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Die Geschichte des Südsudan

Die Sumpf-Barone

Wie George Bush versuchte, im Sudan Diplomat zu spielen, und wie das Verschwinden von 4,2 Milliarden Dollar für eine Feindschaft gesorgt hat, die heute den Südsudan zerreißt.

Von links nach rechts, vorderste Reihe: Yoweri Museveni, Präsident von Uganda; Riek Machar, ehemaliger Vizepräsident des Südsudan; Salva Kiir, Präsident des Südsudan; James Wani Igga, Sprecher der Nationalen Legislativversammlung des Südsudans und sein Vizesprecher Daniel Awet Akot. Gemeinsam zollen sie dem südsudanesischen Rebellenführer John Garang an dessen Grab in Juba, der Hauptstadt des Südsudans, am 21. Mai 2010 ihren Respekt. AP-Foto/Pete Muller

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Die untere Hälfte des Südsudans wurde früher einmal Äquatoria genannt. Die Grenzlinien dieses Gebietes, die heute mehr oder weniger noch immer die Gleichen sind wie eh und je, werden zum Teil durch das Sudd, auch „Barriere“ genannt, vorgegeben. Wasser, das aus dem Weißen Nil stammt, braucht fast ein Jahr, um in dieses Tiefland zu gelangen und bildet hier einen Sumpf, der in der Regenzeit auf die Größe Griechenlands anschwillt. Dieses Feuchtgebiet ist Schauplatz von Afrikas größter und am wenigsten dokumentierten Tierwanderung, außerdem ist es Heimat einiger der größten Krokodil-, Giraffen-, Nilpferd-, Elefanten- und Moorantilopen-Populationen des Kontinents sowie von mehr als 400 verschiedenen Vogelarten. In der Regensaison klammern sich die hier lebenden Menschen an sumpfige Inseln. Es sind Hirten, die ihr Leben den Jahreszeiten anpassen; wenn der Regen trockeneren Perioden weicht, ziehen sie dem Wasser hinterher; kündigt sich die nächste Regensaison an, kehren sie zu ihren Dörfern in den höher gelegenen Gebieten zurück. Sie leben in kleinen Familiengruppen, die angeln, Vieh hüten, Feldfrüchte anbauen und jagen und die dabei nahezu perfekt mit ihrer Umwelt harmonieren. Sie gehören zu den etwa 250 Millionen Afrikanern, die in der Guinea-Savanne leben, einem ca. 1,5 Millionen Quadratmeter großen Gebiet, das Teile von 25 Ländern umfasst—ein riesiges Ökosystem, das mehr als halb so groß ist wie die USA.

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Die Geschichte lehrt uns, dass Menschen mit einem solchen Lebensstil eine seltsame Art von Eindringlingen anlocken. Seit seiner „Entdeckung“ hat eine Reihe eigenartiger Menschen mit unterschiedlichen Absichten versucht, den Südsudan zu „retten“. Dazu gehören zunehmend auch solche, die selbst aus der Region stammen. Angehörige der Volksstämme der Dinka und Nuer machen seit Beginn des Ersten Sudanesischen Bürgerkriegs in den 1950er-Jahren den Großteil der Rebellengruppen aus, die in diesem Gebiet aktiv sind. In den späten 1970er-Jahren, nach einer Art elfjährigem Waffenstillstand, brach aus fast den gleichen Gründen wie in den 50er-Jahren der Zweite Sudanesische Bürgerkrieg aus. Aber dieses Mal waren alle Probleme buchstäblich in Benzin getränkt worden. Mitte der 2000er-Jahre hatten beide Seiten ein blutiges Unentschieden erkämpft.

