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Freundschaft ist die wahre Liebe

Womöglich hast du die Liebe deines Lebens schon längst gefunden. Du schläfst nur nicht mit ihr.
Foto: Nani Puspasari | Flickr | CC BY-ND 2.0

"Ihr seid das süßeste Pärchen, das ich kenne." Seit zwei Jahren kennen wir uns jetzt, irgendwann haben wir uns verliebt. Seitdem bist du die Person geworden, der ich vorm Einschlafen noch schnell meine Liebe bekunde. Der ich grundlos Emoji-Herzen schicke. Bei der ich dieses warme Zuhause-Gefühl bekomme. Du bist meine Person geworden. Ich nenne das einen Herzständer, eine emotionale Erektion. Du sagst, du fühlst dich, als ob dein Herz umarmt wird. Wir sind wirklich ein süßes Pärchen, aber unsere Verliebtheit ist eben keine klassische Romanze. Sie ist platonisch.

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"Nur Freunde"—einer romantischen Beziehung untergeordnet. Von klein auf wird uns zwar die Wichtigkeit einer Freundschaft beigebracht, gleichzeitig aber auch ihre Zweitrangigkeit. Wir suchen die große Liebe, tindern, gehen auf schlechte Dates, "versuchen es" mit Menschen, die wir von vornherein nicht besonders gemocht haben, und trennen uns wieder. Alles nur, um irgendwann zu zweit zu sein.

Romantische Liebe kann die schönste Sache auf der Welt sein, aber sie kann auch scheißweh tun. Mal ganz abgesehen von ihrer Haltbarkeit. Das soll nicht bedeuten, dass Freundschaften immer einfach wären. Manchmal bringen sie sogar Gefühle mit sich, die man üblicherweise mit klassischen Liebesbeziehungen verbindet: Eifersucht, Misstrauen, Angst, Wut. Laut dem Berliner Psychotherapeuten Wolfang Krüger gehen auch 50 Prozent aller Freundschaften nach sieben Jahren zu Ende—hauptsächlich jedoch oberflächlich gehaltene Freundschaften. Herzensfreunde hingegen, mit denen eine emotionale Innigkeit entsteht, hat man meist ein Leben lang. "Die größere Liebe" hat es die Zeit vor ein paar Monaten genannt.

"Niemand liebt mich", heult mir eine Single-Freundin vor. "Aber ich liebe dich!", entgegne ich ihr. Sie lächelt, rollt die Augen: "Ja, aber das zählt nicht." In diesem Moment bin ich derjenige, der ihr gegenüber sitzt, der ihr zuhört, der sie aufmuntert, und doch bin ich derjenige, dessen Liebe für sie nicht zählt—weil wir nicht miteinander schlafen. Ihr "Niemand liebt mich" bedeutet in Wirklichkeit, dass es gerade niemanden in ihrem Leben gibt, der sie liebt und regelmäßig exklusiven Sex mit ihr hat.

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Diese Art von Verhältnis betiteln wir dann nämlich pauschal mit dem Wort "Beziehung". Ist man in keiner solchen Beziehung, führt man demnach wohl gar keine, ist wahrscheinlich sogar beziehungsunfähig, obwohl man im Grunde genommen viele davon führt. Die Beziehung zu meinen Eltern, die Beziehung zu meinen Geschwistern, die Beziehung zu dir.

Wenn es uns so schwer fällt, jemanden zu finden, mit dem wir dieses Liebe-und-Sex-Verhältnis pflegen können, vielleicht ist es dann an der Zeit, unsere Prioritäten hinsichtlich einer Beziehung zu ändern. Der Begriff "Power Couple" ist längst über Brangelina und Kimye hinausgewachsen. Stattdessen gibt es Duos wie Schweini und Poldi—die wahrscheinlich größte Bromance seit J.D. und Turk—oder eben Tina Fey und Amy Poehler, die sich gegenseitig als "Life Partners" bezeichnen. Ein prominentes Beziehungsideal ist immer öfter freundschaftlicher Natur.

Am schönsten zelebriert wird diese Art der Verliebtheit momentan wahrscheinlich in Broad City. Die beiden Protagonistinnen Abbi und Ilana sind nicht auf der Suche nach der großen Liebe, sie haben sie längst gefunden. Broad City zeigt eine Form von Freundschaft, die der romantischen Beziehung überlegen ist—dagegen wirkt Sex and the City beinahe so, als würden die vier weiblichen Hauptfiguren einfach gemeinsam die Zeit absitzen, bis endlich der perfekte Mann eintrudelt.

SATC zeigt die romantische Liebe als primäres Ziel im Leben eines jeden Singles, Freundschaften werden als zweitrangige, bestenfalls unterstützende Beziehungen abgehandelt—und sogar die wurden nochmal klassifiziert. Wurde Carrie beispielsweise mal von einem Date versetzt, musste eine der anderen Frauen als alternative Beschäftigung herhalten. Und wenn die auch alle keine Zeit hatten, dann hatte auch der schwule beste Freund mal einen seiner Auftritte.

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Broadly: Haben nur dumme Leute viele Freunde?

