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Du bist Schuld, dass Armstrong dopt

Alle schimpfen auf Lance Armstrong. Wie konnte er nur so lange lügen und dopen? Aber, hey, es ist alles unsere Schuld. Wir wollten es doch immer noch schneller.

Alle reden wieder über Doping. Schuld ist Lance Armstrong, der gestern bei der US-Talkerin Oprah Winfrey über seine 20-jährige mehrfach preisgekrönte Kariere als Doping-Profi im Radrennen gesprochen hat. Immer wieder hat er beteuert, dass er clean sei. Doch das war alles nur eine fette Lüge. „Ich bin mit seinen Antworten zufrieden”, hat Winfrey schonmal verraten.

Wir haben einen Experten befragt: Soll Doping nicht einfach legalisiert werden, wie es viele einfordern? Oder muss es—ganz im Gegenteil—strengere Regeln geben?

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Wir haben also mit einem renommierten Professor einer renommierten Universität gesprochen, der sich gut mit Staatsrecht und Gesundheitsrecht auskennt, und selber über die gesetzlichen Möglichkeiten einer Verbannung Bescheid weiß. Leider aber, vielleicht auch verständlicherweise, wollte er anonym bleiben, aber seine doch interessante Meinung zu dem Thema enthalten wir dir trotzdem nicht:

VICE: Soll Doping legalisiert werden?
Ich finde, leistungssteigernde Mittel einzunehmen, sofern man ein erwachsener Mensch ist, ist Bestandteil der eigenen Freiheitsentfaltung. Wenn der Staat das verbieten will, braucht er dazu einen guten Grund. Das ist vergleichbar, wie wenn die Leute sich eine neue Nase machen lassen beim plastischen Chirurgen. Das ist ja auch jedermanns freie Entscheidung. Nur wenn der Staat da Gefahren sieht, kann er eingreifen.

Und beim Sport?
Was mich an der Diskussion stört, ist, dass die öffentliche Wahrnehmung sehr stark darauf fokussiert ist, dass Sport anscheinend so etwas „Reines” und „Sauberes” sein soll. Gleichzeitig ist der Rest der Gesellschaft damit beschäftigt, sich selber mit leistungssteigernden Mittel aufzuputschen. Das ist eine bigotte Position.

Was meinen Sie damit genau?  
Die Zuschauer, und da schließe ich mich nicht von aus, wollen Leistungssteigerung. Aber wenn wir gegen Doping sind, dann dürfen wir nicht gleichzeitig immer größere Leistungen von den Sportlern verlangen. Dann müssen wir uns damit begnügen, dass es keine Rekorde gibt. Die Debatte sollte, wenn überhaupt, ausgedehnt werden auf den Rest der Gesellschaft und was die so alles einnehmen.

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Was meinen Sie damit, was der Rest der Gesellschaft so einnimmt?
In den USA z.B. weiß man, dass mindestens 1/5 der Studenten vor Prüfungen Ritalin einnehmen. Ob das was hilft oder nicht, darüber kann man streiten. Und sowas machen Studenten auch. In den Fitnessstudios werden auch leistungssteigernde Mitteln legal angeboten. Auch in den Führungsetagen der Wirtschaft gibt es diese leistungssteigernde Mittel, die nicht verboten sind. 
Und warum soll das im Sport jetzt verboten sein?
Ich finde also, dass der moralischen Anspruch im Sport nicht von dem Rest der Gesellschaft getrennt werden soll. Auch im Leistungssport gibt es Anforderungen. Es heißt immer höher, weiter und schneller—besonders bei den Olympischen Spielen. Es soll nichts gleich bleiben, sondern immer weiter gehen.

Also sind die Zuschauer Schuld am Doping?
Ja, und man müsste auch die Politiker fragen, und die müssen über die Rhetorik hinaus, um das zu machen, was nötig ist, um das Unerwünschte auch zu bekämpfen. 
Die Finanzierung der NADA (Nationale Antidoping Agentur Deutschland) ist ein schönes Beispiel dafür, dass sie nicht alles tun. Der Fortbestand der NADA ist gefährdet, weil keiner der Beteiligten ein Interesse an ihrem Fortbestand hat. 
Was da in den USA mit Armstrong passiert ist, würde bei uns nicht zustande kommen. Da fragt man sich jetzt wieder, und überlegt, ob wir hier die Gesetze ändern sollen. Mit einem eigenen Dopingstraftatbestand. Aber auch das klingt eher nach Symbolpolitik und nicht nach einer wirklichen Bereitschaft, da was zu unternehmen.

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Was erhoffen Sie sich von dem Interview mit Armstrong?
Wenn man das ernst meinen würde, müssten da viele Köpfe rollen. Mir ist auch lieber, wenn die Sportler nicht dopen. Ein Handballer würde den Sport  ohne Schmerzmittel gar nicht aushalten. Ist das normal, fragt man sich da?
Wir haben uns an viel gewöhnt, und es ist typisch, dass wir uns empören, wenn sie mal wieder einen Richtigen erwischt haben.

Also dann lieber gleich alle leistungssteigernden Mittel erlauben?
Wenn wir wirklich was ändern wollten, dann müsste wir unser Nachfrageverhältnis ändern. Der Zuschauer will nämlich Höchstleistungen. 
Wenn die demnächst im Kugelstoßen nur noch 17 Meter werfen, ja, wer kuckt noch zu?
Gedopt wird deswegen überall. Sogar der Schnee. Wenn man sich die Skirennen anschaut, z.B. der Hahnenkamm. Der Schnee wird so hart gemacht, wie der in echt nie wäre, damit die spektakulär fliegen können—und am besten auch noch stürzen. Das ärgert mich an der Diskussion. Wir machen alle mit. Und wenn was raus kommt, sind wir alle empört.

Was sind die Lösungen in der Debatte?
Die gibt es nicht. Ich habe keine Vorschläge und ich glaube nicht, dass einzelne Teile in der Gesellschaft das regeln können. Die großen Medien, die Sportereignisse vermarkten, die müssen, als die wesentlichen Nachfrager, ein Interesse zeigen, dass es anders laufen soll. Dann würden Sponsoren auch nicht mehr investieren. Ohne diese ganzen Akteure wird man es nicht in den Griff kriegen. Da bin ich ganz sicher.

Also ist das System schuld?
Ja, jeder Akteur in diesem System. Jeder Veranstalter, jeder Medienvertreter, jeder Sponsor und auch die Zuschauer.

Wird sich das verändern?
Nein. Schauen sie sich doch den Radsport an. Zum zwöften Mal wird über die Neuerfindung des Radsports nachgedacht. Und es hat sich nichts verändert. 
Also da bin ich ganz pessimistisch und resignativ.