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„Flüchtlinge fressen Kinder" und „wunderbare N****"

Wir haben Experten gefragt, wie man am besten auf rassistische und ausländerfeindliche Kommentare im Alltag reagiert.
Foto: Imago/Future Image

Nazis sind hässlich. Blöde und vom Hass zerfressene Sozialversager, die ihren Aggressionen im Netz freien Lauf lassen und denen es nicht mal mehr ausreicht, sich vor lauter besoffenem Nationalstolz in die eigene Jogginghose zu machen, sondern inzwischen lieber „Heil Hitler" brüllend auf verängstigte Kinder urinieren. Die österreichische Prominenz hält dagegen. Ob Bundespräsident Heinz Fischer, oder die Sportler Anna Fenninger oder Marcel Hirscher, sie alle sind sich in einer Sache einig: Leute, die vor Asylunterkünften hetzen oder ihre menschenfeindlichen Einstellungen über Facebook verbreiten, sind vor allem eins, nämlich dumm. Aber so einfach ist es nicht. Egal, ob man die Hetzer nun als Bekloppte oder „Intelligenzflüchtlinge" bezeichnet, es hilft niemandem etwas, all diejenigen, die sich fremdenfeindlich, rassistisch oder „besorgt" über Neuankömmlinge äußern, über einen Kamm zu scheren und alle Vorurteile mit niedriger Intelligenz und mangelnder Bildung zu erklären.

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Nur weil du reich bist und einen Uniabschluß hast, bist du nicht weniger rassistisch

Derartige Pauschalisierungen entbehren nicht jeglicher Grundlage, aber sie sind dennoch falsch, weil dabei zum Beispiel vergessen wird, dass—davon abgesehen, dass nicht jeder, der in seinem Leben „nichts geleistet" hat, automatisch ein Nazi ist— beispielsweise bei unseren deutschen Nachbarn die AfD von finanziell gut situierten Bildungsbürgern gegründet wurde, oder dass auch in manchen wohlhabenden Gegenden massiv gegen Asylunterkünfte demonstriert wird. Rechte und fremdenfeindliche Meinungen sind kein Problem einer kleinen fanatischen und sozial schwachen Minderheit, sondern bis weit in die Mitte der Gesellschaft verbreitet.

Wir alle haben eine gesellschaftliche Verantwortung. Rechte Meinungen zu verurteilen, ist einfach, solange es sich bei denen, die sie verbreiten, um Unbekannte handelt, die man in den sozialen Netzwerken verbal attackieren kann, ohne sich einer direkten Konfrontation aussetzen zu müssen. Was aber, wenn wir im richtigen Leben mit rassistischen und fremdenfeindlichen Kommentaren konfrontiert werden? Und das nicht nur von einem Besoffenen an der Bushaltestelle, sondern von Leuten aus unserem eigenen sozialen Umfeld? Was wenn Oma plötzlich das N-Wort sagt und uns ein erschrockenes „Holla" als Reaktion nicht ausreicht? Oder wenn Onkel Franz sich beim Mittagessen darüber beschwert, dass „die alle so viel Taschengeld kriegen", während der aufrichtige österreichische Steuerzahler schon mit einem Bein im Armenhaus steht? Da Schweigen in so einer Situation ebenso unangebracht ist, wie besagtem Onkel aus Wut eine Ladung Bratensaft übers Leiberl zu gießen, habe ich eine Sozialpsychologin, einen Kommunikationstrainer und einen Rassismusforscher gefragt, wie man in solchen Fällen am besten reagiert.

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MundAufmachen

Screenshot: YouTube

Die Sozialpsychologin Professor Julia Becker von der Uni Osnabrück rät, rassistische Kommentare nie unhinterfragt im Raum stehen zu lassen, weil das Ausbleiben einer Reaktion beim Gegenüber eine stille Zustimmung suggerieren kann, durch die dieser sich in seinen Ansichten bestärkt fühlt. Auf der anderen Seite zeigt die Forschung laut Becker, dass sich Personen, die mit ihren rassistischen oder sexistischen Kommentare konfrontiert wurden, in der Zukunft weniger rassistisch oder sexistisch äußern.

