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„Jetzt erst recht“—Femen verteidigen ihre Aktion bei der Islamwoche

Die Stürmung der Islamwoche brachte den Nacktivistinnen von Muslimen und der Öffentlichkeit viel Kritik ein. Im Interview erklären die Femen, warum sie den Protest trotzdem für einen Erfolg halten.

Fotos: Björn Kietzmann

Vor kurzem haben wir über die Stör-Aktion von Femen auf der Islamwoche in Berlin berichtet. Drei halbnackte Aktivistinnen waren mit Schildern wie „Muslim Women get naked“ in eine Podiumsdiskussion geplatzt und hatten fast zehn Minuten lang „Scharia ist kein Grundgesetz—Fuck your Morals!“ gerufen, bis sie endlich von der Polizei abgeführt wurden.

Die Aktion kam bei den versammelten Muslimen nicht gut an—vor allem die Frauen im Saal buhten die Femen aus und riefen ihnen zu, sie fühlten sich nicht unterdrückt. Auch danach wirkten die meisten Musliminnen (die fast alle Kopftuch trugen), als fühlten sie sich von der Aktion eher beleidigt als befreit. „Hier wurden unsere Rechte verletzt“, erklärte mir ein Mädchen. Ich habe mit der Femen-Chefin Irina Khanova und Zana Ramadani, der Anführerin der Aktion am Donnerstag, über Sinn und Zweck dieser Störung gesprochen.

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Zana Ramadani

VICE: Würden Sie die Aktion vom letzten Donnerstag als Erfolg bezeichnen?
Zana Ramadani: Die Aktion hätte wesentlich besser laufen können. Ich gehe davon aus, dass die schon Bescheid wussten, das ist aber letztendlich nicht schlimm, ich konnte zum Teil mein Statement abgeben. Wir wollten unseren Unmut rüberbringen, und das haben wir damit auch gemacht.

Aber das war schon eine verdammt lange Aktion, normalerweise dauert das nicht mal eine halbe Minute. Einerseits natürlich ein Erfolg, weil wir auf etwas aufmerksam machen konnten. Andererseits war es etwas misslungen, weil ich nicht so konzentriert war, wie ich bei den letzten Aktionen war.

Eigentlich wollten Sie doch gegen die Teilnahme von Dr. Mustafa Yoldas protestieren. Das hat aber niemand in dem Saal verstanden, oder?
Zana: Es war ja auch sehr schwierig. Ich hatte vorher auch ein Statement vorbereitet, in dem Yoldas und die patriarchalischen Strukturen auch angesprochen werden sollten. Das verstehen die Leute immer nicht: Es geht nicht um den Glauben der Menschen, es geht um patriarchalische Strukturen, um solche Menschen, die den Glauben der normalen Menschen ausnutzen, um ihre Machtstrukturen zu verfestigen. Yoldas ist in diesem Fall eigentlich nur als Beispiel zu nehmen.

Aber ich war so emotional geladen bei dieser Aktion, dass ich mich verhaspelt habe. Das war für mich ne Herzensangelegenheit, und deshalb habe ich versagt. Ich bin von mir enttäuscht, dass ich das Statement nicht so rüberbringen konnte, wie ich wollte.

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Von muslimischen Frauen werden Sie immer wieder kritisiert, weil sie sich von Ihnen bevormundet fühlen. Können Sie das verstehen?
Irina Khanova: Ich würde gerne wissen, was diese muslimischen Frauen zur Scharia und all den Bevormundungen sagen, die im Islam geschehen. Wir haben in unseren Reihen viele Frauen, die aus der islamischen Gesellschaft kommen, wie Alia Al-Mahdi aus Ägypten oder Amina Tyler. Und wir beschäftigen uns sehr viel mit Frauen wie zum Beispiel Necla Kelek. Wieso waren diese Frauen nicht auf der Islamwoche eingeladen?

Irina Khanova. Copyright: Irina Khanova / femen.org

Weil es da nur Lob gibt und man den Islam nicht kritisieren darf. Wenn man das kritisiert, dann heißt es sofort, dass wir in deren Gesellschaft eindringen. Dabei ist unser Protest nicht nur gegen den Islam gerichtet, sondern auch gegen unsere westliche Gesellschaft. Wieso dulden wir Sonderrechte für Immigranten? Menschenrechte sind überall gleich. Wieso erlauben wir denen, unsere Gesetze zu beugen?