In den 90ern mag Sex and the City vielleicht noch progressiv gewirkt haben, heute besetzt Broad City diese Rolle—vor allem in Sachen Liebe. Die Männer und Frauen, mit denen Abbi und Ilana manchmal mehr, manchmal weniger regelmäßig schlafen, existieren zwar, aber sie sind Nebenrollen. Die elementare Beziehung ihres Lebens ist die, die sie miteinander führen. Beide äußern stets ihre unsterbliche Liebe zueinander und empfinden pure Glückseligkeit, wenn die andere guten Sex hatte. Als Ilana von Abbis bevorstehender Strap-on-Erfahrung hört, legt sie einen Freudentanz hin, bei dem sie kopfüber die Wand antwerkt und spricht von einem "dream come true". Das ist Liebe. In einer halbgefährlichen Situation rutscht ihr sogar mal ein Heiratsantrag an Abbi heraus, den sie unmittelbar darauf wieder abstreitet.

Hier könnte man noch weiterdenken: Wenn das Prinzip der permanenten Beziehung mit einem romantischen Partner ohnehin nicht mehr besonders zeitgemäß ist, wäre es doch fast sinnvoller, den Lebensmenschen zu ehelichen, bei dem Sex als Komplikator gar nicht erst hinzukommt. Ehelicher Beischlaf ist im Gesetz nicht ausdrücklich erwähnt—wenn also beide cool damit sind, verheiratete oder verpartnerte Herzensfreunde zu sein, ohne miteinander zu schlafen, wäre das theoretisch kein Problem. Wenn man Herzensfreund und Sex in einem bekommt—umso besser.

Solange ich Livia und Katja kenne, beschreiben sie sich als "Lebensmensch" der jeweils anderen: "Ich fürchte mich immer ein bisschen davor, wenn ich meine Gedanken zu unserer Freundschaft mit jemand anders teile, weil dann sicher alle denken, ich wäre verliebt in sie. Aber ich schwöre, I love the dick!" Als Katja mir die Beziehung beschreibt, spricht sie von der "reinsten Form von Liebe", so oder so ähnlich hätte das wohl irgendein schlauer Philosoph mal über Freundschaft gesagt—und er sollte Recht behalten.

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"Viele Freundschaften konzentrieren sich doch eher auf einen Schwerpunkt im Alltag—Partyfreunde, Lästerfreunde, Uni-Freunde", so Katja. Und dann gäbe es noch die Sorte, die sie für sich als "wahre Freundschaft" definiert: "Ich glaube, nichts hat mein Selbstvertrauen im Leben mehr gestärkt, als zu wissen, es gibt einen Menschen, der mich immer schätzen und lieben wird. Ein Mensch, dem nie egal sein wird, wie ich mich fühle—daher Lebensmensch." Es ist schon verblüffend, dass es nicht Verbindungen wie diese sind, nach denen die meisten von uns streben, wo sie doch so viel wertvoller erscheinen. Stattdessen behaupten wir lieber, dass sie nicht zählen.

Katharina Smutny betreibt die Einrichtung "Auftankstelle" in Wien, wo neben herkömmlichen Paartherapien auch Freundschaftsberatungen angeboten werden. Smutny erklärt mir zunächst die grundlegenden Unterschiede zwischen den Beziehungsformen, weist auch auf Parallelen hin. So gäbe es in einer klassischen Liebesbeziehung nicht nur die hinzukommende sexuelle Komponente, sondern auch Regeln und Erwartungshaltungen, die in einer Freundschaft meist nicht gegeben sind. In herkömmlichen Freundschaften gibt es keine unausgesprochenen Verpflichtungen gegenüber dem anderen.

Ob die gesellschaftliche Gewichtung von platonischen und romantischen Beziehungen in Zukunft einen Umschwung erleben könnte? Smutny lehnt die Vorstellung ab: "Unter Freunden findet in der Regel keine körperliche Nähe statt, und der Mensch sehnt sich nach dieser Symbiose." Trotzdem glaubt sie zu erkennen, dass Freundschaften heute immer wichtiger werden—sogar lebenswichtig: Eine Analyse von Studien zum Sterberisiko zeigte zuletzt, dass Menschen mit gutem Freundeskreis eine um 50 Prozent höhere Überlebenswahrscheinlichkeit aufweisen. Ein schwaches soziales Umfeld hat demnach ungefähr den gleichen Effekt auf unsere Gesundheit wie Rauchen.

Trotzdem werden Freundschaften abgehandelt wie Beziehungen zweiter Klasse. Vielleicht braucht es ja auch gar keine Verschiebung von Stellenwerten, oder eine Vorrangstellung von Freundschaft über Romanzen. Wenn die Liebe wirklich immer gewinnt—und das tut sie—, dann müssen wir sie auch nicht klassifizieren und kategorisch einordnen. Wir müssen sie nur erkennen. Womöglich hast du die Liebe deines Lebens ja schon längst gefunden.

Franz auf Twitter: @FranzLicht


Foto: Nani Puspasari | Flickr | CC BY-ND 2.0