Natürlich ist es dabei besonders problematisch, jemanden auf seine fremdenfeindlichen Aussagen aufmerksam zu machen, wenn die Person aus dem näheren sozialen Umfeld stammt. „Die ,Kosten' einer Konfrontation sind hier hoch", erklärt Becker. „Die Person, die sich rassistisch geäußert hat, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit die Konfrontation nicht unkommentiert stehen [lassen]. Das kann zu einer Verschlechterung der Beziehung zwischen den Personen führen. Dennoch ist es wichtig auch im nahen sozialen Umfeld Rassismus zu konfrontieren, da eine Konfrontation von einer geschätzten Person natürlich effektiver ist als von einer weniger nahestehenden Person. Wir möchten, dass uns die Menschen in unserem engen sozialen Umfeld mögen und wir möchten auch, dass diese uns ähnlich sind. Wenn eine Person mit rassistischen Einstellungen merkt, dass diese in ihrem Umfeld nicht ankommen, dann kann das auch dazu führen, dass sie ihre Einstellungen verändert." Dabei ist es aus psychologischer Sicht hilfreich, in der Diskussion möglichst ruhig und sachlich zu bleiben, damit die andere Person sich nicht sofort beleidigt und persönlich angegriffen fühlt.

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„Woher weißt du eigentlich, dass Flüchtlinge vergewaltigende Taschendiebsterrorhelfer sind?"

Auch der Kommunikationstrainer Detlef Karthaus rät davon ab, allzu emotional zu reagieren, und empfiehlt, das eigene Handeln von der konkreten Situation abhängig zu machen. Einen pöbelnden Fanatiker wird auch der ausgefuchsteste Diskursanalytiker nicht mit Argumenten überzeugen können, sondern eher noch aggressiver machen. Andererseits gibt es „sehr viele Personen, die sich aus Angst oder mangelnder Kenntnis dem rechtspopulistischen Geschwätz anschließen. Hier ist es sehr gut möglich, mit einer guten, schlagfertigen Antwort zu kontern und im besten Fall sogar ein Umdenken zu erreichen."

„Grundsätzlich sollte man eine andere Meinung gelten lassen, auch wenn sie zur eigenen konträr ist. Auch das gehört zur Toleranz. Zudem mag es kein Mensch, wenn man ihm widerspricht. Widerspruch ist wie ein bisschen verbale Gewalt und dies erzeugt bekanntermaßen Gegengewalt. Wir ernten Rechtfertigungen, vielleicht Beschimpfungen oder rutschen in eine nutzlose Diskussion ab. Diese nützt keinem, da es wohl kaum zu einer einheitlichen Meinung kommen wird. Viele erwarten eine spontane Einsicht ihrer Gesprächspartner [aber das kann man vergessen]. Schlagfertige Antworten, beziehungsweise Argumente, können maximal zum Denken anregen. Das Denken erfolgt allerdings hinter der geschlossenen Türe, ohne unsere Anwesenheit. Hier kann dann Einsicht entstehen. Kommt die Einsicht, erfolgt auch eine Meinungsänderung. Doch diese werden wir nicht immer zu hören bekommen."

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Bei unqualifizierten Sprüchen oder angeblichen Fakten zur Asylpolitik empfiehlt Karthaus, nach der Quelle zu fragen und mit dem eigenen Wissen dagegen zu halten. Außerdem kann es hilfreich sein, durch gezieltes Fragen dem anderen klarzumachen, wie unsinnig seine Äußerungen eigentlich sind. Wenn Onkel Franz sich also zum Beispiel darüber beschwert, dass „die alle so viel Taschengeld kriegen", während er sich jeden Cent teuer verdienen muss, fragt ihn doch mal, ob er es als mit einem Denkapparat ausgestatteter Mensch tatsächlich für plausibel hält, dass Menschen ihre Heimat und ihre Familien verlassen, wochenlange Strapazen auf sich nehmen und ihr Leben dafür riskieren, dass ihnen der österreichische Staat in organisierten Unterkünften 50 Euro in die Hand drückt.

Der „wunderbare N****"

Foto: Imago/Future Image

Der Hamburger Migrations- und Rassismusforscher Dr. Andreas Hieronymus empfiehlt ebenfalls, die andere Person nicht verbal zu attackieren, sondern zu fragen, wie der Kommentar gemeint war. Durch konkretes Hinterfragen wird so oft deutlich, dass der andere gar kein Hintergrundwissen hat, seine Äußerungen nicht belegen kann oder sich der Wirkung seines Kommentars eventuell gar nicht bewusst ist. Dass jemand abwehrend und beleidigt darauf reagiert, wenn man seine Aussagen rassistisch nennt, erklärt Dr. Hieronymus damit, dass Rassismus hierzulande generell nicht als soziale Praxis, sondern als ein moralisches Fehlverhalten des Einzelnen verstanden wird. Wirft man einer Person Rassismus vor, fühlt diese sich deshalb oft sofort persönlich angegriffen, weil sie den Vorwurf des Rassismus mit dem Vorwurf gleichsetzt, ein schlechter Mensch zu sein. Ein Umstand, der die Kommunikationssituation denkbar schwierig macht oder dafür sorgt, dass die Diskussion schnell abgebrochen wird. Dr. Hieronymus empfiehlt trotzdem, nicht aus Höflichkeit oder Angst vor möglichen Konsequenzen um den heißen Brei zu reden:

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„Wenn etwas offenkundig rassistisch ist, muss ich das auch so sagen. Dann muss man aber auch in der Lage sein, zu erklären, warum das rassistisch ist. Mann sollte vom allgemeinen Vorwurf wegkommen und das Problem präzise deutlich machen."