Welche Sonderrechte meinen Sie damit?
Irina: Wenn zum Beispiel schon die kleinen Mädchen in der Schule verschleiert werden oder nicht am Schwimmunterricht teilnehmen dürfen und ausgegrenzt sind—wieso erlauben wir das? Das regt mich richtig auf. Es geht auch nicht unbedingt um die Schleier, sondern um viele verschiedene Gesetze, die an die Scharia gebunden sind.

Zana: Ich kenne diese Welt mehr als gut, ich komme aus dieser verdammten Welt! Und ich weiß, wie solche Menschen reagieren, das habe ich leider schon am eigenen Leib zu spüren bekommen. Weil ich nie dieses perfekte albanische muslimische Mädchen war, die sich fügt, die den Mund hält, die als Jungfrau irgendwann mal einen Albaner heiratet. Ich konnte schon als Kind nicht akzeptieren, dass mein Bruder anders behandelt wurde als ich, weil ich ein Mädchen bin. Deshalb musste ich fliehen, kurz nachdem ich 18 geworden war, und mir aus dem Frauenhaus mein Leben aufbauen.

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Bei der Aktion hatte man eher das Gefühl, dass die sich gegen die Menschen im Saal richtete.
Zana: Eine Aktion an sich ist ja dafür da, um dieses Thema ins Gespräch zu kriegen, egal in welcher Art und Weise. Ob die Menschen uns nachher mögen oder nicht, spielt erstmal keine Rolle. Wir sind nicht da, um von denen geliebt zu werden oder damit die nachher sagen: „Ihr habt ja eigentlich Recht, ich ziehe jetzt mein Kopftuch ab und ich bin jetzt befreit.“ Es geht darum, die Gesellschaft aufzurütteln. Genauer erklären wir das in den Interviews danach.

Irina: Der eigentlich Dialog kann auch nicht während der Aktion stattfinden. Wir stoßen das an und hoffen, dass dann bei der nächsten Islamwoche auch Kritiker eingeladen werden—und damit meine ich nicht nur uns, sondern auch andere Frauen, die in Deutschland aktiv sind und den Islam kritisieren. Und dass auch eine normale, ruhige Diskussionsrunde geschaffen werden könnte.

Hätte man die Diskussion nicht aus dem Publikum anfangen können?
Zana: Wir sind eine Aktivistengruppe, und unsere Protestform ist so angelegt. Ich diskutiere ja, ich bin viel bei Podiumsdiskussionen um den Islam unterwegs—ich war letzte Woche beim deutsch-türkischen Verein in Nürnberg—aber glaub mir, hätte ich mich da hingestellt und diskutiert, ich wär noch schneller rausgeflogen.

Unterdrücken Sie durch das Geschrei nicht die anderen Frauen und Männer in diesem Raum?
Irina: Wie sind sie denn unterdrückt? Die sind für 5 oder 15 Minuten damit konfrontiert, dass man für 5 oder 15 Minuten sagt: „Wir sind gegen Scharia. Was sagt ihr?“

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Aber bei der Diskussion ging es doch nicht um Scharia, sondern wie man als Moslem das Leben in Berlin mitgestalten kann.
Irina: Genau, wie gestaltet man Leben als Moslem in Berlin? Es ist doch bekannt, dass die schon längst in Parallelgesellschaften untergetaucht sind, dass die meisten türkischen Frauen nur zu Hause sind, dass es diese Abtrennung gibt. Die meisten türkischen Frauen hier sind Importbräute, die sind hier abgeliefert, um nur für eine Sache zu sein—für den Mann und für Allah.

Zana: Bei dieser Veranstaltung habe ich so viele kleine Mädchen gesehen, die waren nicht mal annähernd volljährig, die mit einem Kopftuch da rumliefen. Das hat mich sehr aufgewühlt und aggressiv gemacht. Die erwachsenen Frauen müssen sich nicht unterdrückt fühlen. Aber die sollten gefälligst dafür kämpfen, dass kleine Mädchen keine Kopftücher tragen müssen. Weil sie diese Kinder durch das Kopftuch sexualisieren, weil sie ihnen zeigen, dass sie von klein auf nur als Frau etwas wert sind, wenn sie sich unterdrücken lassen, wenn sie ihre Reize—mein Gott, ein Kind hat keinen Reiz!—verstecken, und sonst sind sie unrein. Und weißt du wie schlimm es ist, wenn man als Kind gesagt bekommt, dass man unrein und schlecht ist, nur weil man ein Mädchen ist?

