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Ein Nachruf auf meinen Freund Adnan Abdul Latif

Ein Mithäftling erinnert sich eines in Guantanamo Bay verstorbenen Freundes.

Selbst nach zwei Jahren bilde ich mir manchmal noch ein, dass Adnan jeden Moment um die Ecken biegen und alle Insassen lautstark begrüßen wird. Der ganze Block freute sich immer, wenn er das machte. Jeder stand dann auf und grüßte mindestens so laut zurück. Für einen Moment ließen mich die durch die kleinen Zellen hallenden, fröhlichen Stimmen vergessen, wo ich mich eigentlich befand.

Seine Anwesenheit beeinflusste jedes Mal die Stimmung. Wenn er mit verärgerten Leuten sprach, lachten sie plötzlich. Wenn ich wütend war, setzte er sich mit mir hin und am Ende hatte ich ein Lächeln auf den Lippen. Trotz all seiner Probleme blieb er stets ein umgänglicher Mensch. Wir alle liebten ihn, weil er immer für uns da war. Wo auch immer er im Camp auftauchte, waren Freude und Gelächter nicht weit weg.

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Bei Adnan war es ganz einfach: Man sah ihm immer an, was er tief in sich drin fühlte. Er war kein Mensch, der alles bis ins kleinste Detail analysierte. Seine Meinung konnte man nur schwer ändern. Wenn man ihn nach seinem Standpunkt zu einem Thema fragte, bekam man sofort eine Antwort. Auf diese Weise entstanden manchmal hitzige Debatten, aber Adnan konnte sich gut ausdrücken. Er freute sich über jede Gelegenheit, unverdrossen für seine Überzeugungen einstehen zu können.

Hinter Adnans Fassade verbarg sich jedoch ein stiller Mensch, der sich nach seinem Zuhause sehnte. Er dachte ständig an seinen Sohn, buchstabierte dessen Namen immer und immer wieder vor sich hin und arbeitete sich langsam durch die Silben—als würde das angestrengte Nachdenken über den Namen sein Kind näher bringen.

Ich erinnere mich daran, wie oft ich vortäuschte, zu schlafen, damit er ohne Sorgen und völlig ungezwungen weinen konnte.

Ich erinnere mich aber auch an eine Nacht, in der er ein Foto seines Sohns so an der Wand befestigte, dass er es vom Bett aus betrachten konnte. Das tat er dann auch für mehrere Stunden. Schließlich entfernte er das Foto wieder. Er murmelte etwas, das ich nicht verstehen konnte, und küsste anschließend das Gesicht seines Kindes. Danach steckte er das Bild ganz vorsichtig wieder in den kleinen Umschlag und vergewisserte sich immer wieder, dass es sicher verstaut war.

Adnan wurde von zwei US-Präsidenten zugesichert, dass er zurück nach Hause zu seinem Sohn gehen dürfe. Passiert ist das jedoch nie. Wenn ich an seinen Tod denke—was ich die ganze Zeit mache—, dann wird mir klar, wie wenig Zeit einem Menschen eigentlich bleibt und es immer weniger wird. Ich sitze hier jetzt seit 12 Jahren, also ein Drittel meines bisherigen Lebens. Ich merke, wie mein Gesicht älter wird, und spüre einen neuen Tatendrang in mir aufkommen—es scheint jedoch so, als könne ich einfach nichts machen. Ich bin wie die Glut einer ausgehenden Flamme.

Ich vermisse Adnan wie einen Bruder. Ich weiß noch genau, wie er sich einmal mit einem anderen Häftling stritt und der ihm vorwarf, die Situation nicht zu verstehen, in der wir uns befanden. Adnan lachte traurig und sagte mir, dass durch Wut auch Gutes und durch Schmerz auch Freundschaft entstehen kann. Seine Freundschaft lehrte mich nur Gutes. Und zu seinen Ehren werde ich weiter dafür kämpfen, dass mir Gerechtigkeit widerfährt.

Über Emad Hassan: