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Popkultur

Die Wissenschaft sagt: Schließt die Foren von Bild und Co

Steht bei der Online-Berichterstattung das Demokratieprinzip oder die unverfälschte Ursprungsinformation im Vordergrund?

Fast echte Trolle. Foto: Tristan Schmurr

Ein ziemlich altes Meme aus jener Zeit, als man noch Sprichwörter dazu sagte, lautet: Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus. Früher habe ich nie ganz verstanden, was damit gemeint war—einerseits, weil Wälder kommunikativ noch eingeschränkter sind als die Leute, die in sie hineinrufen, und andererseits, weil es in einem Wald dank dem Blätterdickicht ja kein Echo gibt, wodurch dem Satz auch noch der letzte Sinn entzogen wird.

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Für mich bedeutete die Aussage deshalb sinngemäß eher: Überleg dir gut, in welche Richtung du deine Aussagen richtest, weil sie sonst in einem dunklen Loch aus raschelndem Durcheinander und dampfender Tierkacke verschwinden. Seit dem Aufkommen von Internet-Foren, Web 2.0 und damit auch der Kommentarfunktion auf so ziemlich jeder Website, die nicht der Regierung gehört, habe ich ein wenig das Gefühl, dass das die eigentlich richtigere Interpretation wäre.

Anscheinend bin ich damit nicht alleine. Die Angst vor dem dunklen Loch, das immer mehr raschelt und immer mehr nach Kacke riecht (bis hin zum Shitstorm im Extremfall), ist sogar so groß, dass jetzt die ersten Medien die Hineinschreier zum Schweigen bringen und den virtuellen Wald vor ihrer eigenen Türe gleich ganz abholzen wollen. Soll heißen: Die Diskussion um die Kommentarfunktion (vor allem auf redaktionellen Websites) wird wieder mal heiß aufgegossen.

Echte Trolle. Foto: Cometstarmoon

Vor Kurzem verkündete nämlich das Wissenschaftsportal Popular Science, dass es genug von der Zweiweg-Kommunikation auf seiner Website hat und ab sofort die Kommentarfunktion unter den Artikeln einstellen wird. Grund dafür ist dieser Gastkommentar in der New York Times, der sich wiederum auf eine Studie bezieht, in der es darum geht, dass negative Nutzer-Kommentare auch negativ auf die Wahrnehmung des gesamten kommentierten Artikels abstrahlen.

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Kommentare können beispielsweise die Risikowahrnehmung gegenüber neuen Technologien verändern. In der Studie wurde das am Beispiel eines nüchternen Artikels zum Thema Nano-Technologie getestet. Je mehr User einen Artikel negativ kommentierten—vermutlich mit Sätzen wie „Wer seid ihr, dass ihr hier Gott spielt“—, umso mehr Leser korrigierten ihre Einstellung gegenüber der Thematik selbst ins Negative.
Das Entscheidende und vielleicht auch ein bisschen Überraschende dabei ist, dass negative Kommentare auch die Meinungsbildung von Menschen (negativ) beeinflussen, die eigentlich nicht mit der Meinung in den Kommentaren übereinstimmen. Wenn also zum Beispiel in den Kommentaren zu einem relativ neutralen Artikel über ein Flüchtlingscamp in Berlin eher Stimmung in Richtung rechts gemacht wird, nehmen auch andere, vernunftbegabte Menschen, die normalerweise nichts mit rechtem Gedankengut am Hut haben, die Geschichte unter einem ausländerfeindlichen Aspekt wahr.

Man muss nicht gerade Umberto Eco oder irgendein anderer Semiotik-Sensei sein, um die Botschaft hinter der Empirie zu verstehen: Wenn wir uns unsere ernsthaften Inhalte nicht durch doofe Diskurse verderben lassen wollen, müssen wir die Diskussion darum am besten gleich ganzheitlich unterbinden (oder zumindest vor die Tür verweisen).

Bei einem Wissenschaftsportal mit Artikeln über Themen, die nur ein paar wiedergeborene Christen und radikale Muslime aufregen, kann man sich mit dieser Vorstellung vielleicht noch anfreunden. Ein bisschen anders sieht es aber aus, wenn wir uns die Tragweite einer solchen Entscheidung am Beispiel anderer, tagesaktueller Medien anschauen.

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Echte Trolle im Sinne des Marketing. Foto: Cali4beach

Zum Beispiel in Österreich, auf der Seite von der meistgelesenen Tageszeitung Krone (Krone.at, so was wie die Bild von Österreich) wurde letzten Sonntag durch schenkelklopfende Nazi-Kommentare zur Flüchtlingskatastrophe von Lampedusa der Schlund zur österreichischen Mentalitätskoloskopie geöffnet.