Als US-Präsident George W. Bush ins Amt gewählt wurde, war der Sudan bereits zu einem geopolitischen Sumpfgebiet geworden: Die Krise in Darfur kochte über und das Land befand sich auf dem Weg zu großflächigen und gewaltsamen Unruhen. Jahre zuvor war Bush die Misere der Menschen im südlichen Sudan von den Evangelikal-Rechten unmittelbar aufgedrängt worden (von denen viele die christlichen Rebellen im Süden mit Waffen ausstatten wollten, um sie so vor der muslimischen Regierung des Sudans zu schützen). Dies brachte Bush dazu, Ende 2001 einen Sondergesandten mit dem Auftrag in den Sudan zu schicken, eine friedliche Lösung für den „brutalen und schändlichen Krieg“ zu finden, den die sudanesische Regierung „gegen ihr eigenes Volk“ führte. Der Waffenstillstand und der Nord-Süd-Friedensvertrag im Jahre 2005 ließen die Mission des Sondergesandten als großen diplomatischen Erfolg erscheinen. Für Bush war es laut dem US-amerikanischen Magazin The Atlantic ein Szenario mit dem sich wunderbar einfach punkten ließ, ein klarer Favorit seiner außenpolitischen To-do-Liste. Für die Zwei-Parteien-Koalition im Kongress, auch Regierung der Nationalen Einheit genannt, waren die Geschehnisse von 2005 jedoch das nachhaltige Ergebnis von mehr als 20 Jahre andauernden Bemühungen, drei Administrationen davon zu überzeugen, den Sudan ernst zunehmen. Jahre des Bearbeitens hatten endlich einen Weg hin zur Unabhängigkeit des Südsudans eröffnet, innerhalb dessen Grenzen sich 75 Prozent aller Ölvorkommen des gesamten ehemaligen Staatsgebietes des Sudans befanden.

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Bushs diplomatischerer Weg stand im Kontrast zu Bill Clintons Hardliner-Haltung gegenüber der sudanesischen Regierung, die Mitte der 90er-Jahre sowohl Osama bin Laden als auch Mitgliedern der ägyptischen Terrororganisation al-Dschihad Unterschlupf gewehrt hatte, die damals von Khartoum aus agierten. 1996, drei Jahre nach dem ersten Bombenanschlag auf das World Trade Center und ein Jahr nach dem vereitelten Attentat von bin Laden und Co auf Ägyptens Präsident Hosni Mubarak, gab die sudanesische Regierung dem enormen internationalen Druck nach und wies das Terrornetzwerk aus. Bin Laden und seine Helfer verlegten ihre Tätigkeiten nach Afghanistan und Pakistan—und wir wissen alle, was als Nächstes passierte.

John Garang, der zwei Jahrzehnte lang Anführer der Rebellen im Süden war, und seine Sudanesische Volksbefreiungsarmee (Sudan People’s Liberation Movement and Army—SPLM/A) waren maßgeblich an der Aushandlung des Nord-Süd-Friedensvertrags von 2005 beteiligt. Zwei Wochen nachdem das Abkommen unterzeichnet worden und Garang als Präsident der neuen autonomen Regierung des Südsudans (GoSS) vereidigt worden war, kam er bei einem Helikopterabsturz ums Leben. Offiziellen Angaben nach war der Hubschrauber in schlechtes Wetter geraten und abgestürzt, dennoch bot der Vorfall natürlich Nährboden für zahlreiche Verschwörungstheorien. Nach Garangs Tod übernahm Salva Kiir die Führung der SPLM. Kiir, ein Dinka aus Warrap, hatte während des Ersten Sudanesischen Bürgerkriegs für die separatistische Rebellengruppierung Anyanya gekämpft und war später Garangs getreuer Stellvertreter in der SPLM/A. 2010 wurde er mit 93 Prozent der Stimmen zu dem Mann gewählt, der den Südsudan durch das Referendum im folgenden Jahr bringen sollte, bei dem 98,8 Prozent der Menschen für eine Abspaltung vom Norden stimmten. Es war durch und durch ein Wählerauftrag. Kiir brachte tiefgehenden religiösen Eifer mit in sein Amt. Auf der Website der GoSS verglich er die Verwirklichung von Garangs Traum mit „der biblischen Erzählung von Josua, der den Mantel der Führung von Moses übernimmt, als die Israeliten gerade kurz vor dem Einzug in Kanaan standen, und der die Niederlassung der damals Fliehenden im Gelobten Land geschickt anführt.“

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Kiir, ein großer Mann mit einem starken Charakter, ist stolz auf sein militärisches Erbe und seine 22 Jahre im Gefecht. Als der Krieg vorbei war, legte er großen Wert darauf, seinen „Busch-Bart“ zu behalten. Während eines Besuchs im Weißen Haus im Jahre 2006 bekam er von US-Präsident Bush einen Cowboyhut geschenkt, den er seitdem scheinbar nicht mehr abgenommen hat. Schon kurz nachdem er ihn bekommen hatte, trug er den Stetson bei Staatsbesuchen, öffentlichen Auftritten und sogar bei der Unterzeichnung der Unabhängigkeitserklärung des Südsudans.

