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Dieser Typ gibt sich in seiner Freizeit als Tourist aus und haut der Kunst aufs Maul

Im klassischen 90er-Urlaubsstil gibt sich David von der Stein vor Sehenswürdigkeiten als Tourist aus, lässt sich dort von echten Touristen fotografieren und haut der Kunst aufs Maul.

Ich habe David von der Stein vor einem Jahr bei einem chaotischen Theaterprojekt kennengelernt und schnell gemerkt, dass er mir im ersten Moment ein bisschen vor den Kopf stößt, ganz dem Namen entsprechend.

Aber wenn der aus Essen stammende Wahlwiener zu Erzählen beginnt, wird aus Verwunderung schnell Begeisterung. Ich mag ja Leute, mit denen man im ersten Moment komplett aneckt.

Seit 2006 lebt er in Wien und wenn er nicht als DJ Ron Sommer auf Trash-Partys Schlagerhits auflegt, eigene Musikvideos dreht oder Heinz Fischer mit einem „Lugner for President"-T-Shirt besucht, durchkämmt er mit seiner Yashica T-3—die er um 10 Euro am Flohmarkt ausgegraben hat und schon Terry Richardson berühmt gemacht hat—die Tourismushochburgen auf der Suche nach dem ultimativ authentischen Touristenmotiv.

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Das Konzept ist einfach: David geht zusammen mit einer guten Freundin von einer Wiener Sehenswürdigkeit zur nächsten, bevorzugt verkleidet im klassischen 90er-Urlaubsstil der modisch verkommenen Mittelklasse, sprich trashy T-Shirts, für die manche Hipster sich die Hüfte brechen lassen würden, aufwendig aufgemalte Tattoos sowie semibekannte und farblich anstrengende Marken- und Sportaccessoires. Bei den Ansichtskarten-Backgrounds der Stadt drückt David einem unbeteiligten, „echten" Touristen die Kamera in die Hand und die beiden Fake-Reisenden lassen sich in Fake-Posen vom unbekannten Amateur abfotografieren.

Seit David in Wien wohnt und der Weg zur Uni ihn am Michaeler Platz vorbeiführt, fasziniert ihn das Auftreten der Touris und deren Outfits. Hässliche Shorts, Sandalen aus Bibione und andere verwaschene Nachahmungen—alle als Souvenir erstanden auf vorigen Reisen—kleben am Körper um auch hier dem neuen Urlaubsziel unter die Nase zu reiben, wo man denn schon überall gewesen sei. Besorgniserregend ist dabei jedoch, dass David begonnen hat diese Turtles-Kapperl und „US Soccer"-T-Shirts privat zu tragen.

Die Idee sich unter die tausenden Touristen Wiens zu mischen und sie kreativ zu unterwandern geistert aber schon länger in Davids Kopf herum. Beim Freitagslos auf der Bildenden hat er als Nichtstudent einen Ausstellungsplatz auf der Akademie gewonnen und sein Projekt kurzerhand DER NÄCHSTE, DER KUNST SAGT, KRIEGT EINE AUF'S MAUL genannt. Dort erblühten die ersten Bilder seiner Undercover-Urlaubs-Shoots, die man auch als eine kleine Liebeserklärung an Martin Parr sehen kann, mit dem sich David im Vorfeld auch schon eingehend beschäftigt hat.

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So ist die nette Überlegung entstanden, dass ein schlechtes Urlaubsfoto eigentlich auch richtig schön sein kann. Das Arrangement von komisch gekleideten Besuchern mit geschlossenen Augen, im Partnerlook oder dem Wort „Geht!" im Lippenbereich gefroren, erzeugt ein besonderes Gefühl von Authentizität. Vor Monumentalbauten, Denkmälern oder mit Typen in Mozartperücken—manchmal ohne einer Ahnung für was diese Orte stehen und nur weil andere dort doch auch knipsen—entsteht ein perfekter Moment.

