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Popkultur

Dinge, die wir aus dem neuen „Tatort“ über Wien gelernt haben

Wann sehen wir ein, dass Sex und Österreich nicht zusammenpassen? Warum sehen erfundene TV-Shows in TV-Shows immer so furchtbar schlecht aus? Und wo bleibt Wien?

Screenshot via ORF / TVthek

Je näher eine Nachricht passiert, umso mehr berührt sie uns auch. Das wollen viele nicht wahrnahmen oder zumindest nicht hinnehmen und versuchen sich, mit dem Weitblick des Internets dagegen zu wehren. Aber anstatt den Effekt aufzuheben, verstärkt ihn das Internet nur noch. Nehmen wir zum Beispiel den Tatort: Je näher eine aktuelle Folge an unseren Standort herankommt, umso weniger können wir uns gegen die drängende Macht des dazugehörigen Hashtags wehren.

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Also habe ich mich der Mischung aus geografischer Nähe und sozialmedialem Buzz gebeugt, mit sämtlichen meiner Prinzipien gebrochen (nie einen Tatort schauen, nie am Sonntagabend schreiben, nie nüchtern dabei sein und nie etwas mit BDSM-Aufhänger im öffentlich-rechtlichen Fernsehen schauen) und mir ein paar Gedanken zum aktuellen Wien-Tatort gemacht, damit ihr es nicht (alleine) tun müsst.

TV-Shows sind ziemlich schlecht darin, andere TV-Shows zu erfinden

Mir ist schon klar, dass es gute—und meistens lizenzrechtliche—Gründe gibt, warum im Fernsehen keine echten Markennamen zu sehen sind. Deshalb raucht man bei den Simpsons nicht Marlboro, sondern Laramie-Zigaretten und trinkt Duff statt Budweiser. Aber erstens hat Duff über die Jahre ein Eigenleben entwickelt als manche echten Brands und zweitens gab es Laramie sehr wohl wirklich, nur wurden sie in den 50er-Jahren eingestellt. Beide Marken sind jedenfalls in ihrem Erzähluniversum nicht peinlich—anders als die meisten Fake-Fernsehsendungen, die sich die Macher von Fernsehsendungen ausdenken.

Im Wien-Tatort ist es das erfundene Sing Your Song, eine Casting-Show, die auf dem genauso fiktiven Privatsender „Kanal 7" läuft und natürlich an Starmania und Die große Chance erinnern soll. Aber damit nicht genug: Tatort erfindet auch gleich noch eine Austropop-Legende, einen Kultsong und einen aktuellen Chart-Hit—und zwar mit genau dem Maß an Liebe, das man bei TV-Sendungen in solche Dinge steckt. Diese Popkultur aus dem Tatort-Universum verhält sich zu unserer zirka so wie Fantasy-Football zur Super Bowl.

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Sex und Österreich passen nicht zusammen

Eigentlich klingt die Prämisse ziemlich vielversprechend: Ein Musikproduzent wird tot in seiner Wohnung aufgefunden, nachdem er sich bei einem autoerotischen Strangulationsspiel erhängt hat (… oder HAT er?). Es verspricht also kinky zu werden im morbiden, alten, düsteren Wien. Aber statt Bondage und SM bekommen wir nur ihre beiden kleinen Geschwister, Eisner und Fellner—und mit ihnen wechselt die Gangart von „Nudelsalat im SMart Café" zu „Pornos deprimieren mich, da sind alle so jung und hübsch und gelenkig".

Nicht, dass sie damit nicht einen guten Punkt hätten. Aber am anderen Ende des Spektrums steht in Wien nicht die unpornografische Liebe zwischen alten, hässlichen, ungelenkigen Menschen, sondern ein Tatort voller Rohrkrepierer. Fellner und Eisner reden über Sex wie Vorschüler (was der Grund sein könnte, warum sie keinen haben) und kompensieren ihre Frustration mit lächerlichen Anmachen und abgedroschenen Autos-sind-wie-Sexpartner-Analogien. Es ist wie die Beziehung von Mulder und Scully, nur in einem Porno-Spoof der X Files, aus dem sämtliche Sexszenen herausgeschnitten wurden.