Kiirs Gegner sagen, er würde zu viel trinken, habe Aggressionsprobleme und sei paranoid—nachvollziehbare persönliche Makel eines Mannes, dessen Hauptbeschäftigung zwei Jahrzehnte lang in gnadenloser Gewalt und der Führung von immer wieder wechselnden Stammeseinheiten bestand. Für einen Politiker, der die Aufgabe hat, eine vom Krieg zerrissene Nation zu vereinen, stellt ein solches Verhalten jedoch ein ernsthaftes Problem dar. Am Samstag, dem 9. Juli 2011, wurde die vorläufige Verfassung unterschrieben und der Südsudan wurde offiziell zu einem souveränen Nationalstaat. Kiir ging, Seite an Seite mit seinem Vizepräsidenten und SPLM/A-Kollegen Riek Machar, einem Who is Who afrikanischer Old-School-Diktatoren, Machthaber und demokratisch gewählter Führer voraus. Unter denen, die dem Land jubelnd bei der Geburt zusahen, waren Yoweri Museveni, der ugandische Präsident; Robert Mugabe, Zimbabwes Präsident und der am längsten amtierende Herrscher Afrikas; Jacob Zuma, der Präsident Südafrikas; Meles Zenawi, der damalige Premierminister von Äthiopien; Teodoro Nguema Obiang Mangue, der ölreiche Machthaber aus Äquatorialguinea; und der Präsident des Sudans, Omar al Bashir, ein Mann, gegen den der Internationale Strafgerichtshof 2010 einen Haftbefehl wegen Völkermords erlassen hat.

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Der Jubel über die neue Nation wich jedoch schnell logistischen Problemen wie der Ernährung des Volkes und dem Drucken von Briefmarken (etwas, das die südsudanesische Regierung mehrfach verbockt hat). Die UN berichtete, dass 2012 etwa 763 Millionen Dollar an Hilfsgeldern erforderlich waren, um das Land liquide zu halten. USAID stellte dem Land 2013 weitere 323 Millionen Dollar zur Verfügung, sah seine Arbeit jedoch durch „Unsicherheit, die bürokratische Drangsalierung von Hilfsorganisationen, logis­tische Probleme und von der Regierung des Südsudans auferlegte Einschränkungen“ erschwert. Trotz einer Flutwelle an guten Absichten und Spendengeldern, die den Südsudan überschwemmte wie der Weiße Nil die Feuchtgebiete, schien die Situation nahezu hoffnungslos zu sein.

Auch mit einem Budget von 1 Milliarde Dollar war es für die 22 verschiedenen Organisationen, die an der Mission der Vereinigten Nationen im Südsudan (UNMISS) beteiligt waren, schwierig, in der Region Fuß zu fassen. Sie erklärten, dass „die Herausforderungen, mit denen sich der jüngste Staat der Welt konfrontiert sieht, sowohl in ihrer Größenordnung als auch in ihrer Komplexität überwältigend sind. Staatliche Strukturen sind gerade erst eingeführt worden und in allen Sektoren sind die erforderlichen Zustellungssysteme entweder inexistent oder aber funktionieren nicht. Korruption betrifft praktisch alle Regierungsebenen. Rechenschaftsmechanismen, sofern es überhaupt welche gibt, haben bei der Verhinderung von Missbrauch und Misswirtschaft von öffentlichen Mitteln versagt. Ohne breit angelegte politische und soziokulturelle Mechanismen zur Lösung von Auseinandersetzungen werden gewaltsame Konflikte an der Tagesordnung bleiben.“

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George W. Bush und Salva Kiir im Oval Office am 5. Januar 2009. AP-Foto/J. Scott Applewhite

