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Fotos

Es gibt keine Realität. Es gibt nur Geschichten davon.

Ein Interview mit Tobias Zielony über die fragmentarische Abbildung von Wirklichkeiten, Vorbilder und, ja, auch über James Franco.

Porträt von Diane Vincent

Seit nun mehr als zehn Jahren fotografiert Tobias Zielony unprätentiöse Orte und deren Bewohner. Seine Begegnungen mit den oft jugendlichen Protagonisten zeugen von Nähe und Empathie. Die Bilder von Jugendlichen in der Wüstenstadt Trona (2008) in L.A. oder das vernarbte Gesicht eines Jungen aus dem ehemaligen Indianerreservat Winnipeg in Manitoba (2009) oder seine Serie Marseille (2003) deuten eine Form der Narration an, enthalten sich aber konkreten Erzählungen. Viele seiner Porträts und Gruppenfotos zeigen Szenen der Nacht. Er nutzt externe Lichtquellen von Hauseingängen, Straßenbeleuchtungen oder Tankstellen für die fotografische Inszenierung. Der deutsche Fotograf arbeitet in der Tradition der Reportagefotografie und öffnet mit seinem intimen Blick auf die Menschen und gleichzeitiger Distanz in seiner Rolle als Fotograf, der keine sozial-kritischen Blicke bedienen will, ein Spannungsverhältnis zwischen dokumentarischer Fotografie und dem Moment der Konstruktion. Die Berlinische Galerie zeigt aktuell seine neue Serie Jenny Jenny (2011-2013), Fotografien von in Berlin lebenden Frauen „von denen einige ihr Geld mit Sexarbeit verdienen“. Aus der selben Serie zeigt Nicolaus Schafhausen in der Gruppenausstellung Salon der Angst in der Kunsthalle Wien ein Video des Künstlers.

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VICE: Wenn sieben Freunde im Banlieue von Marseille vor deiner Kamera stehen dann erzählen ihre Blicke und ihre Haltungen von der Intimität untereinander, aber auch zu dir. Deine Bilder erzeugen ein Gefühl von Nähe. Wie entsteht diese Intimität?
Tobias Zielony: Ich glaube in meinen Bildern gibt es eine Gleichzeitigkeit von Nähe und Distanz. Tatsächliche Nähe,  weil ich nahe an sie rankomme, ohne dass sie sich aus der Fassung bringen lassen. Distanz durch die Kamera. Intimität bedeutet, dass ich eine persönliche und emotionale Nähe schaffe.

Gibt es so was wie einen Blick hinter die Bilder, private Szenen abseits des Fotografierens? Intime Geschichten?
Gibt es überhaupt etwas, das hinter den Bildern ist, oder ist das nicht nur ein Mythos? Ich könnte natürlich mehr Geschichten erzählen, weil ich mich mit den Leuten unterhalte und viel Zeit mit ihnen verbringe. Das Wissen um die gemeinsame Zeit fließt in die Bilder mit ein.

Viele Szenen spielen in der Nacht, an Orten des Rückzugs. Wie ist die Stimmung in der Nacht und was treibt dich in die Nacht hinein?
Meine ersten Arbeiten in England zeigen Jugendliche, die unter eine nächtliche Ausgangssperre gestellt wurden. Sie hatten Autos geklaut und waren aber noch zu jung um bestraft zu werden. Die Ausgangsperren sind auch eine Form der Kriminalisierung. Zur gleichen Zeit gab es ähnliche Verordnungen in Frankreich. Sarkozy hat damals gesagt: Wer in bestimmten Vierteln in bestimmten Gruppen nachts noch auf der Straße steht, begeht ein Verbrechen. Dunkelheit gibt eine Chance sich zu verbergen, eine Chance sich zu verstecken, gleichzeitig werden durch die Beleuchtungen in der Stadt bühnenartige Orte geschaffen, die junge Leute aber z. B. auch Prostituierte bewusst für sich auswählen. Diese zwei Aspekte stehen immer auch in einem Widerspruch zueinander. Das sich Verstecken und das sich Präsentieren wollen. Wie die Menschen, die ich fotografiere, nutze ich das nächtliche Licht für eine Form der Inszenierung. Ich arbeite fast immer ohne Blitz und Scheinwerfer mitnehmen kannst du auch nicht, wenn du draußen unterwegs bist.