Österreichische TV-Kommissare wissen nicht, wie man googlet

Relativ früh in der Folge besuchen Eisner und Fellner einen Sexualtherapeuten, um sich von ihm über Sinn und Sexyness von Strangulationsspielen aufklären zu lassen. Aus dramaturgischer und filmischer Sicht ergibt das auch durchaus Sinn; eine alte Regel im Fernsehen besagt, dass man Dinge immer zeigen und nicht erklären sollte (eine Regel, auf die man bei den Gilmore Girls übrigens von der ersten bis zur letzten Folge vergessen hat). Rein logisch betrachtet ist es aber mehr als lächerlich, dass Polizeikommissare das Internet nicht mal für die nahe liegendste aller Suchanfragen—nämlich eine zu sexuellen Praktiken—zurate ziehen. Außerdem erwähnt Kommissar Eisner selbst ganz zu Beginn, dass David Carradine auf dieselbe Art gestorben ist, was ihn im Tatort-Universum zu so etwas wie der Entsprechung von Reggie Watts in Comedy Bang! Bang! macht. Vielleicht wollte die Crew aber auch einfach nur nicht noch ein Fake-Google erfinden, um Internetsuche am Smartphone zeigen zu können. In dem Fall verweise ich auf Punkt 1 und bin ihnen sehr dankbar.

Casting-Shows sind hierzulande das Böse (und laufen trotzdem)

In der Welt von Tatort ist das böse erfundene Casting-Format Sing Your Song ein Sinnbild für alles, was am Privatfernsehen falsch läuft: Hier geht es nur um die Quote, hier werden die Teilnehmer verheizt, hier wird alles gefaket, was nicht schon Fake genug ist, hier sagen sich Integrität und Bildungsauftrag gute Nacht. Was lustig ist, weil diese beiden realen Vorbilder der Show (und überhaupt alle österreichischen Casting-Formate, die mehr Zuseher als den erweiterten Familienkreis der Teilnehmer erreicht haben) im öffentlich-rechtlichen Fernsehen liefen und nicht auf einem der Privatsender.

Das heißt nicht, dass die Geschichte rund um Sing Your Song nicht manchmal ziemlich nah an der Wirklichkeit ist. Die abgehalfterte Ex-Gewinnerin, die bereits mehrere Selbstmordversuche hinter sich hat, erinnert an Boris Uran, der bei der ersten Staffel Starmania den dritten Platz erreichte und danach ebenfalls wegen seiner schweren Depression und Selbstmordversuche in den Medien war. Der neueste Wien-Tatort wirft aber doch ein bisschen die Frage auf, warum man das, was fast Selbstkritik des öffentlich-rechtlichen Fernsehens hätte werden können, doch als moralischen Fingerzeig auf das quotengeile Privatfernsehen verpackt—von der viel dringenderen Frage (nämlich warum der ORF dann eigentlich selbst immer noch Casting-Formate ausstrahlt) ganz zu schweigen.

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Die Lage der Wiener Jugend ist ziemlich aussichtslos

Bei all der Lebensqualität, die wir laut irgendwelcher Manager-Studien haben, und der Überbehütung, in der wir als eines der reichsten Länder der Welt immer noch leben, ist Wien auch eine Stadt, in der Vitamin B, Resignation und totale Überalterung herrschen. Wer hier Karriere machen will, muss entweder sehr viel Glück oder sehr gute Beziehungen haben—und eine unglaubliche Resistenz gegenüber der weichmassierenden Wirkung österreichischer Entschleunigung.