Für den Zeitraum von Anfang Juli 2013 bis Ende Juni 2014 steht der UNMISS ein Budget von 924.426.000 Dollar bereit, um mit den exponenziell wachsenden Problemen des Südsudans fertig zu werden. Diese Summe entsprach den prognostizierten jährlichen Kosten für 8.000 uniformierte Friedenswächter aus Militär und Polizei, verschiedenen Kontrollmechanismen und für die Abwendung der humanitären Katastrophen, die das neue Land in erschreckend regelmäßigen Abständen plagen. Im März dieses Jahres stellte die UN einen Eilantrag für weitere 1,27 Milliarden Dollar, die ab Juni bereitstehen sollen, um das Chaos einzudämmen, das im gesamten Südsudan, in Zentralafrika und anderen Ländern der Region um sich greift. Die UN schätzt, dass möglicherweise mindestens 3,2 Millionen Südsudanesen dringend Hilfe benötigen, was zweifellos auch Auswirkungen auf angrenzende Länder haben wird, wenn diese Menschen weiterhin aus ihrer Heimat fliehen.

Scharen von NGOs, alle mit ihren eigenen Absichten, sind nach dem Referendum 2011 in den Sudan geströmt. Bei der letzten Zählung im Jahre 2010 waren etwa 150 internationale NGO-Gruppen offiziell in der Region registriert. Jede von ihnen hat viel Geld dafür ausgegeben, Einheimische einzustellen und unterschiedliche Wege auszuarbeiten, mit denen man die neue Nation verbessern könnte. Heute sind die meisten bereits aus dem Land geflohen, haben ihre Arbeiter wieder abgezogen und ihre Fahrzeuge und Ausrüstung Plünderern überlassen.

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Im August 2011 gab die Regierung des Südsudan einen Bericht beim Joint Donor Team (JDT) in Auftrag. Die JDT ist eine Hilfsorganisation, die die Regierung dabei unterstützt hat, einen Haushaltsplan basierend auf den prognostizierten Einnahmen aus dem Ölgeschäft auszuarbeiten. Laut des IWF machen diese Einnahmen 98 Prozent der nationalen Einkünfte aus. Im Vergleich dazu sind es im Sudan nur 57 Prozent. Die JDT legte einen 413 Seiten umfassenden Fünf-Jahres-Plan vor, aus dem klar wurde, dass die Öleinnahmen 2011 bereits ihr Maximum erreichen und nun rapide einbrechen würden, bis sie dann völlig versiegen. Dieses nur kurze Zeit währende Einkommen stellt, in Verbindung mit einem erwarteten Bevölkerungswachstum und einer Armutsquote von etwa 50 Prozent, nicht gerade einen gut durchdachten Finanzplan dar. Viele derjenigen, die dazu berufen worden waren, das Land zu führen, waren jedoch ehemalige Buschkämpfer sowie deren Familienmitglieder und Freunde. Einige mit Bildungshintergrund, die meisten jedoch ohne. Nationale, regionale und örtliche Regierungen, Stammesführer und Geschäftsleute wollten den kurzen Moment des zurückgekehrten Optimismus ausnutzen.

Irgendwo inmitten des 413 Seiten dicken Berichts befand sich eine erschreckende Statistik: Der Gesamtwert aller 3,5 Milliarden Barrel Öl, die im Laufe der nächsten beiden Jahrzehnte aus dem Boden im Südsudan gepumpt werden können, bringen netto nur geschätzte 38 Milliarden Dollar ein. Danach war es das.

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Während der Ausarbeitung ihres Haushalts für 2014 schätzten südsudanesische Beamte, dass sie allein 4 Milliarden Dollar brauchen würden, nur um das Tagesgeschäft der Regierung zu finanzieren. Sie konnten jedoch nur 2,2 Milliarden Dollar herausschlagen, weil der Rest bereits für Ölgebühren, Auslandsschulden und den Ausbau der Infrastruktur eingeplant worden war.

