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Reisen

Eine Sammlung rumänischer Tattoos aus dem 19. Jahrhundert

Inklusive der Haut, in die sie gestochen wurden.

Das älteste Tattoo Rumäniens, gestochen 1878

Du kannst über Menschen, die sich Stacheldraht um den Bizeps oder ein Arschgeweih stechen lassen, sagen was du willst—tief in deinem Inneren weißt du, dass du diese Leute eigentlich um ihre Konsequenz beneidest. Sie haben den Mut, sich für den Rest ihres Lebens mit einer dämlichen, kurzlebigen Modeerscheinung zu verschandeln, während Menschen wie ich es kaum schaffen, ihre dreimonatige Mitgliedschaft im Fitnessstudio konsequent durchzuziehen.

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Aus genau diesem Grund konnte ich auch nicht die Ausstellung „Eine Geschichte der Symbole: Tätowierungen in Rumänien" an mir vorübergehen lassen, die momentan im Suţu Palace in Bukarest gezeigt wird. Dort sind einige der ältesten Tattoos des Landes zu sehen—auf der toten Haut, in die sie damals gestochen wurden. Und ja, bei einigen sind auch noch Haare zu sehen, was gleichermaßen eklig wie faszinierend ist.

Die Ausstellungsstücke sind Teil der privaten Sammlung von Nicolae Minovici (1868 – 1941), einem Arzt und Forensiker, der Leiter von Rumäniens Anthropometrie-Dienst war. Minovici hatte seinen Aufsatz über Tattoos zu einer Zeit geschrieben, als diese noch ausschließlich die Körper von Menschen am untersten Rand der Gesellschaft schmückten—betrunkene Matrosen oder Prostituierte. Außerdem war er in Rumänien auch noch für die Einführung von Institutionen wie Leichenhallen und Notfallmedizin verantwortlich und erforschte im Selbstversuch den Tod durch Erhängen, aber das ist eine andere Geschichte.

Die meisten Tätowierungen aus Minovicis Sammlung gehörten männlichen Delinquenten mit niedrigem Bildungsgrad. Die Hälfte davon waren Rumänen, die andere Hälfte Ausländer. In den meisten Fällen handelt es sich um relativ harmlose Sachen, wie die Verzierung von Brust oder Arm mit dem Namen der Liebhaberin, aber es finden sich auch einige recht obskure Designs in der Kollektion. In seinem Aufsatz erwähnt Monivici elf Fälle von Penis-Tattoos, die ihm in Paris untergekommen waren, und drei weitere Fälle von, wie er sagt, „kranken" Tattoos in Rumänien. In einem davon „wird der nackte Körper der Liebhaberin des Mannes dem toten Körper seines Sohns gegenübergestellt." Rumäniens berühmtestes Penis-Tattoo befand, bzw. befindet, sich auf dem Schwanz eines Straßenräubers namens Terente und lautet in etwa „Ich ficke gut und drücke den Schnabel"—was auch immer das heißen soll.

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Es gab damals schon professionelle Tattookünstler in Bukarest, wobei es sich in dem meisten Fällen um Griechen handelte. Der Trend war also eindeutig importiert. Nichtsdestotrotz stachen sich die meisten ihre Tätowierungen selber, indem sie Petroleum verbrannten und die Asche dann mit Urin mischten.

Um etwas mehr über Nicolae Minoivici und die rumänische Tattoogeschichte zu erfahren, habe ich mich mit Professor Dr. Octavian Buda unterhalten, seines Zeichens Psychiater am Institut für forensische Medizin und Autor vieler Artikel und Bücher in diesem Forschungsbereich. Er sagte mir, dass diese Sammlung etwas sehr Besonderes ist, da in der damaligen Zeit Tätowierungen eine Rarität waren. Ich fand es trotzdem komisch, dass nicht wenigstens vereinzelte Tattoos von rebellischen Nobelmännern in der Kollektion zu finden waren. Der Wissenschaftler erklärte mir aber, dass, „es schwierig [war], Zugang zu diesen Menschen zu bekommen, weil sie einen höheren gesellschaftlichen Status hatten und entsprechend bestattet wurden", weswegen sie im Leichenschauhaus auch nicht zu Studienzwecken verwendet werden konnten.

Minovici fotografierte die Tattoos in seiner Sammlung und zeigte die Bilder dann seinen Studenten in der forensischen Medizin. Die Fotografie war damals zwar noch nicht weit verbreitet, in der Forensik wurde sie aber zu jener Zeit schon verhältnismäßig oft eingesetzt.

Professor Burda ist der Meinung, dass Minovicis Interesse für Tattoos, „rein künstlerischer Natur als Form des Ausdrucks der eigenen Persönlichkeit", gesehen werden kann. „Damit will ich sagen, dass er die Gedankengänge des Kriminellen beschreiben wollte und damit auch das ganze psychologische Universum, das ihn so handeln lässt. Minovici hatte zu seiner Zeit einen Ruf als mutiger Pionier, der sich mit den Schattenseiten der Gesellschaft befasste—ein Thema, das damals die lokale und die internationale Presse gleichermaßen faszinierte."

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Also, falls du bis Ende März irgendwann in Bukarest sein solltest, dann schau dir unbedingt die Ausstellung an. Die einzige andere Möglichkeit, die Werke zu Gesicht zu bekommen, ist, sich als Student, Gerichtsmediziner oder Forensiker am Rumänischen Institut für forensische Medizin zu bewerben und, wie ich hörte, sind Studienkredite heutzutage unglaublich teuer.