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Popkultur

Diese MTV-Sendungen haben mich in meiner Jugend verarscht und ich bin voll drauf reingefallen

'Room Raiders', 'DisMissed' oder 'Pimp My Ride' haben die Nachmittage meiner Schulzeit um einiges schöner gemacht. Warum es mich nicht stört, dass diese Sendungen nicht echt waren.
Collage von VICE Media, Screenshots via YouTube

In meiner Schulzeit war ich eine Mischung aus Willow und Shoshanna. Ich habe meine Hausaufgaben zeitig gemacht, hatte bevor ich 17 war nicht wirklich Interesse, Leute des anderen Geschlechts kennenzulernen und die wildesten Partys feierte ich immer im Pyjama mit einer Packung Chips in der Hand und einem Kreischen auf den Lippen, weil wir zum gefühlten zehnten Mal The Ring anschauten. Anfang der 2000er hatte ich eben noch nicht so den Drang, mit 15 wie 25 auszusehen und auch so zu sein. Viel lieber sah ich echten 25-Jährigen dabei zu, wie sie ihr Leben so gestalteten—am liebsten auf MTV nach der Schule.

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Video: Die heutigen Kids scheinen sich eher für sowas zu interessieren.

Ich glaube, viele von uns 2000er-Teenies erinnern sich an dieses geile Gefühl, wenn man die Schultasche ins Zimmer legt, sich den Bauch mit warmem, leckerem Mittagessen vollschlägt und dabei drei Folgen DisMissed bingewatcht. Diejenigen von euch, die heute erst 15 oder 16 sind, sollten sofort in einem anderen Tab YouTube öffnen und alle Folgen von Next, Super Sweet Sixteen und Parental Control schauen. Und ich bin mir sicher, das waren noch nicht mal wirklich alle „Dating/Reality"-Formate, die auf dem Musik(!)sender damals liefen. Die Gesichter der Leute sehen dank der schlechten Auflösung zwar aus, als wären sie ausgeblurrt, aber wenn man so wie ich echte Liebe für diese Shows hat, mindert das nicht die Qualität. Das hier sind meine Lieblingsformate von damals.

DisMissed

Du hast zwei Mädels und einen Typen—oder umgekehrt—und die drei gehen auf ein Date, wobei der Mann am Ende nur eine auswählt. Die Zickenkriege bei GNTM sind ein Zuckerschlecken dagegen. Nicht einmal in meiner Mädchenklassen gab es solche Feindseligkeiten, wofür ich ziemlich dankbar bin. Bei DisMissed konntest du punkten, indem du deinen Traumtypen zum Rollerskaten einlädst oder deiner Widersacherin aus Versehen in die Rippen geboxt. Da mich Typen zu jener Zeit gar nicht so wirklich interessierten (außer sie hießen Spike und waren der schärfste Vampir aller Zeiten), habe ich eher praktische Tipps aus dieser Sendung mitgenommen. Zum Beispiel, dass ein Whirlpool genauso zu einem normalen Haushalt gehört, wie die Liebesgrotte zur Playboy-Villa.

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Pimp My Ride

Das war keine klassische Dating-Sendung—eher ein Klopf-Klopf-Witz mit Starbesetzung. Oder wie diese Gewinnspiele im Radio, wo du deine Nummer angibst und nie weißt, ob dich nicht Dani Linzer von Kronehit anruft, um dir Karten für das nächste David Guetta-Konzert zu schenken. Stell dir vor, du meldest dich bei Pimp My Ride an und es wird dir gesagt, dass entweder ein Nietenmann mit schlechter, oder Xzibit mit guter Botschaft anklopfen wird. Dieses Konzept muss viele paranoide Schübe in den Vorstädten Amerikas ausgelöst haben. Die wahrscheinlich schon seit Stunden Nägel kauende und durchs Guckloch starrende Kandidaten sind logischerweise jedes Mal ziemlich ausgeflippt, wenn der Rapper vor der Tür stand. Dann war da auch noch was mit Autos, aber ehrlich gesagt wussten wir alle irgendwie, dass die Teile vermutlich nicht mal fahren können—Hauptsache, sie haben ausgesehen wie irgendwas aus einem Spielzeug-Set.

Room Raiders

Ich finde, mit dem Konzept von Room Raiders hat sich MTV selbst übertroffen. Die Idee war ein Mix aus Drei-Typen-kämpfen-um-ein-Mädchen, purem Voyeurismus und NCIS (in der Form eines Köfferchens voller nützlicher Detektivutensilien). Von Room Raiders habe ich sogar ein paar Folgen auf Videokassette aufgenommen, wenn ich nach der Schule mal keine Zeit hatte, fernzuschauen. Wahrscheinlich hat es mich auch gereizt, weil die Sendung in Wahrheit den Horror jedes Teens verkörperte: Ahnungslose, junge Leute wurden aus ihrem Leben—manchmal sogar aus ihren Betten—gerissen und in einen Van verfrachtet, während die Durchsucherin, die zurückbleibt, eigentlich nur eine einzige Aufgabe hatte: nämlich mit dem Schwarzlicht über das Bett zu leuchten und alle möglichen Flecken freizulegen.

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Die Liste an guten Sendungen könnte ich wohl noch ziemlich lang fortsetzen, aber der Punkt bei der ganzen Sache ist, dass ich damals geglaubt habe, was ich sehe. Und zwar nicht bis vor 10 Jahren, sondern bis vor wenigen Tagen. Mein Freund hat mich dann ganz sanft an der Hand genommen und darüber aufgeklärt, dass Scripted Reality nicht nur bei Verklag mich doch oder Mitten im Leben existiert. OK, ich bin ein wahnsinnig leichtgläubiger Mensch. Als ich so um die 11 war, hat mein Vater mal eine Feder im Garten gefunden und beim Frühstückstisch so getan, als hätte er sie mir ausgerupft. Er meinte, ich würde mich zu einer Pute verwandeln, weil ich Putenschinken gegessen hatte. Es war einer der größten Schocks meines Lebens.

