FYI.

This story is over 5 years old.

Stuff

Eine Nacht mit der Touristenpolizei in Thailands schäbigster Stadt

In Pattaya tummeln sich Pauschalreisende und Sextouristen aus der ganzen Welt. Und nicht immer kommen alle miteinander klar.

Fotos: Aaron Joel Santos

Thailands sündigste Stadt, Pattaya, ist bekannt dafür, Männer in Rage zu bringen, und vor dem Einsatzfahrzeug der Polizei, das am Eingang der berüchtigten Walking Street stationiert ist, sind die Gemüter sichtlich erhitzt. Ein riesiger Pakistani schildert dort lautstark den ausländischen Hilfspolizisten, die jede Nacht in dem Rotlichtbezirk patrouillieren, seine Sicht der Dinge. Neben ihm steht kaugummikauend eine feminin anmutende, asiatische Gestalt, die unfassbar hohe Absätze trägt und ihm regelmäßig böse Blicke zuwirft. „Ich bin kein Homosexueller“, schreit der Mann. „Dieses Ding hier hat mich getäuscht“, sagt er und stupst dabei die Person neben ihm mit dem Finger an, deren unverkennbar männliche Züge und tiefe Stimme deutlich zu erkennen geben, dass sie als er auf die Welt gekommen ist.

Anzeige

„Er weigert sich, sie zu bezahlen“, erklärt uns Andros Plocins, ein englisches Mitglied der Foreign Tourist Police Assistants (FTPA), während wir das Schauspiel verfolgen. „Deswegen müssen wir das jetzt regeln.“ Die Situation ist schnell entschärft. Der Mann, der einen Teil der vereinbarten Leistungen schon bezogen hatte, bevor er den vollen Umfang der Situation begriff, muss den vereinbarten Preis bezahlen. Der Ladyboy hingegen wird mit einer Strafe von 200 Baht (4,50 Euro) für das sich öffentliche Anbieten bedacht. „Er hätte einfach direkt bezahlen sollen“, feixt ein anderer Polizist. „Sie war ziemlich heiß.“

Derartige Missverständnisse aufzuklären, gehört mitunter zu dem Verantwortungsbereich der FTPA. Seit 2002 säumen die freiwilligen Hilfspolizisten aus dem Ausland die Walking Street. Pattayas Tourist Police Division hatte sie zur Unterstützung ihrer eigenen Kräfte eingeladen. Am Anfang bestand ihre Hauptaufgabe darin, den thailändischen Beamten bei als Dolmetscher zu dienen und eine Art informeller Touristeninformation darzustellen Die FTPA versorgt auch weiterhin ausländische Besucher mit Informationen, kümmert sich inzwischen aber auch um die Schlichtung von Kneipenschlägereien und die Verfolgung von Dieben. Obwohl die Aushilfsbeamten nicht über die Befugnis verfügen, jemanden festzunehmen (dazu ist die Genehmigung des dienstführenden thailändischen Beamten nötig), tragen sie Handschellen, Schlagstöcke und Pfefferspray bei sich. In der Tat geben sie mit ihren schwarzen, SWAT-gleichen Uniformen, eine beeindruckende Figur ab.

Anzeige

Die Truppe der FTPA umfasst momentan ca. 60 Mitglieder aus 20 Ländern und ihr Einflussbereich erstreckt sich dank kürzlich eingeführter Motorradpatrouillen über das ganze Gebiet von Pattaya. Trotz dieser Ausweitung bleibt die Walking Street, auf der sie jeden Abend von 21 Uhr bis 3 Uhr morgens präsent sind, das Haupteinsatzgebiet der Hilfspolizisten.

Für Horden männlicher Besucher kommt die Vergnügungsmeile ihren Vorstellungen vom Paradies ziemlich nahe. Sie erstreckt sich über etwa einen Kilometer vom Stadtzentrum bis zum Fährhafen und ist mit ihren unzähligen Gogo-Bars ein in Neonlicht getaufter Spielplatz für Erwachsene. Grüppchen minirockbekleideter Mädchen patrouillieren die Außenbereiche der größeren Clubs und versuchen so, potentielle Kundschaft anzulocken. Die kleineren Läden vertrauen auf die altbewährte Taktik, stimmgewaltige Barmädchen einnzustellen, deren kehliges „welcome handsome man“ deutlich über die laute Technomusik zu hören ist, deren unablässiges Wummern den Lockruf des Rotlichtbezirks darstellt.

