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Ehemaliger Neonazi war 1996 V-Mann und wird nach eigener Aussage vom LKA bedroht

Ex-Neonazi Nick Greger könnte mehr über die Morde des NSU und die Verstrickungen des Staates darin wissen, als den Behörden recht ist. Greger hat sich uns gegenüber zu den Vorwürfen geäußert, die die Berliner Politik in Erklärungsnot bringen.

Nick Greger, Tempelritter und ehemaliger Neonazi, steckte tief drin im braunen Sumpf der 90er Jahre. Er galt als einer der radikalsten Neonazis aus dem Umfeld des Dresdner Babysturms, einer Gruppe junger Skinheads, die regelrecht Jagd auf Ausländer machte, war nach eigenen Angaben von Februar/März 1996 bis etwa Juli/August 1996 als V-Mann für den sächsischen Verfassungsschutz in Dresden tätig. Laut [einer Mail von ihm, die uns vorliegt](http://assets.vice.com/content-images/contentimage/133709/Bildschirmfoto 2014-01-29 um 8.36.23 PM.jpg), erhielt er in diesem Zeitraum 1500 bis 2000 DM von den Staatsschützern.

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Im Jahr 2000 befand er sich im Kreis des selbsternannten Neonaziführers Carsten Szczepanski, der im Landkreis Königswusterhausen bei Berlin sein Unwesen trieb. Szczepanski wollte dort, so erklärt Greger, Wehrsportgruppen aufbauen, die sich auf den Tag X der nationalen Revolution vorbereiten sollten. Da ihm dies aber irgendwann zu lasch gewesen sein soll und zu wenig konkret, schlug er seinen Mitstreitern ab einem gewissen Zeitpunkt vor, nationale Terrorzellen zu gründen nach dem Vorbild der englischen Combat 18. Zu diesem Zweck ließ er die jungen Neonazis Rohrbomben bauen.

Nach Gregers Darstellung war es Szczepanski, der ihn auffliegen ließ, als Greger sich weigerte, die selbstgebaute Rohrbombe zum Einsatz zu bringen. Die Polizei beschlagnahmte bei Greger eine fertige Rohrbombe sowie weitere Materialien zum Bombenbau.

Das Pikante an der Sache ist allerdings, dass Szczepanski zu diesem Zeitpunkt längst als V-Mann des brandenburgischen Verfassungsschutzes unter dem Alias Piatto tätig war. Drei Wochen vor Gregers Verhandlung wurde er enttarnt und Jahre später sollte er eine nicht ganz unwichtige Rolle im Prozess um den sogenannten Nationalsozialistischen Untergrund spielen. Er war es wahrscheinlich, der den NSU-Terroristen die Tatwaffe für ihre Morde besorgt hatte.

Wegen Planung und Vorbereitung eines Sprengstoffanschlags sowie Propagandadelikten wurde Greger daraufhin zu zwei Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt. Während der Verbüßung seiner Strafe wurde ihm jedoch ein Deal angeboten.

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In dem uns vorliegenden Statement gibt Greger heute zu, dass er während seiner Haft in Berlin im Jahr 2000 und auch 2001 umfangreich gegenüber dem LKA Berlin (Herrn Michael Thur) über Piatto und andere Neonazis, bzw. deren Aktivitäten, ausgesagt hat. Nach seiner Haftentlassung aus Berlin kontaktierte ihn das Berliner LKA erneut und bat um ein Treffen.

Laut Greger hatte er dem LKA jedoch wenig zu bieten. „Den genauen Monat weiß ich nicht mehr, aber es war wohl etwa Juli 2002. Bei dem Treffen in Dresden, das in einem Biergarten nahe der Semperoper stattfand, übergab ich den 2 LKA-Beamten aus Berlin (Namen sind mir nicht mehr bekannt) zwei sogenannte „Skinhead Fanzines“ der NS-Szene aus Argentinien in spanischer Sprache. Mehr hatte ich den Herren bei dem Treffen nicht zu bieten.“

Das wahre Ausmaß der Verstrickung staatlicher Stellen durch V-Männer in rechtsradikale Kreise ist noch immer verworren.

Kurz nach einem Interview, das wir mit ihm führten, besuchten ihn jedoch Ende Oktober 2013 zwei Mitarbeiter des Berliner LKA in Thüringen. Beim notorischen Wahrheitsfinder Jürgen Elsässer in dessen Internet-TV-Sendung Compact-TV erklärte er, dass er im Zuge der NSU-Ermittlungen von zwei Beamten des Berliner Landeskriminalamts besucht worden sei, die ihn aufgefordert hätten, nichts zu V-Mann Piatto auszusagen.

Der Einsatz von Berliner Polizeibeamten in Thüringen wurde nun vom Polizeipräsidenten Klaus Kandt bestätigt, allerdings gab er keine Angaben zum Grund des Einsatzes an.

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Greger gibt in seinem Statement an: „Fakt ist, dass das Berliner LKA durch die Lande tingelte und bei mir mit Mordszenarien gegen meine Person daherkam, um sich vor dem Dreck zu schützen, der jetzt auf diese Personen zurollt. Das Interview an Compact habe ich zu meinem eigenen Schutz gegeben, da das Berliner LKA selbst kriminell ist, und Leute wie der Beamte Michael Thur sind meiner Meinung nach Psychopaten, denen ich alles zutraue. Es war mir deshalb wichtig, dass die Menschen die Wahrheit über diese Zustände erfahren, bevor ich am Ende auch einem ,Selbstmord‘ zum Opfer falle wie der junge Mann, der sich angeblich aus Liebeskummer in seinem Auto selbst verbannte.“

Greger spielt hier auf einen Vorfall vom 04. Oktober 2013 an, als Florian Heilig, ebenfalls ein ehemaliger Neonazi, ein paar Stunden vor seiner Vernehmung durch den Staatsschutz in Baden Württemberg in seinem Auto verbrannte. Polizei und Staatsanwaltsschaft Stuttgart gingen schnell von einem Selbstmord aus, den der junge Mann aus Liebeskummer begangen haben soll, obwohl dieser offensichtlich auf dem Weg war, eine Aussage bei der Polizei zu machen.

Heilig wurde von den Ermittlern nach Stuttgart gebeten um über ein Treffen des NSU mit einer weiteren neonazistischen Terrorgruppe mit dem bezeichnenden Namen „Neue Schutzstaffel“ zu berichten. Außerdem sollte er nach Einzelheiten zum Mord an der Polizistin Michéle Kiesewetter befragt werden, die als letzes Mordopfer des NSU gilt – Antworten konnte Florian Heilig allerdings nicht mehr geben. Das Landeskriminalamt in Stuttgart Bad-Cannstatt sollte er niemals erreichen.

Es wird nun berichtet, dass Nick Greger länger als V-Mann tätig war und Wissen über die Vorgänge rund um den NSU hat. Auf die konkrete Frage, ob das Vorgehen der Zwickauer Terrorzelle in seinen Kreisen diskutiert worden sei, gab sich Greger allerdings ahnungslos:

Die Vertuschungen und Widersprüche der Verflechtungen zwischen Behördensumpf und dem rechten Milieu gehen also weiter. Aufklärung ist nicht in Sicht. Selbst die angesetzte Sondersitzung des Berliner Senats wird morgen unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Aufklärung und Transparenz sehen definitiv anders aus.