Es ist also nicht verwunderlich, dass ich den Schwachsinn glaube, den uns TV-Produzenten auftischen. Und zu meinem Glück geht es nicht nur mir so. Die Suchbegriffe „Scripted Reality" und „MTV" bringen in Kombination ziemlich viele verzweifelte Fragen in diversen Foren zum Vorschein, aus denen klar wird, dass auch andere User ein Problem damit haben, Bullshit immer gleich als solchen zu erkennen.

Eine ehemalige Praktikantin bei MTV, die für das Abholen der Room Raiders zuständig war, schreibt davon, dass zwar nicht alle Personen Darsteller sind, aber dass Szenen erstens wahnsinnig oft wiederholt wurden und zweitens die Produzenten auch aktiv Sachen eingesagt haben.

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Hat meine Nachmittage in der Schulzeit gerettet: MTV. Foto: Alberto Garcia | Flickr | CC BY-SA 2.0

Das erinnert stark an GNTM, wo die Teilnehmerinnen ebenso ermutigt wurden, bestimmte Dinge zu erwähnen, wegzulassen oder gewisse Statements und Charaktereigenschaften zu verstärken, um mehr Sendezeit zu bekommen. Der Unterschied liegt hauptsächlich darin, was den Kandidaten in Aussicht gestellt wird. Ich meine, niemand, der bei einer MTV-Show der 00er-Jahre teilnahm, glaubte ernsthaft daran, auf das Cover irgendeines Magazins zu kommen. Stattdessen haben sich ziemlich sicher alle mit der Kohle und einem eventuellen Gspusi zufriedengegeben.

Obwohl ich ja nicht glauben kann, dass bei den MTV-Sendungen wirklich Liebespaare herausgekommen sind, wurde hinter den Kulissen sicherlich viel geflirtet und gebumst. In diesem Sinne waren die Dating-Shows wie die Vorgänger von Grindr, Tinder und anderen Apps. Das Foto-vom-Bildschirm-Wischen geht zwar ein bisschen schneller, als die Person bei Next aus dem Bus steigen zu lassen und sie von Kopf bis Fuß zu mustern, wie ein Aasgeier ein sterbendes Tier, aber trotzdem sind sich die zwei Aktionen ähnlich. Vielleicht haben wir geglaubt, dass die Teilnehmer echt sind, weil sie trotz Gage ein bisschen neugierig waren, mit wem sie zusammengewürfelt werden. Andererseits: So war das ja auch schon bei Herzblatt.

Die Sache ist wahrscheinlich, dass die Echtheit beim Schauen einfach wichtig ist, um mitzufiebern. Auch, wenn man sich dafür manchmal einreden musste, dass man daran glaubte, obwohl es vielleicht nicht so war. In der Literaturwissenschaft sagt man dazu „suspension of disbelief", aber in der MTViologie gibt es dafür noch keinen Fachausdruck.

Ein Aspekt, der zur Echtheit beigetragen hat, war die Echtzeit. Irgendwie ist es leichter, daran zu glauben, dass in einer amerikanischen Vorstadthölle plötzlich Xzibit vor der Tür steht, wenn der Typ dahinter laut kreischt und man das alles quasi „ungefiltert" zu sehen bekommt. Aber wer bitteschön soll Verklag mich doch ernstnehmen, wenn diese Rechtsfälle offensichtlich in der Vergangenheit spielen? Nicht einmal bei Berlin – Tag & Nacht, das ja vom Sendungskonzept her MTV-Potenzial hätte, schaffen es die Produzenten, auch nur einen Funken Echtheit reinzubringen.

Der letzte echte Scripted Reality-Hit im deutschen Fernsehen war wahrscheinlich Die Abschlussklasse. Ich sage nicht, dass diese Serie ansatzweise gut oder schlüssig war (so viele Intrigen, Bombendrohungen und Betrügereien fallen sonst nur Dan Brown ein), aber sie wurde sehr clever in die Fernsehwelt eingeführt. Die Laiendarsteller wurden damals als nette Maturanten von nebenan bei Arabella vorgestellt—als „echte" Talkshow-Gäste. Lang hat die Illusion zwar nicht gehalten, aber zumindest war der Überraschungseffekt auf ihrer Seite.

Auch wenn Die Abschlussklasse wohl das einzige Reality-Format ist, dass ich nie gesehen habe, stehe ich dazu, dass ich jahrelang an Scripted Reality geglaubt habe. Auch, wenn ich mir heute nicht mehr erklären kann, warum sich Leute freiwillig für eine Show melden, wo sie sich von ihren Eltern verkuppeln lassen, obwohl sie gerade einen Partner haben, finde ich das Konzept super. Am liebsten würde ich wahrscheinlich auch an die Assi-Sendungen wie Mitten im Leben, Familienfälle, oder We are Family! So lebt Deutschland glauben, aber die machen es einem ziemlich unmöglich. Mit ihrer plumpen Art killen sie das letzte Bisschen Naivität, das man als normaler Fernsehzuschauer haben kann (und ich weiß, wovon ich rede). Zum Glück gibt es noch ein paar alte MTV-Folgen auf YouTube, die ich noch nicht kenne, damit ich das heile TV-Welt-Gefühl meiner Jugend nachfeiern kann.

Teilt eure Lieblings-MTV-Sendungen mit Anne-Marie auf Twitter: @Viennesecat