Das hat auch der Casting-Show-Finalist der aktuellen Sing Your Song-Staffel verstanden. Er weiß, dass sein Sieg in dieser mickrigen (fiktiven) Sendung seine einzige Chance auf so etwas wie eine Karriere ist; und er weiß auch, wie selten so etwas jemals gut geht. Er will nicht als Hobbymusiker enden und dafür tut er einiges. „Glaubst, es ist so leicht, Karriere zu machen? In DEM Land?" So schlecht der Tatort und Sing your Song auch sind, so unangenehm wahr wirkt diese Szene vermutlich für jeden, der es schon mal mit einer Band oder etwas anderem als einem Bürojob in Wien versucht hat.

Die Macher des Österreich-Tatort haben keine Ahnung, was Klischees sind

Als Eisner und Felder das Studio von Kanal 7 verlassen, sagt Kommissarin Fellner über die skrupellose Redakteurin: „Na das war jetzt aber mal eine richtig dumme Kuh", worauf Oberkommissar Eisner antwortet: „Weißt du, was mich erschüttert? Wie krampfhaft sich manche Menschen Mühe geben, einem Klischee zu entsprechen." Nicht, dass Eisner nicht Recht hätte. Aber wenn er schon klug genug ist, die TV-Redakteurin-ohne-Gewissen als Klischee zu erkennen, warum schafft er dann nicht dasselbe für Gespräche-über-Autos-als-Sexmetapher? Wie steht es um Alternde-und-schlechtgelaunte-Kommissare-die-nur-Classic-Rock-hören? Was ist mit Gesprächen vom Format Lass-uns-nach-jedem-Verhör-im-Auto-ein-paar-pointierte-Kommentare-über-die-Verdächtigen-und-unsere-Gesellschaft-austauschen? Und warum läuten seine Alarmglocken nicht bei Ich-bin-mir-sicher-wir-finden-Spuren-in-diesem-einen-Song-den-die-Verdächtige-geschrieben-hat?

Wien ist überall und nirgends

Wir sehen Clubs, die es nicht gibt, hören Austropop-Klassiker, die es nie gab, und verfolgen eine Casting-Show, die es hoffentlich nie geben wird. Der Kommissar lebt in einer Wohnung mit Panoramablick, für die man als Privatperson wahrscheinlich zirka so viel zahlt, wie Krassnitzer für diesen Schmafu verdient. Und ein abgehalfterter Castings-Star singt vor maximal 10 Kindern in einem Setting, das nach Bällebad im Baumarkt aussehen soll, aber dabei in einer unpassend leeren, gigantischen Lagerhalle untergebracht ist, wo Kinder niemals freiwillig spielen würden.

Alle diese Sachen haben eines gemeinsam: Sie haben nichts mit Wien zu tun. Oder mit einer authentischen Darstellung der Stadt. Dazwischen gibt es zwei, drei Zeitraffer-Panoramaaufnahmen von der Urania und dem Donauturm, damit man sich erinnert, wo dieses Volksbühnenstück spielen soll, aber das war's dann auch. So selten wie Wien in diesem Franchise (und überhaupt in überregionalen TV-Produktionen) vertreten ist, sollte man meinen, dass den Machern daran gelegen wäre, die Stadt irgendwie authentischer zu porträtieren.

Es ist wie bei den US-Serien, die aus finanziellen Gründen in Kanada gedreht werden und wo es deshalb mitten in Manhattan erstaunlich stark nach Vancouver aussieht. Das ist genau so lange kein Problem, wie man weder Manhattan noch Vancouver kennt. Sobald man aber mal genauer hinschaut oder in einer der Städte war, sieht die Sache für immer anders aus. Wien ist in diesem Tatort unsichtbar und austauschbar. Statt des berühmten Wiener Schmähs gibt es hier nur Krassnitzers Gags—und die sind genauso pointenlos wie die ganze Stadt im Tatort-Porträt.

Markus auf Twitter: @wurstzombie