Auf bild.de blieb die Kommentarfunktion, wie bei solchen Themen eigentlich üblich, geschlossen. Die fragwürdigen Kommentare, die man unter dem Artikel selbst unterbunden hatte, haben sich aber einfach auf das Social-Web verschoben. Krone.at schloss die Kommentarfunktion zu diesem Artikel im Laufe des Tages allerdings auch noch und entschuldigte sich.

Wahrscheinlich würden auch hier mehr als nur ein paar Trolljäger die Schließung begrüßen, aber mindestens genauso viele würden schnell auf anderen Websites selbst zu Trollen werden und unter Artikeln über die Schließung der Kommentarfunktionen eine solche Entscheidung „demokratiepolitisch bedenklich“ (oder, viel häufiger: „faschistoide Nazischeiße“) nennen.

Die grundlegende Frage bei der gesamten Diskussion ist also: Steht für uns bei der Online-Berichterstattung das Demokratieprinzip oder die unverfälschte Ursprungsinformation im Vordergrund?

Natürlich hängt an diesem ersten Anflug von Troll-Rhetorik noch ein ganzer Rattenschwanz an weiteren Fragen: Soll und darf man das Internet immer stärker regulieren? Funktioniert Demokratie selbst wie ein moderiertes Forum? Was ist das kleinere Übel—eingeschränkte „Redefreiheit“ oder eingeschränkte Informations-„Reinheit“? Wie viele Kommentare dauert es wirklich, bis Adolf Hitler als Argument ausgespielt wird?

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In ihrer Rechtfertigung erklärte Popular Science auch, dass jederzeit die Möglichkeit besteht, die Trollbüchse der Pandora für einzelne Artikel doch wieder zu eröffnen—nur standardmäßig würde man diese Funktion eben deaktivieren. Genau diese selektive Öffnung der Kommentartore würde aber erst recht zu Problemen führen.

Bei wissenschaftlichen Artikeln kann die Frage „Kommentare: ja/nein?“ anhand einiger ganz weniger Kriterien beantwortet werden („Wenn wissenschaftlicher Output wichtig, nein; wenn gesellschaftlicher Input wichtig, ja“).

Aber wer entscheidet bei Nachrichten, was für wen auf welche Art relevant ist? Vielleicht ist die Antwort aber auch ganz einfach. So sehr das alles auf den ersten Blick nach demokratischen Kardinalsfragen klingt, geht es in Wahrheit nur um erlerntes Nutzungsverhalten. Keiner verbietet oder unterbindet Diskussionen per se; auch Popular Science fordert seine Leser explizit dazu auf, weiterhin auf ihrer Facebook-Seite und via Twitter mitzureden. Stattdessen wird nur versucht, die völlig willkürliche Zuschreibung „Unteres Ende von News-Artikeln = Plattform für User-Meinungen“ zu durchbrechen und den Benutzer-(Scheiße-)Sturm in den sozialen Windkanal umzuleiten, beziehungsweise ihn dorthin zu bündeln. Das sieht man ganz gut am Beispiel der Facebook-Kommentare bild.de.

Man könnte diese Bestrebung hin zu objektivierten News-Meldungen auch damit argumentieren, dass neben Google-Suchergebnissen ebenfalls keine Kommentare möglich sind und dieser Umstand auch nicht gleich als antidemokratisch und bevormundend empfunden wird (obwohl ich mir sicher bin, dass auf mindestens einem Dachboden dieser Welt bereits ein 35-jähriger Wutbürger an einem Blog zu diesem Thema bastelt).

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Echte Trolle ohne Sinn für Marketing. Foto: Ryan Somma

Manche wird diese Diskussion wahrscheinlich nie betreffen. Tagesmedien, egal ob on- oder offline, müssen sich auf lange Sicht überlegen, wie viel ihnen ihre Aufklärungsrolle wert ist und welchen langfristigen Preis sie für kurzfristiges Crowd- oder auch nur Troll-Pleasing zu zahlen bereit sind.

Der Kontrollverlust und anschließender Forumsschließung bei der österreichischen Krone sind zwar nur ein weiteres Symptom der ursprünglich kränkelnden Grundsatzfrage nach freier Meinungsäußerung und unfreier Informationsmoderation—aber das legt auch nahe, dass man die Geister nicht milde stimmt, indem man ihnen ein Portal öffnet.

Ich würde ja gerne dazu aufrufen, die Fragen unter diesem Beitrag zu diskutieren. Aber ich fürchte, ich weiß es besser.

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