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Mode

Diese Ex-Muslima hat einen Tumblr für Frauen gestartet, die ihr Kopftuch an den Nagel gehängt haben

Hiba Krisht erzählt uns von den 15 Jahren, die sie gegen ihren Willen ein Kopftuch tragen musste, wie der Islam Frauen hypersexualisieren kann und ob sie Angst hat, dass ihre Website von rechten Fanatiker missbraucht wird.

Hiba Krisht. Alle Screenshots mit freundlicher Genehmigung der Interviewten.

Vor etwas mehr als einem Jahr hat Hiba Krisht angefangen, unter dem Pseudonym Marwa Berro über ihre Erfahrungen als in den USA lebende, ehemalige Muslimin und Kopftuchträgerin zu schreiben. Die 25-Jährige, die in Saudi-Arabien und dem Libanon aufgewachsen ist, hat von ihrer Kindheit bis als junge Erwachsene ein Kopftuch getragen, dessen sie sich aber entledigte, sobald sie in die USA kam. Diesen August werden es zwei Jahre sein, in denen sie kein Hidschab getragen hat.

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Krisht fand sich derzeit plötzlich großer Medienaufmerksamkeit ausgesetzt, nachdem sie mit „The Ex-Hijabi Fashion Photo Journal" online gegangen war, einem Tumblr, der in ihren eigenen Worten dem „Zelebrieren von Körper und Mode, speziell für diejenigen, die mit den islamischen Sittsamkeitsregeln gebrochen haben", gewidmet ist. Einen Tag, nachdem sie den Tumblr gestartet hatte, war bei Mediaite schon ein Artikel über ihre neue Seite erschienen, die Besucherzahlen ihres persönlichen Blogs waren um Tausende Zugriffe in die Höhe geschossen und ihre „Social-Media-Feeds explodierten förmlich vor Menschen, die die Idee liebten". Da ich vor nicht allzu langer Zeit kurze Bekanntschaft mit Krisht bei der vom Center for Inquiry veranstalteten Konferenz Women in Secularism gemacht hatte, kontaktierte ich sie, um mehr über ihr Projekt zu erfahren.

VICE: Wie würdest du das Wechselspiel zwischen deinem Atheismus, deinem Feminismus und deiner Entscheidung, nicht länger ein Kopftuch zu tragen, charakterisieren?
Hiba Krisht: Meine Abkehr von der Religion hatte sehr viel mit meiner Unfähigkeit zu tun, mich mit der weiblichen Geschlechterrolle und den Sittengesetzen des Islams und anderer abrahamitischer Religionen abzufinden. Mein Körper wurde pausenlos hinterfragt und stigmatisiert. Die Regeln für mein Verhalten wurden daran festgemacht, wie mein Körper von anderen wahrgenommen wurde. Viel zu oft behandeln die islamischen Sittsamkeitsregeln den Körper als etwas Schändliches. Die Rhetorik, die sich für das Hidschab ausspricht, degradiert Frauen zu Objekten, auf die man Anspruch erheben kann und die konsumiert werden können—so wie Perlen in Austern oder eingepackte Bonbons.

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Das arabische Wort, das im Islam benutzt wird, um Körperteile zu beschreiben, die verhüllt werden müssen, lautet ʿaura (عورة), ein Begriff dessen ursprüngliche Bedeutung für Fehlerhaftigkeit, Mangelhaftigkeit und Makel steht. Im Arabischen werden die unverhüllten Körper von Frauen außerdem fitna (فتنة) genannt, um die Versuchung zu beschreiben, die von ihnen ausgeht. Es ist das gleiche Wort, das auch für Anstachelung, innere Unruhe und Streit benutzt wird. Mit diesen Begriffen, die mit unseren Körpern in Verbindung gebracht werden, wachsen wir auf.

Mein Körper ist aber kein Objekt, das für Streit sorgt und verhüllt werden muss. Viele von uns haben dem Islam den Rücken gekehrt oder dessen Sittsamkeitsregeln zurückgewiesen, weil wir uns weigern, so behandelt zu werden; weil wir uns weigern, dass unsere Haare und Gliedmaßen derartig hypersexualisiert werden, dass wir ständig als Gefahr und Versuchung angesehen werden, einfach nur weil diese dort sind, wo Augen sie sehen können. Diesen Schritt dahin, den eigenen Körper zu zelebrieren und die Doktrinen der Sittsamkeit zurückzuweisen, ist einer, den ich auch schon viele gläubige Menschen habe wertschätzen sehen.

Nachdem unsere Körper so lange mit derartiger Abwertung und Einschränkungen behandelt worden sind, fand ich, dass es höchste Zeit war, einen Ort zu haben, an dem wir, in aller Öffentlichkeit, unsere Körper in ihrer schamlosen Pracht würdigen, in aller Öffentlichkeit die Geschichten unserer Körper erzählen und uns, in aller Öffentlichkeit, mit schönen Dingen schmücken können. Ich wollte, dass wir endlich die Möglichkeit haben sollten, selber zu entscheiden, wie wir unsere Körper präsentieren möchten, wie wir aussehen, sein und fühlen möchten.