Irina: Wie soll überhaupt die Integration funktionieren, wenn diese Frauen nicht mal Deutsch sprechen können? Aber wir drehen uns weg und wir haben Angst, als Rassistinnen bezeichnet zu werden—und deswegen kritisieren wir das auch nicht, dass Ehrenmorde geschehen, dass Frauen hierher nach Deutschland entführt werden, dass die meisten türkischen Gemeinschaften nur darauf abzielen, Sozialhilfe zu bekommen?

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Haben Sie mit solchen Aussagen nicht Sorge, dass sie zunehmend Applaus von rechten Gruppen bekommen?
Irina: Natürlich steigen da die faschistischen Gruppen in diese Diskussion ein. Aber wir haben auch gegen die faschistischen Gruppen und gegen die unmenschliche Ideologie der NPD protestiert, deswegen glaube ich nicht, dass die sich mit uns verbünden wollen. Wir sind auch nicht mit Linken verbündet—wir haben keine Angst, irgendwas zu kritisieren. Dafür ist ja auch die freie Meinungsäußerung da.

Nach einer Weile haben die Zuschauer angefangen zu klatschen, um euch zum Schweigen zu bringen. Zana, was hat das bei dir ausgelöst?
Zana: „Jetzt erst recht.“ Es ist genau richtig, weil die mit diesem Klatschen versucht haben, einen still zu kriegen und lächerlich zu machen. Wenn sie wissen, dass das, was sie tun, richtig ist, hätten sie ja auch sagen können: „OK Mädchen, zieht euch an, setzt euch hin, wir machen euch mit Argumenten fertig“—und nicht mit dummem Klatschen.

Sie wollten uns mit so einem einfachen Mittel lächerlich machen. Ich empfand das nicht so, ich empfand das als Bestätigung. Denn wenn sie nicht mehr wissen, was sie mit Frauen tun sollen, versuchen sie sie lächerlich zu machen und psychisch und körperlich zu unterdrücken. Das habe ich alles schon hinter mir! Solche Idioten, die können mich nicht lächerlich machen.

Auch wenn sie es nicht zugegeben haben, ich kenne diese Menschen, und ich weiß, dass die echt angekotzt von uns waren. Und das ist auch richtig so, dass ich die ankotze, und dass ich die nerve. Denn ich weiß ganz genau, dass unheimlich viele Frauen auch gerade in Deutschland darunter leiden.

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Glaubt ihr, dass solche Aktionen Menschen zum Umdenken anregen?
Zana: Zum Nachdenken auf jeden Fall. Wir können nicht die ganze Welt erreichen, aber wenn irgendwo in Deutschland hier eine Frau sitzt und sich denkt: „Wenn die es geschafft hat, kann ich es auch schaffen.“

Irina: Wir nutzen die Presse ja auch, um die Aktionen zu erklären. Was kann man von diesen zwei, drei Sprüchen verstehen? Trotzdem kann man das verstehen, was wir meinten: Trennung von Religion und Staat, das ist eine Aussage. Man könnte die muslimischen Frauen da fragen: was denkst du, ist Islam überhaupt mit den Menschenrechten vereinbar? Ist das überhaupt möglich? Die Frage ist: Will diese Gemeinde wirklich Dialog haben? Dann würden sie zu uns kommen, so wie damals auch der Imam der Moschee.

Wie geht es jetzt weiter mit Femen?
Irina: Wir werden weiter kämpfen, wir geben nicht auf. Wichtig bleibt die absolute Trennung von Staat und Religion; das muss überall angenommen werden, weil ich finde, dass das Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit und das Recht auf eigene Entscheidungen vor der Religionsfreiheit steht. Religion gehört für mich ins Private. Sie soll weder in der Schule noch irgendwo praktiziert werden.

Wir konzentrieren uns weiter auf Frauenthemen—Proteste gegen Religion, gegen Diktatur, gegen die Sexindustrie. Mit unseren Protesten gegen die Sexindustrie ist unser Ziel zum Beispiel, die Bestrafung von Freiern zu erreichen. Wenn wir die Möglichkeit hätten, würden wir mehr protestieren, und noch heftiger—wenn wir die finanziellen Mittel hätten, würden wir noch großartigere Sachen machen.