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Muster, 2013 aus der Serie Jenny, Jenny; mit freundlicher Genehmigung von Tobias Zielony und KOW, Berlin

Du bewegst dich in düsteren, ungewohnten und verlassenen Gebieten. Gab es unheimliche und gefährliche Momente?
Ja, natürlich gab es die. Aber wenn du auf einmal jemanden an diesen Orten kennenlernst, ist das eine ganz andere Situation. In Marseille hatte ich viel mehr Angst überhaupt in das Viertel zu kommen als dort vor Ort zu sein. Ich versuche immer, wo ich auch bin, Leute kennen zu lernen und mit ihnen rumzuhängen. Sie haben oft eine ganz andere Wahrnehmung, weil sie dort wohnen und weil es ihr Alltag ist.

Ist es ein Charakterzug von dir schnell gute Verbindungen zu Menschen aufzubauen?
Wichtig ist es, dass ich mir selbst - aber auch meinen Protagonisten gegenüber - immer klar darüber bin, wer ich bin und mit welcher Intention ich meine Arbeit mache. Nur so fühle ich mich glaubwürdig. Und ja, eine Sache ist mir viel Zeit zu nehmen. Die meisten Leute verstehen einfach nicht, was „viel Zeit“ bedeutet. Das heißt, dass ein Projekt auch mal zwei Jahre dauern kann. Man kann das nicht abkürzen. Du musst dich auf eine Reise begeben, den Leuten auf Augenhöhe begegnen, ohne moralische Urteile über ihr Leben zu fällen. Ich glaube, dass ich fast alle Leute irgendwie mag, die ich fotografiert habe.

Wie gehst du damit um, wenn man deine Bilder mit Modellen wie „Blick auf Randgebiete“, „Blick auf soziale Gefälle“, also mit dieser sozio-politische Leseart zu erklären versucht?
Dokumentarische Fotografie war ja von Anfang an verbunden mit einer sozio-politischen Leseart, auch mit der Vorgabe, helfen, verbessern, aufklären zu wollen. Aber so einfach funktioniert das nicht mehr oder hat vielleicht noch nie so funktioniert. Die Welt ist komplexer. Man kann nicht ein Modell zur Erklärung benutzen. Insofern bin ich grundsätzlich kritisch mit Begriffen wie soziale Brennpunkte, Randgruppen, Mehrheit, Minderheit, die Anderen. Einfach, weil ich denke, dass es selten hilfreich ist und weil sich diese Modelle oft nicht mit meinen Erfahrungen decken. Es geht mir ja gerade darum jenseits von Hierarchisierungen und Zuschreibungen zu denken.

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Spiegel, 2013 aus der Serie Jenny, Jenny; mit freundlicher Genehmigung von Tobias Zielony und KOW, Berlin

Gerade Berlin ist eine Stadt, wo sich vieles vermengt. Deine neueste Serie Jenny Jenny zeigt Frauen „von denen einige ihr Geld mit Sexarbeit verdienen“. Wieso diese unpräzisen Informationen?
In Jenny Jenny geht es einerseits darum, dass man diesen Frauen plötzlich ohne Hilfskonstruktionen gegenübersteht. Die Bilder versuchen nicht klarzumachen, die ist Prostituierte, wahrscheinlich weil sie Geld braucht für ihren Zuhälter, für Drogen, etc. Diese Erklärungen sind ja immer auch nur scheinbare Sicherheiten, damit wir uns als Betrachter von den anderen Menschen oder von dem Leid, das da vielleicht passiert, auf Distanz halten können. Ich wollte diese Form von Zuschreibung unterlaufen und hinterfragen. Gerade bei Jenny Jenny ist es wichtig, dass man den Frauen auf einer elementaren und empathischen Ebene begegnet und erst im Nachhinein versucht darüber nachzudenken, in was für Strukturen sie aufgewachsen sind oder leben. Und diese Unsicherheiten zu schaffen finde ich wichtig.

