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Dinge, die du nur verstehst, wenn du schon mal einen „Dinge, die du nur verstehst, wenn“-Artikel gelesen hast

Nach „Die 10 besten Serien der 90er" kommt „10 Serien, die nur Kids aus den 90ern kennen". Warum eigentlich?

Vergangene Woche scrollte ich ganz normal durch meinen Facebook-Feed. Was dann geschah, werdet ihr nicht glauben.

„20 Dinge, die Du verstehen wirst, wenn Du schon mal Analsex hattest" ploppte da plötzlich auf, eine Klickstrecke von BuzzFeed, bei der ich erstmal davon ausging, dass es sich um irgendeinen satirischen Take auf diese ganze Listicle-Madness handeln müsse. Also habe ich draufgeklickt. Und wurde mit mehreren Reaction-Gifs und 20 Weisheiten zum Thema rektale Penetration belohnt. Darunter auch diese sprachliche Perle: „Und manchmal denkst Du, dass Du bereit bist. Dann geht das Ding rein und Du atmest scharf ein und musst dem Typen sagen, dass er das Ding jetzt rausziehen soll. Aber manchmal geht das Ding rein und Du bist so verdammt bereit dafür. Als würde E.T. nach Hause telefonieren."

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In dem Moment taten mir die Personen, die das Ganze schreiben bzw. übersetzen mussten, sehr leid. Gleichzeitig habe ich mich aber auch gefragt, warum einem plötzlich von allen Seiten aufdoktriniert werden muss, welche Dinge man zu kennen und zu verstehen hat, wenn man irgendwann mal irgendetwas in seinem Leben erlebt hat.

Listen funktionieren, weil sie zum einen einen sehr erwartbaren Rahmen vorgeben—wenn wir auf eine 6-Punkte-Liste klicken, wissen wir nicht nur ziemlich genau, worum es konkret gehen wird („Die 6 verrücktesten Intimfrisurtrends für Tiere", „6 Dinge, die du niemals von Hitler gedacht hättest"), sondern auch ungefähr, wie viel Zeit die Lektüre in Anspruch nehmen wird. Der New Yorker hat zu diesem Thema einen ziemlich lesenswerten Artikel veröffentlicht, in dem er den psychologischen Hintergründen für unsere Listenbesessenheit auf den Grund geht, und es gibt wissenschaftliche Studien, die herausgefunden haben wollen, wie viele Punkte Listen haben dürfen, um als besonders interessant wahrgenommen zu werden.

Die „Dinge, die du nur kennst/verstehst/weißt, wenn"-Artikel sind eine Art Untergattung ebenjenes Erfolgsrezepts und scheinen sich aktuell auf einem ziemlichen Beliebtheitshoch zu befinden.

23 Dinge, die du nur kennst, wenn du schon mal versucht hast, mit deinen Schuhen zu telefonieren | Foto: David Long | Flickr | CC BY 2.0

10 Dinge, die du nur kennst, wenn du deine BFF seit dem Kindergarten kennst", „11 Dinge, die du nur kennst, wenn du einen seltenen Namen hast!", „10 Dinge, die du nur kennst, wenn du Samstagabend zu Hause verbringst"—das Praktische an diesen Listen ist, dass sie beinahe unerschöpflich sind. Man kann sich ihnen von regionaler Seite aus nähern („18 Dinge, die du nur kennst, wenn du aus dem Elsass bist") oder sie auf eine bestimmte Lebenssituation beziehen („10 Dinge, die du nur kennst, wenn du in einer WG wohnst") und dabei so spezifisch („28 Dinge, die du nur kennst, wenn du an der FU Berlin studierst") werden, wie man möchte.

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Ich könnte einen Artikel über „Dinge, die nur Wiener wissen, die schon mal um halb Drei besoffen in der U2 zwischen Schottenring und Museumsquartier Kebab mit Knoblauchsauce gegessen haben" schreiben, und da draußen würde sich irgendjemand angesprochen fühlen. Jemand, der sich wahlweise „ertappt" oder an Leute aus dem Bekanntenkreis „erinnert fühlt", denen der Link dann natürlich sofort weitergeleitet wird. Aber warum eigentlich?

Punkt 1: Wir lieben Nostalgie

Kennt ihr diesen Moment, wenn ihr euch nur aus Verzweiflung mit irgendjemandem unterhaltet, es stellt sich heraus, dass ihr ungefähr gleich alt seid und plötzlich seid ihr mitten in einer angeregten Diskussion darüber, warum Vegeta schon immer viel cooler war als Son-Goku? Oder wie ihr im Gegensatz zu euren Freunden niemals einen Super Nintendo haben durftet und eure Eltern echt deswegen gehasst habt? Kaum etwas verbindet so sehr wie gemeinsame Erinnerungen, die weit genug zurückliegen, um sie in romantisch verklärtem Licht zu sehen.