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Was war für dich die größte Herausforderung als ehemalige Hidschabi?
Obwohl ich das Kopftuch trug, verhielt ich mich für viel zu lange Zeit, die ich es trug, so, wie es sich für eine Hidschabi gehört—d.h. bescheiden, still, hielt meine öffentliche Präsenz, meine Stimme und meine Interaktion mit anderen zurück— weil ich dazu von meiner Familie gezwungen wurde und nicht weil ich selber von dieser Rolle überzeugt war. Ich musste mich in unglaublicher Selbstunterdrückung und Selbstkontrolle üben. Ich war gezwungen, auf jede erdenkliche Art zu lügen—mit meinem Körper, mit meinen Gesten, mit meinem Gesicht, mit meinen Worten—weil ich mich nach Ritualen richten musste, an die ich selber nicht glaubte, Ansichten zustimmen musste, die ich als abstoßend empfand, und mir im Angesicht von Frauenfeindlichkeit, Rassismus und Homophobie auf die Zunge beißen musste. Ich lernte versteckte Verhaltensweisen und Codes, um damit umgehen zu können; damit ich im Verborgenen auch Wärme und menschliche Interaktionen verspüren konnte. So konnte ich auch leben, anstatt bloß zu überleben.

Jede Person hat ihre eigene Geschichte, aber ich persönlich hätte mir niemals vorstellen können, welchen Schaden dieses ganze Lügen, das Verstecken und die Angst an meiner eigenen Psyche anrichten würden, wie sehr es mich innerlich spalten würde. Ich hätte niemals gedacht, wie bleibend und lähmend die Auswirkungen dieser Jahre sein würden—die Dysphorie, die ich entwickeln sollte, wie sehr ich mich von meinem eigenen Körper distanziert hatte, wie sich die Geister einer Vergangenheit in Angst noch in jedem unerwartetem Türklopfen und nächtlichen Telefonanrufen versteckt hielten. Als ich nach Amerika kam, entwickelte ich eine posttraumatische Belastungsstörung—ganze sechs Jahre nach meiner schlimmsten Misshandlung, die mir zugefügt wurde, als ich versuchte, mich meiner Familie entgegen zu stellen. In meinem Kopf hatte ich all diese Dinge verdrängt, um mich später damit zu befassen, und vieles davon kommt erst gerade jetzt an die Oberfläche, da ich frei bin.

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Das ist wahrscheinlich auch meine größte Motivation hinter dem Projekt—es hilft bei der Heilung, einen Ort zu haben, um darüber reden zu können, einen, an dem wir Spaß haben und Freude und Stolz an unseren Körpern ausleben können. Sie wieder als das Unsrige, und wirklich nur unser eigenes, zurückzufordern.

Bei vielen Anliegen, denen sich progressive oder ehemalige Muslime widmen, lauert immer die Gefahr, dass diese rechte Positionen stärken oder sogar antimuslimische Vorurteile fördern. Was denkst du darüber?
Das ist eine berechtigte Sorge. Antimuslimische Vorurteile sind ein sehr weit verbreitetes und bedauernswertes Phänomen—eins, das sollte ich wohl hinzufügen, gegenüber dem ehemals muslimische Atheisten keineswegs immun sind, gerade weil es auf sehr pauschalen Verallgemeinerungen wie Ethnie, Kultur und Rasse basiert und deswegen nicht einfach nur an uns vorübergeht. Viele Nichtmuslime sehen sich antimuslimischen Vorurteilen ausgesetzt, weil ihnen einfach unterstellt wird, dass sie zur muslimischen Kultur gehören.

Wir wehren uns auch dagegen, dass unsere vergangenen und aktuellen Umstände in irgendeiner Form für rechte Rhetorik in falsches Licht gerückt werden. Die Rechten haben sich nur eine destruktive Zerschlagung zum Ziel gesetzt, anstatt Fortschritt und Veränderungen zu fördern. Es gibt für uns unzählige Gründe, wegen der antimuslimischen Bigotterie besorgt zu sein, sie zu verurteilen und so gut wir können sicherzustellen, dass unsere Anliegen nicht für ihre Zwecke missbraucht werden.

Die Möglichkeit, dass unsere Arbeit für die falschen Zwecke missbraucht wird, ist immer gegeben, aber es ist Arbeit, die einfach zu wichtig ist, als dass wir sie deswegen zurückhalten könnten. Es gibt zu viel Fortschritt, der dringend benötigt wird, um die grundlegendsten Freiheiten in arabischen und muslimischen Gesellschaften und Gemeinschaften auf der ganzen Welt zu gewährleisten, um das Recht auf religiösen Dissens und Apostasie zu fördern. Das heißt keineswegs, dass wir dieses Problem ignorieren. Wir hoffen, dass unsere Bemühungen, unsere Arbeit mit Vernunft und Empathie zu untermauern, dieses minimieren, indem wir uns mit spezifischen Gegebenheiten auseinandersetzen und keine Verallgemeinerungen über Muslime oder den Islam treffen. Wir tun unser Möglichstes, sehr deutlich und offen bezüglich unserer liberalen und antirassistischen Einstellung zu sein, damit wir eine zuverlässige Institution hinsichtlich der Versicherung persönlicher Freiheit und Unabhängigkeit darstellen—für die Gottlosen und Gottesfürchtigen gleichermaßen.