Der Bericht vom August 2011 basierte auf der optimistischen Vorstellung, dass das Öl reibungslos und schnell in den Norden nach Port Sudan fließen würde, wo die beiden Länder beim Export des Öls zusammenarbeiten und die erzielten Profite teilen würden. Im Januar 2012 kam es zwischen dem Sudan und dem Südsudan jedoch zu einem Streit über die Gebühren für die Nutzung der Pipelines. Der Südsudan stellte daraufhin seine komplette Ölproduktion ein und brachte sich damit um seine wichtigste Einnahmequelle. Es fand kein Handel mehr zwischen den Ländern statt. Kiir beschuldigte die Regierung des Sudans, seinem Land Rohöl im Wert von 815 Millionen Dollar gestohlen zu haben, um sich am Südsudan zu rächen. Kiir und Machar, zwei dickbäuchige Politiker, die früher einmal schlanke Buschkämpfer waren, leierten in Juba ihren Kummer herunter und warfen mit Drohungen gegen Karthoum um sich. Die Strapazen, mit denen beide Länder durch diesen Streit schon nach kurzer Zeit kämpfen mussten, waren jedoch schnell zu groß. Im September 2012 einigten sie sich darauf, die Pipelines wieder in Betrieb zu nehmen.

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Am 3. Mai 2012, weniger als ein Jahr nachdem der Südsudan seine Geschäfte aufgenommen hatte, schickte Kiir ein—wie er bis heute behauptet—privates Schreiben an mehr als 75 hochrangige Politiker und Regierungsbeamte, in dem er sie beschuldigte, 4,2 Milliarden an staatlichen Mitteln veruntreut zu haben. Er verlangte das Geld zurück und wies sie merkwürdigerweise an, es auf ein speziell von der GoSS in Kenia eingerichtetes Konto zu überweisen.

Obwohl Kiir darauf beharrte, dass nur er und ein weiteres Mitglied seines Kabinetts Zugang zu diesem Brief gehabt hatten, erhielt die Nachrichtenagentur Associated Press ihn Anfang Juni 2012. Auch wenn dieser Vorfall um einiges weitreichender war, erinnerten die verschwundenen Gelder doch an ein Schlamassel aus dem Jahre 2006, als Arthur Akuien Chol, der provisorische Finanzminister der Regierung, entlassen wurde, nachdem man ihn beschuldigt hatte, einen 60-Millionen-Dollar-Zuschuss vom Sudan veruntreut zu haben, der zur Einrichtung grundlegender ziviler Ämter gedacht war. Chol zog anschließend den Generalsekretär der SPLM, Pagan Amum Okech, mit in die Sache rein, als er behauptete, dass er diesem die Hälfte des Geldes habe geben müssen.

Wo war das Geld also diesmal gelandet? Keiner wusste etwas. Und Kiir hielt es für das Beste, mit diesen Anschuldigungen von Veruntreuung und Korruption hinterm Berg zu halten, aus Furcht, dass sie die Regierung ansonsten auseinanderreißen könnten. Einer, der sich sehr für den Verbleib des Geldes interessierte, war Machar. Und er war entschlossen, dem Skandal auf den Grund zu gehen. Diese Neugierde würde bald schon zu einem der Hauptstreitpunkte zwischen ihm und Kiir werden.

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Das verschwundene Geld war hauptsächlich für drei Dinge gedacht gewesen: die Einstellung von Soldaten und öffentlichen Bediensteten, den Ausbau von Straßen und den Aufbau eines strategischen Getreidevorrats. Doch während Kiirs Anklageschrift seine noch im Aufbau befindliche Regierung polarisierte, waren beim Ausbau der Infrastruktur noch immer keine großen —wenn überhaupt irgendwelche—Fortschritte zu verzeichnen, obwohl sich Tausende ehemaliger Rebellen und Verwandte auf der Gehaltsliste der Regierung befanden.

Im Juni 2013 wurden die Pipelines ein weiteres Mal vom Netz genommen. Diesmal beschuldigte der Sudan Juba, Rebellen unterstützt zu haben, die gegen Khartoum gekämpft hatten. Zwar wies der Südsudan die Anschuldigungen von sich, das Öl brachte dies jedoch nicht wieder zum fließen.