In Pattaya dreht sich aber nicht alles ausschließlich um den Sextourismus. Die Nähe der Stadt zu Bangkoks Suvarnabhumi-Flughafen (nur zwei Stunden entfernt) macht die Stadt außerdem zu einem von Thailands beliebtesten Zielen für Pauschaltouristen. Vor allem Russen, Chinesen, Inder und Araber kommen in Scharen angereist. Die Stadt hat sich alle Mühe gegeben, ihren verruchten Ruf loszuwerden, und tatsächlich handelt es sich bei vielen der neuen Besucher um Familien, Pärchen oder Gruppenreisende, denen in all ihrer Glückseligkeit das Geschäft mit der käuflichen Liebe nichts auszumachen scheint, welches ein derartig integraler Bestandteil von Pattaya ist wie der leicht heruntergekommene Strand.

Anzeige

Es ist eine wirklich außergewöhnliche Mischung von Menschen, die sich hier einfindet, und in der Regel kommen die unterschiedlichen Nationalitäten friedlich miteinander aus. Trotz aller Bemühungen der örtlichen Behörden braucht es dann aber doch etwas mehr als ein paar Familien aus Sibirien, um Pattayas Image aufzupolieren. Kneipenschlägereien, Drogenvergehen und Spannungen zwischen Touristen und Sexarbeitern gehören zum Alltag auf der Walking Street. Aber auch anderswo in Pattaya bieten sich hunderte von freischaffenden Prostituierten als Ware an; riskieren Fahrer ihr Kopf und Kragen auf Straßen, die Thailands Statistiken für Verkehrstote mit anführen, und feuern Ladungen von Methamphetamin-Pillen den ganzen Wahnsinn weiter an.

Dieses ganze Chaos unter Kontrolle zu halten, wäre selbst für die härteste Polizei ein kaum zu bewältigender Job. Die Tatsache, dass hier viele der Routinearbeiten von ausländischen Freiwilligen erledigt werden, ist daher umso beeindruckender.

„Der Ort hier ist nicht mehr das, was er mal war. So viel steht fest“, moniert Dave Eke, ein weiterer Brite bei der FTPA. Er weiß, wovon er redet. Er arbeitete als Security Manager in den rauen Nachtclubs von East London zu einer Zeit, als Gangster wie die Kray-Zwillinge die Stadt fest im Griff hatten. Er hat allerdings vor über dreißig Jahren Großbritannien verlassen und ist nach Thailand gezogen. Seit 1979 lebt er in Pattaya und seit zwölf Jahren wacht er als freiwilliger Hilfspolizist über die Straßen der Stadt.

Anzeige

Als generell eher schwermütigem Charakter ist ihm die Ermüdung regelrecht anzusehen, wenn er über die nächtlichen Menschenaufläufe auf der Walking Street reflektiert. „Ich würde nicht sagen, dass Pattaya per se zwielichtige Gestalten anzieht“, sagt er, „aber es kommt definitiv eine deutlich spürbare Menge an Idioten hierher. Die besaufen sich unkontrolliert und weigern sich dann, eine Barrechnung zu bezahlen—oder irgendwas in der Art. Die Thais waren früher sehr freundlich, man hat sie aber mürbe gemacht und heutzutage ist das hier alles viel zynischer. Viele Besucher sind sich auch nicht bewusst, dass es sehr gefährlich ist, die Thais zu verärgern. Wenn du in einer von den Gogo-Bars Ärger machst oder dich mit einem der Mädchen oder dem Management anlegst, dann kann es schnell passieren, dass du von einem der Türsteher zusammengeschlagen wirst. Die meisten von ihnen sind trainierte Muay Thai Kämpfer.“

Während Eke einen besorgten Eindruck macht, scheint sein FTPA-Kollege Plocins hier buchstäblich seinen Traum zu leben. Nachdem der ehemalige Polizist aus Befordshire in den Ruhestand gegangen war, kam er als Urlauber nach Pattaya und verliebte sich sofort in den hiesigen Lebensstil. Die ursprüngliche Begeisterung hat sich bei ihm bislang auch keineswegs gemindert. „Pattaya hat durchaus seine Momente, aber für mich fühlt sich das hier immer noch wie ein Traum an“, strahlt er. „Ich könnte jetzt in England sein, wäre im  Ruhestand und gelangweilt—zusammen mit einer Frau im Ruhestand, der ebenfalls langweilig wäre. Stattdessen bin ich hier, die Sonne scheint und ich habe hunderte wunderschöne Frauen um mich. Da gibt es nicht viel zu überlegen.“

