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"Ich finde Großbritannien gerade ein bisschen arrogant" – Europäer reagieren auf den Brexit

"Alle konservativen Parteien Europas haben Großbritannien heute Morgen gratuliert. Wenn das kein schlechtes Zeichen ist, was dann?"

Foto: Will Coutts

Jetzt ist es offiziell: Großbritannien hat abgestimmt und entzieht sich der schützenden/erdrückenden Umarmung von Seiten der EU. Dabei hat man in Europa mit diesen Bruch nicht wirklich gerechnet oder hat die Androhung eines Brexits nicht für voll nehmen wollen. Es bleibt nun abzuwarten, ob wir auch in Zukunft alle Freunde bleiben können.

Wir haben uns die Entscheidung des britischen Volks zum Anlass genommen, um die europäischen VICE-Büros (egal ob nun in EU-Mitgliedsstaaten oder nicht) damit zu beauftragen, auf der Straße herauszufinden, wie junge Eurooäer über den nun feststehenden Brexit denken.

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Italien

Beatrice, 24, Mailand, Studentin

"Ich konnte die Nachricht von heute morgen kaum glauben und mache mir nun ernsthafte Sorgen. Mein Plan war, nach meinem Studium nach Großbritannien zu gehen, aber diesen Plan muss ich jetzt wohl überdenken. Ich befürchte, dass der Brexit das Ende der Europäischen Union einläutet, weil mit Sicherheit ein Dominoeffekt folgen wird. Ich kann jetzt auch nicht behaupten, dass die EU perfekt ist, aber ein Ausstieg mutet doch ziemlich idiotisch an. Ich hoffe, dass es in Italien nie zu so einer Abstimmung kommen wird, weil die wohl das gleiche Resultat hätte."

Deutschland

Jeff, 31, Berlin, Tänzer

"Ich hätte wirklich niemals erwartet, dass das wirklich so eintritt. Ich weiß auch nicht, wie es mit der EU jetzt weitergeht. Es überrascht mich echt, dass die Brexit-Befürworter die Mehrheit erlangt haben—auch, wenn das Ergebnis richtig knapp war. Ganz ehrlich, ich finde Großbritannien gerade doch ein bisschen arrogant und das gibt mir ein komisches Gefühl.

Ich glaube außerdem, dass andere Länder nun nach dem gleichen Muster vorgehen wollen—auf jeden Fall werden sich das die reicheren Länder jetzt zweimal überlegen. Und das wäre richtig traurig. Für mich als einzelnen Bürger hat es ja nur Vorteile, wenn mein Land in der EU ist—zum Beispiel das einfache Reisen oder die gleiche Währung in den meisten Ländern. OK, beim zweiten Punkt hat England ja schon immer die Ausnahme gebildet."

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Griechenland

Anna Piliou, 26, Athen, LGBT-Aktivistin

"Ich bin total für den Brexit, aber das Ergebnis der Volksabstimmung hat für mich doch einen etwas faden Beigeschmack. Bei der griechischen Volksabstimmung zu den Spar- und Reformvorschlägen hat die Mehrheit mit 'Nein' gestimmt und die Arbeiterklasse ist auf die Straße gegangen. In Großbritannien haben linksgerichtete Organisationen eine unglaubliche Gleichgültigkeit an den Tag gelegt und die Pro-Brexit-Seite so den rechten Gruppierungen überlassen.

Der Brexit gehört jedoch den Arbeitern, den Armen und der Mittelschicht—also den Menschen, die Großbritannien zu dem gemacht haben, was es heute ist. In der jetzigen Verfassung kann die EU der europäischen Bevölkerung nichts bieten. Sie hat keine Achtung vor den Minderheiten oder den Menschenrechten. Sie funktioniert auf der Grundlage von wirtschaftlicher Macht und hat die Gründungsprinzipien komplett aus den Augen verloren. Genau deswegen finde ich es sehr gut, dass Großbritannien die Europäische Union verlässt. Und ich will, dass Griechenland und andere Staaten genau das Gleiche machen."