Der „ölreiche“ Südsudan war in Wirklichkeit eine Schuldnernation, die etwa 500 Millionen US-Dollar von anderen Ländern geliehen hatte: zum Einstieg erst einmal 100 Millionen von der Quatar National Bank und weitere 100 Millionen von der Standard Bank Group mit Sitz in Johannesburg. Bis September 2013 hatte der IWF dem Land weitere 50 Millionen Dollar versprochen. Das Gerücht verbreitete sich, die USA würden Gelder in den Südsudan schaufeln, um die Regierung von Kiir finanziell zu stützen. Im November 2013, als die Südsudanesen angaben, ihre Regierungsbeamten nicht mehr bezahlen zu können, berichteten verschiedene Medienkanäle, das Land stehe bei den USA mit 4,5 Milliarden Dollar in der Kreide, die es von verschiedenen Handelsbanken geliehen habe.

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Der Südsudan folgte also mit großen Schritten dem Beispiel des Sudans, dessen Wirtschaft laut der Weltbank 41,5 Milliarden Dollar Schulden zu verzeichnen hatte, 87 Prozent davon durch Zahlungsrückstände. Doch im Norden hatte es ein Jahrhundert gedauert, bis alles aus dem Ruder lief. Der Südsudan war gerade mal knapp über zwei Jahre alt und verfügte zudem über den Großteil der Ölvorkommen. Es gab keine akzeptable Entschuldigung oder Erklärung für derartig zügellose Amtsvergehen und trotzdem übernahm niemand irgendeine Art der Verantwortung. Einfach ausgedrückt, war der Südsudan ein hoffnungsloser Fall.

Mal abgesehen vom Öl, abgesehen vom Bargeld, das durch die Finger der von Habgier gesteuerten und von alten Kameraden überladenen Regierung fließt, was macht die eigentliche Wirtschaft des Südsudans aus?

Eigentlich nichts. Die normalen Bürger des Südsudans leben von der Hand in den Mund, pflanzen in der Regenzeit Feldfrüchte an; kümmern sich um ihre Kühe, Ziegen und Schafe; bauen ihre Häuser aus Naturmaterialien und geben ihr mageres verfügbares Einkommen gelegentlich für einen Plastikstuhl, ein T-Shirt oder eine Telefonkarte aus. Währenddessen krallen sie sich an der Hoffnung fest, dass Schießereien und willkürliche Morde ihre harte Arbeit nicht erneut über Nacht zunichte machen.

Die traurige Wahrheit ist, dass der einzige Bereich, indem der Südsudan wirklich Erfahrung hat, der Krieg ist. Und selbst darin ist das Land nicht allzu gut. Auch wenn die SPLM es geschafft hat, eine Regierungspartei aus ihrem militärischen Flügel zu formen, so ist die einzige dauerhaft bestehende Einkommensquelle doch das Töten des eigenen Volkes und das ruchlose Umherschieben von Geldtöpfen, die zum größten Teil von Quellen aus dem Ausland stammen, die „helfen“ wollen.

Als die Wahlen 2015 vor einem Hintergrund von Vorwürfen der Vetternwirtschaft im Kongress, der Korruption und eines feindseligen autoritären Führungsstils immer näher rückten, reagierte Kiir auf die einzige Weise, die er kannte: Am 22. Juli 2013 feuerte er sein gesamtes Kabinett und gab Anweisungen, eine Reihe von Politikern zu verhaften, die er in verschiedene Skandale verwi­ckelt hatte. Als er die vorläufige Verfassung formulierte, hatte Kiir sichergestellt, dass darin eine Klausel enthalten war, die es ihm erlaubte, demokratisch gewählte Amtsinhaber in Extremfällen ohne Formalitäten zu entlassen (in erster Linie unter dem Vorwand der „nationalen Sicherheit“). Rechtlich betrachtet war dies jedoch gar nicht mehr gültig, da die endgültige Version der Verfassung von 2011 dieses Konzept der allumfassenden Macht durch das Rechtsstaatsprinzip und Wahlen ersetzt hatte. Kiir war dies jedoch völlig egal. Er machte, was er wollte. In seiner Vorstellung war sein autokratischer, militärischer Führungsstil der Verfassung und dem Demokratisierungsprozess überlegen. Die ohnehin schon verstrittenen Gruppen, die die Regierung bildeten, begannen auf eine Art zu zersplittern, die ein Scheitern der Eigenstaatlichkeit ankündigte.