Was hätte der deutsche Moderator Frank Plasberg also zum Beispiel nach Joachim Hermanns verbalem Aussetzer tun können? „Er hätte das Thema aufgreifen, ihn konfrontieren und ihn erklären lassen können. Der gute Herr Hermann hätte sich dann—wie es in so einer Situation meistens passiert—wahrscheinlich noch weiter verheddert und um Kopf und Kragen geredet. Plasberg hat durch seinen Ausruf deutlich gemacht, dass er sich [der Problematik] bewusst ist, hat es aber versäumt, näher darauf einzugehen, was man von ihm als Journalist hätte erwarten können."

Kurz gesagt hätte er den CSU-Politiker einfach darauf hinweisen können, dass er durch sein fragwürdiges Kompliment an Roberto Blanco eine althergebrachte noch aus der Kolonialzeit stammende Machtdifferenz zum Ausdruck gebracht hat und das N-Wort für Menschen mit schwarzer Hautfarbe schlichtweg eine Beleidigung und Abwertung ihrer Existenz darstellt. „Wenn man diese Machtdifferenz erkennt und aufheben möchte und will, dass alle gleichbehandelt werden, muss man das auch in der Sprache tun", sagt Hieronymus.

„Flüchtlinge fressen Kinder"

Eine andere Strategie, auf Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu reagieren, besteht laut Dr. Hieronymus darin, die Absurdität mancher Vorurteile durch Übertreibung und Satire auf die Spitze zu treiben. Im Gegensatz zum direkten Gegenangriff oder gar Beschimpfungen ist diese Methode hilfreicher, weil damit niemand persönlich attackiert wird. Seinem Gegenüber hingegen Dummheit und Idiotentum vorzuwerfen, nützt niemandem etwas. „Die Frage ist, ob es klug ist, das Gleiche umgekehrt zu machen, und ob man sich da nicht in einem Rahmen von Argumentationsmustern verfängt, so dass man tatsächlich das Gleiche macht. Wenn es nur noch um Intelligenz geht und man sagt, der andere ist dumm und ich bin klug. Dann reproduziert man ein ganz anderes Ausgrenzungsmuster. Dann schimpfen die Maturanten gegen die Hauptschüler und man hat eine Art von Sozialchauvinismus."

Irgendwann ist trotzdem Schluß

Mehr zu diesen Sympathieträgern findet ihr hier.

Auf der anderen Seite ist es wichtig, gerade bei den Kommentaren im Internet, die Grenze zu ziehen, wo man überhaupt noch einen Diskurs führen kann. Sobald diese Grenze zwischen der vielgepriesenen Meinungsfreiheit der „besorgten Bürger" und volksverhetzenden Aussagen oder Aufrufen zu direkter Gewalt überschritten ist, helfen laut Dr. Hieronymus keine Argumente mehr, sondern nur noch die strafrechtliche Verfolgung.

Es gibt Menschen, bei denen tatsächlich Hopfen und Malz verloren ist. Rechte Fanatiker, die keinerlei Interesse daran haben, ihre eigenen Einstellungen zu überdenken und von einem starken Führer träumen, weil das Leben in einer Diktatur so schön einfach ist, und endlich niemand mehr von ihnen erwartet, dass sie eigene Entscheidungen treffen oder selbstständig denken. Dass leider viel zu viele Menschen in diesem Land an rechte Propaganda glauben und ihre nazistischen Meinungen laut in die Welt hinaus brüllen, ist schlimm genug. Gerade deshalb ist es aber wichtig, bei den anderen, die nicht zu den Fanatikern zählen und sich der Bedeutung ihrer Aussagen vielleicht nicht einmal bewusst sind, einzuschreiten und zu diskutieren. Selbst auf die Gefahr hin, als überengagierter Gutmensch und Political-Correctness-Fanatiker hingestellt zu werden, der mit seiner ständigen Besserwisserei den anderen die Stimmung vermiest.


Foto oben: Imago/Future Image