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Dieser Mann hat mit voller Absicht sein eigenes Bein zerstört

Wir haben mit einem Mann gesprochen, der an Body Integrity Identity Disorder leidet, einer seltenen Störung, bei der es sich anfühlt, als sei ein Körperteil ein Fremdkörper.
Puppe mit fehlendem Bein
Bild via Flickr User Batik Kaftan Crafts

Body Integrity Identity Disorder ( BIID) ist eine selten auftretende psychische Störung, bei der die Betroffenen das Gefühl haben, dass ein oder mehrere Gliedmaßen nicht zu ihrem Körper gehören. Diese Menschen entwickeln oft eine Obsession mit Amputationen und gehen in manchen Fällen sogar so weit, selber bei sich Operationen durchzuführen. Es dauerte bis Mitte der 1990er, bis BIID in der Neurologie anerkannt wurde. Erste Forschungsergebnisse legen nahe, dass die Störung auf einen Fehler im rechten Parietallappen des Gehirns zurückzuführen ist, der quasi die innere Karte des Körpers beherbergt. Diese Entdeckung hat dazu geführt, dass BIID von vielen als neuroanatomische Störung und nicht als psychologische gesehen wird.

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Seit ich von BIID gehört habe, hat mich das Thema nicht mehr losgelassen. Was genau bringt jemanden dazu, einen voll funktionstätigen und gesunden Teil seines Körpers amputieren zu wollen? Um darauf eine Antwort zu finden, bin ich einer Yahoo-Gruppe mit dem Namen „Fighting It" beigetreten, in der Betroffene seit 2001 miteinander diskutieren. Die Gruppe hat momentan 2.356 Mitglieder und unter diesen befindet sich auch ein 30 Jahre alter Mann, den wir von nun an „John" nennen werden. John wollte zwar ungern darüber sprechen, wie genau er sein Bein entfernt hatte, war aber froh, uns darüber aufzuklären, wie er an diesen Punkt kam.

VICE: Hi John, kannst du beschreiben, wie sich BIID bei dir bemerkbar gemacht hat?
John: Es war mein linkes Bein, unterhalb meines Knies, das mich störte. Ich war gerade mal etwas über zehn Jahre alt, als ich beschloss, dass ich lieber amputiert wäre. Es war eine sehr fremdartige Erkenntnis—aber wenn ich zurückschaue, dann habe ich schon als kleines Kind oft Amputierter gespielt.

Was war es, das dich an dem Bein störte?
Es ist schwierig zu beschreiben, wie es war, ein Bein zu haben, das da nicht hingehörte. Jeder Schritt fühlte sich seltsam an, und es fühlte sich sogar im Sitzen seltsam an. Wenn ich beschäftigt war, dann dachte ich nicht mehr daran, aber sobald ich aufhörte, kam das Gefühl zurück. Es gab Phasen, in denen das Gefühl weniger belastend war, und solche, in denen es schlimmer war. Ich fühlte mich, als sei ich wahrscheinlich die einzige Person, die so denkt, doch schließlich fand ich ein paar Yahoo-Gruppen und das gab mir etwas Trost. Aber ich hatte es immer irgendwie im Kopf und es nagte an mir.

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Hast du oft daran gedacht, das Bein entfernen zu lassen?
Natürlich. Und offensichtlich wäre eine schöne, sichere, schmerzlose Operation meine erste Wahl gewesen. Aber diese Option stand mir nicht zur Verfügung, also musste ich die am wenigsten schreckliche Alternative finden. Ich erzähle dir mal, wie ein Plan aussah, den ich mit 15 hatte. Ich wollte so tun, als würde ich vom Fahrrad fallen und mein Bein unter einen Zug kommen lassen. Dann, wenn das Bein ab war, wollte ich zu einer Telefonzelle rollen. Ich weiß nicht, ob das Dummheit oder Verzweiflung war.

Was war in deinem Leben los, als du die Entscheidung getroffen hast, dass du bereit bist, als Amputierter zu leben? Wie fühltest du dich?
Mein Leben war gut und verlief in geregelten Bahnen, und deswegen war es auch der richtige Zeitpunkt. Ich hatte schon zwölf Jahre zuvor beschlossen, dass ich es loswerden wollte. Ich war ziemlich klar im Kopf und wusste einfach, dass ich es schaffen würde. Ich fühlte mich einfach eher mutig als besorgt.

Aber wie hast du dich an dem Morgen gefühlt, als du es durchgezogen hast? Warst du nervös?
Ich war total nervös. Ich wusste einfach nur, dass irgendwie drei Dutzend Bleikügelchen ihren Weg durch mein Bein finden würden. Ich war so nervös, dass ich mich fast übergab, aber ich wusste, dass es meine beste Chance war, meine Beschwerden loszuwerden, also zählte ich bis drei. Später, als es getan war, war ich erfüllt von Erleichterung. Es war vorbei und ich war frei.

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Wie hast du dich gefühlt, als du im Krankenhaus ankamst?
Die meiste Angst war weg, als der Schmerz so richtig einsetzte und Hilfe unterwegs war. Ich war überzeugt, dass ich überleben würde und mich nun einfach erholen musste.

Spürst du jemals den Drang, das andere Bein zu entfernen?
Der Rest meines Körpers ist mein, und ich will ihn sehr, sehr gerne behalten. Ich schätze mal, ich würde den Verlust eines weiteren Glieds wegen meiner Erfahrung besser verkraften als die meisten anderen, doch es würde mich immer noch belasten. Ich finde die Krankheit nicht süchtig machend wie Tattoos und Piercings es zu sein scheinen. Und selbst wenn ich mir eine weitere Amputation wünschen würde, ich glaube, ich habe beim ersten Mal meinen ganzen Mut aufgebraucht. Stell dir vor, ich meine, stell dir wirklich vor, eine Situation zu erschaffen, in der die Knochen und Muskeln eines Körperteils so viel Schaden erleiden, dass jeglicher Versuch, ihn zu retten, trotz der Errungenschaften der modernen Medizin ausgeschlossen ist.

Vermisst du dein Bein jemals?
Manchmal, aber ich bin mir nicht sicher, ob das passiert, weil ich mein Bein vermisse oder weil es mich daran erinnert, dass ich ein Irrer bin. Wann immer ich meine Entscheidung in Frage stelle, erinnere ich mich einfach an das Unbehagen.

Es war schwierig für mich, jemanden zu finden, der gewillt war, mit mir über dieses Thema zu sprechen. Warum hast du dich dazu entschieden?
Ich bin nicht der Erste, der die Dinge selbst in die Hand genommen hat, und ich werde nicht der Letzte bleiben. Der springende Punkt ist, dass man Leuten, die an BIID leiden, genug Akzeptanz entgegenbringen sollte, dass sie um Hilfe bitten und nicht zu solch drastischen Mitteln greifen müssen. Deswegen teile ich meine Geschichte.


Titelbild via Flickr-User Batik Kaftan Crafts