Die Ästhetik des Urlaubsfotos ist so amateurhaft, dass es für David eine ganz neue Wertigkeit bekommen hat. Manche von ihm erkorenen touristischen Spontanfotografen halten die Kamera weit vom Körper weg ohne auch nur durchzuschauen. Unterbelichtet, schlecht positioniert und wunderbar unbemüht sehen dann Davids liebste Resultate aus.

Dem 0815-Tourist steht natürlich kein ordentliches Equipment für professionelle Fotos zur Verfügung und so drückt er seinen unvorbereiteten Fotografen am liebsten die T-3 ohne Display und dem aus dem technischen Bewusstsein verdrängten Sucher in die Hand um das Höchstmaß an Unprofessionalität herauszuholen.

Gerade aber weil sich dieser elende Kontrollblick bei unserer Digitalkamerageneration durchgesetzt hat und jedes gute „schlechte" Bild sofort gelöscht wird—wobei die Entscheidung auf Minidisplays gefällt wird—sind viele Augenschmankerl, Fotobomben und ähnliche Streiche auch ein bisschen ausgestorben. Genau diese Dinge sind es, die David gerade so geil findet und zu reanimieren versucht.

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Den Unterschied zu digitaler Fotografie fasst David auch so zusammen: „Ich glaube, die notwendige Zeit, die in der analogen Fotografie zwischen dem Belichten des Film und der Entwicklung eines Abzug liegt, eröffnet ein breites Spektrum für Emotionen, das von großer Enttäuschung bis übermäßiger Begeisterung reicht. Ich glaube gar nicht, dass so eigenartige Aufnahmen, die ich vor allen Dingen durch das Abdrücken des Auslöser im ,falschen' Moment und einer eigenwilligen Komposition definiert sehe, verschwunden sind, sie sind nur unauffälliger geworden."

Fischt da einer nach Wunschbrunnengeld?

Für Urlauber ist das Foto ja mehr zur existenziellen Freizeitbeute geworden. Ein Selbstbeweis, dass man Dinge erlebt. Hauptsache ist, man kann auf Facebook oder im Wohnzimmer am Regal visuell bestätigen, dass man an diesem oder jenem tollen Ort war. Die Sehenswürdigkeit verblasst dabei vom Objektiv zerschnitten im Hintergund und das Peace-Sign im Bild markiert wie ein Abhaken, dass man an diesem Tourismus-Mekka alles durch hatte.

David meint zu seinem fotografischen Entfremdungsprojekt: „Jedes Urlaubsfoto ist besser komponiert als ein Tizian. Das ist ein Zitat von Gerhard Richter, glaube ich, bin aber nicht ganz sicher. Das trifft es jedenfalls ganz gut."

Ich finde gerade den Gedanken lustig, dass—sollte David mit den Bildern vom Touristen-Tourismus bekannt werden—es dann eine Horde an unwissenden berühmten Fotografen gibt, die sich wahrscheinlich nicht einmal noch daran erinnern können das Bild gemacht zu haben.

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Das traurige Gegenbeispiel zu Davids unterhaltsamer Idee ist The Perfect Tourist, ein sich Art-Installation schimpfender Spiegel, den Hubertus von Hohenlohe vor dem Belvedere aufgestellt hat. Einem reflektiertem Selfie wird hier ein künstlerischer Wert beigemessen, mit Perfektion gleichgesetzt und hoffentlich bald von Tauben zugeschissen.

Da gefällt mir Davids Idee für ein Vorab-Fotoalbum schon besser. Darunter muss man sich eine Sammlung an Fotoschablonen und Sehenswürdigkeiten vorstellen, die man wie einen Pizzapass oder eine Schnitzeljagd am Reiseziel dann abarbeiten kann. Urlaub mit höchster Abdeckungsgarantie und einem Augenzwinkern. Die deutsche Kanzlerin und Heinzi hat David ja schon mal abgehakt auf seiner Liste. Ich wünsche ihm besonders viel Freude an der Zeit zwischen dem Fotomachen und der Fotoentwickelung, da diese für ihn am spannendsten zu sein scheint. Weiter so, du liebenswerter Meta-Tourist.

Bildmaterial von David von der Stein

David auf Tumblr: ronnieruhig
Josef auf Twitter: @theZeffo