Siehst du irgendwelche Ähnlichkeiten zwischen deiner und Philip Lorca diCorcias fotografischen Arbeiten. Glaubst du, dass dein Stil sich in eine ähnliche Richtung wie die von diCorcia entwickeln könnte? Im Sinne von slowing down a process?
Ja, auf jeden Fall, diCorcia ist ein großer Held. Seine Portraits von Männern und Strichern in Hollywood aus den frühen 1990er Jahren sind ganz toll. Und klar gibt es da eine Nähe, obwohl er auch viele Dinge ganz anders macht. Er benutzt ein größeres Format, seine Bilder  sind eindeutigere Inszenierungen, eine Art Verabredung. Und er bringt Licht mit. Er kann innerhalb des Bildes unterschiedliche Lichträume schaffen und dadurch gibt es eine noch größere Nähe zum Film als zum Beispiel in meinen Arbeiten. Die Frage nach dem slowing down zielt aber auf eine fotografische Methodik ab und dem würde ich widersprechen. Dahinter steht die Idee, dass eine Form von Verlangsamung eine größere Form von Inszenierung oder Konstruiertheit bedeutet. Meine Bilder haben vielleicht etwas momenthafteres, weil ich anders fotografiere, zum Beispiel mit einer Kleinbildkamera. Es gibt eine größere Unschärfe, da ich nicht die Zeit habe Licht zu setzen. In Jenny Jenny tauchen immer wieder die gleichen Frauen auf, aber gleichzeitig gibt es auch Bilder von Häusern, Details, Innenaufnahmen, narrative Momente. Im Gegensatz  zu den serielleren Arbeiten von diCorcia verweise ich damit auf eine ganz andere Tradition, auf die Reportage.

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Bist du, indem du innerhalb deiner Bilder die Fragen nach den Mitteln und den Mechanismen der Aufnahme reflektierst, näher dran eine Realität zu fotografieren? Näher als die aktuelle Pressefotografie mit ihren dramaturgischen Momenten, die eine Sensationslust bedient?
Erst mal finde ich die Frage problematisch gestellt, weil sie impliziert, es gebe da draußen eine vermeintliche Realität und wir müssen nur das richtige Bild davon machen. Und das glaube ich nicht. Ich denke, dass die Realität erst in dem Moment entsteht, indem wir über uns nachdenken, versuchen uns ein Bild zu machen, unsere kollektiven und persönlichen Erfahrungen in eine Narration zu überführen. Der Titel Jenny Jenny verweist auf die Frage der Identität und die Möglichkeit verschieden Rollen einzunehmen, aber diese auch wieder verlassen zu können. Das gilt natürlich in einem besonderen Maße für Frauen, die in der Prostitution arbeiten. Für viele ist der erste Schritt sich einen neuen Namen zuzulegen. Ich denke, wenn ich diese Prozesse in meiner Arbeit reflektiere, sage ich damit auch sehr viel über den Alltag dieser Frauen aus. Wenn ich auf dieses Nebeneinander verschiedener Rollen und Identitäten eingehe, passiert etwas, das zugleich sehr viel mit dem Medium Fotografie zu tun hat, mit Inszenierung und Posing aber auch mit Empathie, Glaubwürdigkeit und Authentizität ohne dogmatisch an die Objektivität der Kamera zu glauben. In diesem Spannungsfeld siedle ich meine Fotografie an.

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…also als Teil eines komplexen Modells aus Sprache, Bewegung, Erinnerung, Zeit und Bildern?
Die Fotografie oder das Dokumentarische sind Teile dieser Konstruktion von Realitäten und Identitäten. Aber eine Trennung von Welt und Bild gibt es nicht, grundsätzlich nicht. Und da wird es ja interessant, in diesem Rückkopplungssystem aus medialen Bildern und unserer Reaktion auf diese Bilder. Wenn ich das in meine Arbeit miteinbaue, mache ich das auf Kosten einer vermeintlichen Klarheit im Sinne von: da ist die Realität und hier ist das Bild davon.

