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Popkultur

Mit 'Into The Woods' wirst du schon in jungen Jahren zum Zyniker

Warum dieses Musical wie „Märchenception" funktioniert und trotz Respekt vor Grimms Geschichten leider viel zu viel gesungen wird.
(c) Disney

Bildmaterial (c) Disney

Die Märchen der Brüder Grimm haben schon immer ein wunderschönes Bild von einer heilen—wenn auch manchmal soziopathischen—Welt vermittelt. Diese Vorstellung hat wohl bei Kids, die mit diesen Geschichten aufgewachsen sind, zu einer absolut verkorksten Weltanschauung geführt. Die Wahrscheinlichkeit, dass dein Prinz eigentlich gar keiner ist, ist sehr hoch. Wenn du in ein fremdes Haus einbrichst und den Hausbesitzer tötest, wirst du strafrechtlich verfolgt, egal ob du und deine Mutter bitterarm seid und das Geld benötigt. Das scheint wohl auch Disney kapiert zu haben und gibt sich in den letzten Jahren große Mühe, klassische Märchen neu umzustrukturieren. Damit man schon in jungen Jahren zum Zyniker wird.

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Im Grunde geht es in Into The Woods darum, dass ein Bäcker und seine Frau ein Kind kriegen wollen und die Hexe von nebenan—wie immer solide gespielt von Meryl Streep—vor Jahren einen Fluch auf die Familie gelegt hat, sodass sie keine Kinder bekommen können. Um diesen zu brechen, müssen sie innerhalb von drei Nächten eine Kuh so weiß wie Milch, einen Umhang so rot wie Blut, Schuhe so rein wie Gold und Haar so Gelb wie Mais auftreiben.

So kommen also Hans mit seiner Bohnenstange, Rapunzel, Aschenputtel deren Prinzen und Rotkäppchen mit dem Wolf in der Geschichte vor. Alle Figuren treffen sich per Zufall im Wald. Ein Märchen im Märchen im Märchen—„Märchenception" also.

Die originalen Geschichtenverläufe werden wirklich respektiert und großteils beibehalten, stellenweise sogar in der unzensierten, gewalttätigen Originalfassung gebracht. Logistisch und in Bezug auf das Skript also eine gewisse Meisterleistung. Genau das ist das Coole an diesem Märchen-Medley von Into The Woods: Die Neufassung ist anders als in anderen Märchenfilmen, ohne dabei aber das Wesen der originalen Erzählungen zu vernachlässigen—ich schaue in deine Richtung Hänsel & Gretel - Witch Hunters.

Die Charaktere sind witzig geschrieben und ganz im Sinne von Disneys neuem Frauenverfechter-Image. Endlich keine hilflosen Prinzesschen mehr! Rotkäppchen ist das frechste Gör und ziemlich sicher Kleptomanin. Johnny Depp als Großer Böser Wolf hat auch mehr etwas von einem Kinderverzahrer als von einer Märchenfigur. Wahrscheinlich entspricht das auch der ursprünglichen Figurenmetapher. Sein Kostüm ist übrigens, laut Depps eigenen Aussagen, vom Wolf aus der Tex Avery Show inspiriert.

Normalerweise funktionieren Musicals in etwa so, dass ein Dialog an einer unpassenden Stelle von einem saublöden Song mit möglichst hohem Ohrwurmfaktor unterbrochen wird. In Into the Woods wird jedoch beinahe ausschließlich gesungen! Was man also am Anfang des Filmes für ein verdammt langes musikalisches Intro hält, zieht sich durch den ganzen Verlauf der Geschichte. Es wird gesungen bis man es kaum noch aushält … und dann wird weitergesungen.

Ein weiterer Störfaktor war für mich, als Erbsenzählerin, die ich nun mal bin—und ja, es ist eine Neuverfilmung und moderner ausgelegt—die fehlende märchenhafte „Correctness". Es tut mir leid, aber Prinzen haben einfach keine Skinny-Jeans und Nietenjacken getragen. Ich sage nicht, sie sollten in Strumpfhosen rumhüpfen, aber sie sollen verdammt nochmal auch keine Lederhosen tragen. Was kommt als nächstes? Ein V-Neck bis zum Bauchnabel?

Wer kennt es noch, wenn man sich Jahre später eine seiner liebsten Sendungen aus Kindheitstagen ansieht und sich denkt: „Wie konnten diese krassen Anspielungen komplett an mir vorbeigehen?" Ich denke, genau dieses Gefühl ruft Into the Woods hervor. Wer ihn sich ansieht, wird verstehen, was ich meine.