Gehälter wurden weiterhin nicht ausgezahlt. Getreue Verbündete von Kiir wurden abtrünnig. Im November 2013 gestand der Finanzminister des Südsudans, Aggrey Tisa Sabuni, dass die Situation sich in Richtung eines kompletten Zusammenbruchs bewegte. „Unsere Schuldenaufnahme hat uns eingeholt und wir können nicht davonlaufen“, sagte er Voice of America, dem staatlichen Auslandssender der USA. Es wurden Sparmaßnahmen ergriffen, von denen jedoch eine Handvoll hochrangiger Beamter ausgenommen waren, die auch weiter ihre Gehälter und Sonderzulagen erhielten. Verstimmungen machten sich breit, als die versprochenen finanziellen Mittel für Projekte und Geschäfte plötzlich vollkommen ausblieben.

Mabior Garang, der älteste Sohn von John Garang, nahm das nicht hin. Zusammen mit der Witwe von John Garang, dem ehemaligen Straßen- und Verkehrsminister und Machar griff er die Führungsposition von Kiir und dessen fragwürdige Geschäftspraktiken an. Am 6. Dezember hielten die drei und ihre Unterstützer eine Pressekonferenz ab, in der sie ihre Kritik an Kiirs Führung zum Ausdruck brachten.

Wie konnte ein Land, das nicht einmal drei Jahre existierte, den USA bereits 4,5 Milliarden Dollar schulden? Womit rechtfertigte Kiir Ausgaben für den Aufbau einer 15.000 Mann starken „Republikanischen Garde“ zusätzlich zu der schon existierenden Armee? Diese Fragen blieben unbeantwortet.

Von der Pressekonferenz inspiriert, gab eine Gruppe von Dinka, Nuer, Shilluk und anderen Mitgliedern der SPLM bekannt, dass der National Liberation Council im Dezember eine Sitzung abhalten würde, in der dem Vorwurf der Korruption nachgegangen werde, gefolgt von einer öffentlichen Kundgebung. Kiir äußerte sich zu der für den 14. Dezember geplanten Demonstration und donnerte, er würde keine Wiederholung der Vorfälle von 1991 tolerieren (dabei bezog er sich auf das Massaker von Bor, bei dem Nuer-Rebellen unter der Führung von Machar Tausende Dinka getötet hatten). Kiirs Unterstützer stimmten Kriegsgesänge an und er veröffentlichte ein Schreiben, in dem er seine Gegner verurteilte.

Eine Reihe von Politikern nahm an Kiirs hitziger Versammlung am 14. Dezember nicht teil, was ihn zu der Annahme verleitete, dass ein Komplott zum Umsturz seiner Regierung kurz bevorstand. Am nächsten Tag befahl er, alle Nuer-Mitglieder des Tiger-Battailons, seiner Präsidentengarde, zu entwaffnen, und veröffentlichte eine lange Liste mit Namen von Straftätern, die verhaftet werden sollten.

Am 15. Dezember erklärte er den Nuer den Krieg. Es folgte eine ethnische Säuberung, der bis heute zwischen 500 und 10.000 Nuer zum Opfer gefallen sind, je nach dem, wen man fragt (bei Fertigstellung dieses Textes war eine verlässliche Quelle zu diesen Zahlen noch nicht auffindbar). In den Baracken in Juba brachen Kämpfe aus, als die Nuer der Garde den Befehl erhielten, die Waffen niederzulegen. Eine bewaffnete Miliz der Dinka namens „Gelweng“, oder „Hüter des Viehs“, sollte von Haus zu Haus zu gehen, Straßensperren errichten, Männer in den Straßen postieren und Menschen verhören, verprügeln und hinrichten. Kiir bezeichnete Machar als „Propheten des Verderbens“. Schon bald tauchten Panzer und bewaffnete Truppen vor Machars Amtssitz auf, rissen das Gebäude nieder und töteten alle Wachleute und Hausangestellten, die sich ihnen in den Weg stellten.

Irgendwer von der Präsidentengarde hatte Machar und seiner Frau Angelina jedoch einen Hinweis gegeben, sodass sie gerade noch so mit dem Leben davongekommen sind.