Schulter, 2013 aus der Serie Jenny, Jenny; mit freundlicher Genehmigung von Tobias Zielony und KOW, Berlin

Die Fragen, die wie wir hier aufrollen, sind aber auch sehr komplex und nicht durchsichtig. Es geht um Rollen, um Rollenbilder, kulturelle Codes und um gemachte Identitäten, die dann wiederum auf uns einwirken. Der Film Spring Breakers reflektiert  solche Typen- und Rollenbilder. Innerhalb der Produktion vermischen sich reale Figuren mit fiktionalen Rollen. Der Film wurde maßgeblich durch den Namen James Franco mitgetragen, der wiederum die Rolles des Gangsters Al spielt, die auf den Rapper Riff Raff zurückgeht, der wiederum selbst in einer Reality Show gecastet wurde. Also da tun sich mehrere Ebenen von Rollenbildern auf: Von der Reality Show, zur Figur Riff Raff, zur Filmfigur Al, zum Schauspieler James Franco. Ein undurchsichtiger Kreislauf in dem sich viele Bilder in einer Figur vermengen. Passiert etwas ähnliches in deinen Bildern? James Franco hat im Übrigen ein Abschluss in Literaturwissenschaften.
Na und? Eine der Frauen aus Jenny Jenny hat Kunstgeschichte studiert. In meinen Serien sind ja alle keine Stars und ich bin kein Star und es ist alles deutlich weniger glamourös. Und obwohl sie keine Schauspieler sind, die ich irgendwo gecastet habe, werden sie innerhalb meiner Serien zu Protagonisten einer neuen Form von Erzählung und doch bleiben sie gleichzeitig auf irgendeine Art sie selbst. Oft passierst dabei etwas, was sie sich vorher in ihrem Leben vielleicht nicht vorstellen konnten. Und das ist die zentrale Rolle des Schauspieles: Jemand anderes sein und gleichzeitig man selbst sein. Authentisch sein und eine Rolle einnehmen.

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…also diesen Prozess von Selbstkonstruktion, aber auch die Reflektion darauf. Das bringt uns zu einem aktuellen Bilddiskurs über die visuelle Bilderflut. Wie der Film von Harmony Korine lebt auch das Internet maßgeblich von Bildern. Ein interessanter Aspekt heute, und der lässt sich an deinen Bildern gut verhandeln, ist die Frage danach, wie sehr beeinflussen uns diese Bilder, aber auch Anzeigetafeln, Werbeplakate, die Codes unseres Zeit eben vor allem das digitale Bild in unserem Handeln und unseren Gedanken. Inwiefern ist das Bild eine Rückkoppelung unserer Haltung und umgekehrt.
Ja, aber Bilder beeinflussen uns ja nicht nur, sondern sie sind inzwischen Teil unseres Handelns geworden. Wir machen ja alle, nicht nur ich als Fotograf, Bilder. Ich glaube schon, dass da gerade ein grundsätzlicher Wandel stattfindet, der viel mit Bildern zu tun hat, mit dem Internet, mit der Frage wer bin ich, wer will ich sein und für wen? Wir als Künstler haben gerade erst angefangen darauf zu reagieren. Und es ist natürlich auch die Frage, ob wir dafür überhaupt gebraucht werden.

Gebraucht werden um Bildern ihre Glaubwürdigkeit zurück zu geben?
Glaubwürdigkeit ist nicht etwas, das einem Medium innewohnt. Glaubwürdigkeit entsteht auf vielen Ebenen, der technischen, emotionalen, sie ist Teil einer Kommunikation, einem Aushandeln gesellschaftlicher Konventionen. Ein Bild kann nur innerhalb eines  Austausches von verschiedenen Akteuren glaubwürdig werden.

Light Box, 2013 aus der Serie Jenny, Jenny; mit freundlicher Genehmigung von Tobias Zielony und KOW, Berlin

Tobias Zielonys Videoarbeit ist noch bis zum 12.1.2014 in der Ausstellung Salon der Angst in der Kunsthalle Wien zu sehen. Kuratiert von Cathérine Hug und Nicolaus Schafhausen. Die Ausstellung  von Tobias Zielony in der Berlinischen Galerie zeigt die neueste Serie Jenny Jenny (2011-13) uns seine Serie Trona (2008), noch bis zum 30.9.2013. Der Künstler wird durch die Galerie KOW in Berlin vertreten.