Wie ausgeprägt der Wunsch danach ist, sich über kollektive Kindheitserinnerungen auszutauschen, sieht man alleine schon auf Facebook. Die ersten drei Gruppen, die einem unter dem Suchbegriff „Kindheitserinnerungen" angezeigt werden, zählen zusammen rund eine Million Fans. 70er-, 80er- und 90er-Partys erfreuen sich ungebrochener Beliebtheit und Kindheitsserien wie Sailor Moon oder Dragon Ball werden Jahrzehnte nach ihrer Erstausstrahlung neu aufgelegt. Kein Wunder, dass da draußen etliche Listicles existieren, die sich an „Kids aus den 90ern" oder „Leute, die in den 80ern aufgewachsen sind" richten. Mit Tränen in den Augen erinnern wir uns an eine Zeit, in der alles noch ein bisschen einfacher war—und übersehen dabei großzügig die Qualen und Leiden der Pubertät.

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Punkt 2: Die Artikel sind so beliebig, dass sie alle und niemanden ansprechen

Habt ihr euch mal gefragt, warum Horoskope immer, zumindest zu einem gewissen Teil, zutreffend scheinen? Das liegt zum einen an der Art und Weise, wie sie formuliert sind (möglichst abstrakt, damit der Leser sie für sich selbst deuten kann), zum anderen aber auch daran, dass der Mensch als solcher dazu neigt, alles zu glauben, wenn er es nur will. Wenn ich also anhand einer Überschrift davon ausgehe, dass es mich betrifft, bin ich eher gewillt zu glauben, dass der Inhalt demzufolge auch irgendwie auf mich zutrifft.

Ganz besonders clever ist es außerdem, eine Liste für eine Gruppe zu erstellen, zu der sich jeder irgendwie dazuzählen (oder sich zumindest nicht direkt ausschließen) kann. Wenn also „22 Dinge" zusammenstellt werden, „die nur Leute mit einer Leidenschaft für Farben verstehen", könnte da grundlegend erst mal jeder draufklicken, der von sich selbst nicht behaupten kann, Farben abgrundtief zu hassen. Der Inhalt des Artikels wiederum besteht aus eher abstrus wirkenden Punkten wie „Du findest es aufregend, in ein Geschäft zu gehen und zu sehen, dass Deine Farbe in dieser Saison sehr beliebt ist." (die wiederum so spezifisch sind, dass es da draußen bestimmt irgendjemanden gibt, der sich so RICHTIG angesprochen fühlt) und „Dingen", die so allgemeingültig sind, dass man ihnen nicht widersprechen kann. Dass warme Farben die Stimmung verbessern, ist beispielsweise kein Effekt, der sich nur auf eine ganz bestimmte Menschengruppe auswirkt, das ist psychologisch bewiesen. Ein bisschen so, als würde man unter „Dinge, die nur Leute kennen, die schon mal durch den Regen gelaufen sind" den Punkt „Es ist nasser, als wenn es nicht regnet" anführen.

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Punkt 3: Wir gehören unglaublich gerne irgendwelchen Gruppen an

Dass diese Art von Artikel trotzdem geteilt wird, auch wenn die meisten Punkte wohl ähnlich beliebig sind wie die Wochenhoroskope in Klatschzeitschriften, muss also nicht primär an der Qualität oder der Wahrhaftigkeit ihres Inhalts liegen. Vielleicht entspricht es einfach unserer Natur, uns irgendwo zugehörig fühlen zu wollen.

Während Seiten wie heftig.co primär über die Emotionalisierung des Lesers funktionieren, indem sie ihm „unglaubliche" Geschichten aus anderen Kulturkreisen, Bevölkerungsschichten oder Teilen der Welt erzählen, funktionieren diese Artikel dadurch, dass dem Leser suggeriert wird, dass es ganz konkret um ihn geht. Je spezifischer eine solche Liste wird, umso mehr fühlt sich der Rezipient logischerweise angesprochen, weil sie viel mehr auf seine ganz konkrete Lebenssituation zugeschnitten scheint. Gleichzeitig schaffen sie eine Art Gemeinschaftsgefühl. Sie sagen „Du bist nicht der Einzige, dem es so geht. Du bist Teil einer Gruppe, die über kollektive Erinnerungen oder Erwartungswerte verfügt. (Und jetzt klick endlich auf den Link.)"

Müssen wir uns also schämen, wenn wir uns von „10 Dinge, die du nur weißt, wenn du schon mal deine Haare geglättet hast" zu „23 Dinge, die du nur kennst, wenn deine Mutter früher mal ein Hardcore-Hippie war" klicken und uns im einen oder anderen Reaction-Gif wiedererkennen? Nein, natürlich nicht. Es wäre nur schön, wenn zwischen den ganzen Listen und „Weißt du noch"-Nostalgietexten auch mal wieder irgendetwas auftaucht, das keine Zahl in der Überschrift hat, primär aus Gifs besteht oder sich an mich als Leser anbiedert. #danke

Schickt Lisa eure schönsten Kindheitserinnerungen bei Twitter.


Titelfoto: See-ming Lee | Flickr | CC BY-SA 2.0