amerikanische Stadt ist, weil die anderen größeren Städte in den USA von Europa beeinflusst sind. Anders ausgedrückt ist L.A. der einzige Ort, der eine echt amerikanische Kultur hat. Was hältst du davon?
Das sagt er, weil er ein Ausländer ist und es von außen beurteilt. Als kommt [ihm] L.A. wie ein seltsames Monster vor, oder es hat gewisse seltsame Elemente, die typisch für Kalifornien sind, aber ich lebe hier, also … Du liebst es immer noch?
Ja, es ist interessant. Sonst würde ich nicht hier leben. Seht euch in einer neuen Folge von VICE Meets … auf VICE.com an, wie Rocco Kenneth live und in Farbe interviewt.

Porträts von Mike Piscitelli und Jason Henry