Anzeige

Trotz seiner pessimistischen Einstellung ist Eke eine bekannte und beliebte Figur in Pattaya. Wir begleiten ihn und Plocins als sie die den Einsatzwagen verlassen, um die Walking Street entlang zu patrouillieren. Eke, auffällig mit einem Barrett gekleidet, führt die Prozession an. Zwischendurch hält er an und tauscht wais—traditionelle thailändische Grüße—mit Mama-sans, Barmädchen und Ladyboys aus. „Es reicht nicht, hier einfach in Uniform rumzulaufen, damit dich die Leute respektieren“, erklärt er. „Du musst mit der Zeit eine persönliche Beziehung zu allen aufbauen. Das ist hier extrem wichtig.“

Es ist definitiv keine gute Idee, den Einheimischen auf der Walking Street in die Quere zu kommen. Der Gebrauch von ya ba, einem Methamphetamin-Derivat, das übersetzt „die verrückte Medizin“ bedeutet, ist in Pattaya weit verbreitet—vor allem unter Sexarbeitern und anderen Nachteulen. Diese Droge, die ursprünglich Pferden verabreicht wurde, damit sie die Energie aufbringen konnten, Gespanne steile Hügel hoch zu ziehen, wird in der Regel in Pillenform verabreicht und hat eine ungemein euphorisierende Wirkung. Es macht jedoch auch schnell abhängig und die Nebenwirkungen sind unberechenbar. „Wenn hier nicht so viel ya ba im Umlauf wäre, gäbe es nur halb so viele Probleme“, meint Plocins. „Alkohol kann die Menschen misstrauisch und aggressiv machen, aber diese Drogen sind noch mal eine ganz andere Liga.“

Anzeige

Nicht gerade verwunderlich ist es da, dass das Hochnehmen von Dealern für die reguläre thailändische Polizei oberste Priorität hat. Derartige Vergehen werden hier hart Bestraft. Um zu vermeiden, mit dem Zeug erwischt zu werden, haben sich die Verkäufer deswegen einige Verstecke für ihre Waren im Umfeld der Walking Street geschaffen.

Eke rühmt sich voller Stolz damit, ein gutes Gespür dafür zu haben, diese kleinen Ecken und Mauerrisse ausfindig zu machen. „Gehen sie bitte da weg“, weißt er eine Gruppe verwirrt dreinblickender russischer Teenager an, die an einer Hafenwand am Ende der Walking Street stehen und trinken. Eke nimmt einen losen Stein aus dem unteren Teil der Mauer und geht in die Hocke, um die Lücke besser zu inspizieren. „Ich finde hier immer wieder Säckchen“, sagt er, während er seinen Arm in die freigelegte Aussparung streckt. Dieses mal jedoch ist seine Hand leer, als er sie wieder hervorzieht.

Als wir wieder beim Einsatzfahrzeug eintreffen, ist die Stimmung dort entspannt. FTPA-Freiwillige geben verlorenen Touristen Wegbeschreibungen und lassen sich von jovialen, wodkaseligen Russen fotografieren. Um die Zeit rumzubekommen, werden einige Horrorgeschichten aus Pattaya erzählt. Ladyboys, die die Absätze ihre Stilettos als Waffe umfunktionieren, scheinen hier keine Seltenheit zu sein und grausame Motorradunfälle und Leichen, die am Strand angespült werden, lassen den düsteren Unterbau der Stadt erahnen.

Dieser Abend ist allerdings ziemlich ereignislos. „Es ist eine von der ruhigen Nächten“, pflichtet Eke bei. „Zum Glück sind die meisten Nächte so, aber trotzdem müssen wir immer bereit und auf der Hut sein. Das hier ist immerhin Pattaya. Du weißt nie, was als nächstes passiert.“

Folge Duncean Forgan bei [Twitter](http:// https://twitter.com/duncanforgan1)