Die verschwommene und verträumte Seele der Türkei

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Die verschwommene und verträumte Seele der Türkei

Wie eine bizarre Mischung aus Studentenbuden, Motels, Zitronenbäumen, Selfie-Sticks, Poledance-Schuhen und immer wieder Religion den Alltag der türkischen Jugend perfekt widerspiegelt.

Alle Fotos: Kamila Stanley

Kamila Stanley gehört zu den unglaublich talentierten, autodidaktischen und aufstrebenden Fotografen, deren Improvisation und scheinbar mühelos eingefangene Momente mich immer wieder aufs Neue erfreuen. Stanley hat ein Auge für die Schönheit des Alltags und reist viel, um ihre Perspektive in Bezug auf die Fotografie immer weiter zu erforschen. Vor Kurzem hat sie mir eine Reihe an Bildern zugeschickt, die sie vergangenen Herbst in der Türkei aufgenommen hat. Beiliegend war außerdem noch ein Text zum Bearbeitungsprozess. Es folgen nun eine Auswahl besagter Bilder sowie einige Worte der Fotografin selbst.

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Ich bin im Herbst 2015 in die Türkei gereist. Im gleichen Jahr war das Land aufgrund verhafteter Journalisten, grausamer Terroranschläge, der undurchsichtigen Parlamentswahl, des Abschusses eines russischen Kampfflugzeugs sowie der so noch nie dagewesenen Flüchtlingskrise international in aller Munde. Während ich diese Zeilen tippe, hat schon wieder ein Selbstmordattentäter mit mutmaßlicher Verbindung zum IS die Türkei erschüttert.

Genau dazu wollte ich einen Kontrast schaffen und deswegen eine intime Fotoreihe über den türkischen Alltag schießen—fernab von den politischen Machtspielchen und dem Bild, das in den Mainstream-Medien gezeichnet wird. Ich entschied mich dazu, mich vor allem auf die beeindruckenden Landschaften, das geschäftige Treiben und die junge Generation des Landes zu konzentrieren. Während meines Trips wurde mir klar, dass zwischen der Einsamkeit der verwundenen Berge und der tief im türkischen Charakter verwurzelten Nostalgie definitiv ein Zusammenhang besteht.

Zusammen mit meinem Bruder bin ich von Istanbul aus über leere Seitenstraßen mit gespenstischen Tankstellen und durch verstaubte Vororte bis in die Berge Kappadokiens gereist. Dabei sind wir auch durch verschiedenste Städte und Dörfer—von Antalya über Selçuk bis hin zu Izmir—gefahren und erlebten so eine bizarre Mischung aus Studentenbuden, Motels, Zitronenbäumen, Selfie-Sticks, Poledance-Schuhen und immer wieder Religion. Junge Türken haben ein gutes Gespür dafür, ihre heiligen Feste und islamischen Traditionen mit westlicher Kleidung und amerikanischer Popmusik zu verbinden.

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Derzeit hat man es als junger Mensch im Nahen Osten nicht leicht, denn auch wenn die türkischen Grenzen das Land von Syrien und dem Iran trennen, spielt es in den Konflikten der Region doch eine Schlüsselrolle. In der Türkei mach sich zwar eine Identitätskrise breit, aber die nachkommende Generation zeigt uns dennoch, wie eine friedliche Lösung in der muslimischen Welt aussehen könnte.

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Zeitgenössische Porträts der Türkei wirken oft entweder düster und politisch aufgeladen oder total künstlich und nur auf Touristen zugeschnitten. Da ich allerdings das Raue und die Aufrichtigkeit unserer vielen Begegnungen festhalten wollte, schoss ich meine Fotoreihe mit einer kleinen 35mm-Kamera. Aufgrund der Hitze und des billigen Films hatten die entwickelten Bilder dann einen ausgewaschenen Pastellfarben-Look. Ich entschied mich dazu, diesen Umstand nicht zu verändern, da er der Serie einen jugendlichen Leichtsinn verleiht sowie ein Stück der freundlichen und entspannten türkischen Seele weitergibt.