Frankreich

Benjamin, 28, Paris, Unternehmer

"Ich bin ziemlich geschockt und habe mit diesem Ergebnis wahrlich nicht gerechnet. Wenn ich jedoch darüber nachdenke, dann kann ich die Briten und ihren Wunsch nach einem EU-Austritt auch verstehen. Sie waren Teil dieser Organisation, ohne unter einigen der Unannehmlichkeiten wie etwa dem Euro zu leiden. Sie wollen halt nicht mehr für die Entscheidungen anderer büßen. Und trotz ihrer wirtschaftlichen Stärke machen sie sich wohl Sorgen wegen der Migrantenkrise.

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Ich bin gespannt, ob sich die Einstellung der Briten ändern wird, wenn sich die Dinge innerhalb der EU verbessern. Werden sie ihre Entscheidung dann bereuen? Dieses Referendum bedeutet ja auch, dass sich die Europäische Union verändern muss. Wenn sie das nicht tut, dann hieße das einfach nur, dass die EU-Bürokraten keine Ahnung davon haben, wie es sich in irgendeinem der 28 Mitgliedsstaaten lebt. Es wird niemals ein wirklich vereinigtes Europa geben. Vielleicht sollte die EU ihre Ambitionen mal ein wenig zurückschrauben und stattdessen versuchen, in einigen bestimmten Bereichen wirklich effizient zu funktionieren."

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Die Niederlande

Dora, 22, Amsterdam, Studentin

"Wie begründen die Briten ihre Entscheidung überhaupt? Sind sie sich der Konsequenzen bewusst? Ich glaube, dass viele Menschen bei der Wahl auf ihr Bauchgefühl gehört haben. Meine Hoffnung war, dass Großbritannien den Brexit ablehnt. Ich denke aber auch, dass den Menschen dort die EU sowieso schon immer ziemlich egal gewesen ist. Meine größte Sorge besteht nun darin, dass sich das finanzielle Gleichgewicht verschiebt, weil die britische Wirtschaft zu den stärksten der Europäischen Union gehörte."

Polen

Marcin, 37, Warschau, Musiker

"Es ist schwer zu sagen, was nun passieren wird. Wir müssen abwarten und schauen, was in einem Jahr los ist. Meiner Meinung nach wird es jedoch schon ein wenig drunter und drüber gehen. Ich glaube auch, dass die Briten jetzt endlich aufgewacht sind und erkannt haben, dass nicht die EU das Sagen hat, sondern die Banken und die große Pharma-Industrie bzw. -Lobby. Sie wollten einfach um das kämpfen, was ihnen gehört.

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Nach diesem Ergebnis sollte die EU große Reformen auf den Weg bringen, um in Zukunft wie geölt funktionieren zu können. Die Dinge laufen schon lange gehörig schief und die Briten sind nun die Ersten, die diesen Umstand deutlich anprangern. Ich fürchte allerdings, dass Deutschland und Frankreich jetzt nachziehen könnten. Dann würde einfach alles den Bach runtergehen."

Österreich

Wenting, 22, Wien, Studentin

"Ich finde das überhaupt nicht gut. Jetzt wird Deutschland stärkste Kraft sein und meiner Meinung nach ist das nicht gerade vorteilhaft für die anderen Länder. Tatsächlich könnte das zu einem großen Problem für die übriggebliebenen EU-Mitgliedsstaaten werden. Europa wird auseinanderbrechen."

Dänemark

Christine Søgaard, 27, Kopenhagen, studiert Musikwissenschaften

"Ich bin schockiert. Was passiert hier gerade? Es ist unfassbar traurig, dass Großbritannien sich dazu entschlossen hat, Europa den Rücken zuzukehren. Ich bin gerade erst von einem Erasmus-Semester in Leeds zurückgekommen und kann gar nicht anders, als darüber nachzudenken, wie traurig es für zukünftige Generationen europäischer Studenten sein wird, nicht mehr die gleichen Möglichkeiten zu haben, in Großbritannien zu studieren—und andersrum."

"Das wirklich Traurige daran ist aber, dass der Brexit nur noch mehr Öl in das Feuer des Populismus gießen wird, das in Europa eh schon brennt. Rechte Nationalisten in ganz Europa—auch hier in Dänemark—werden das als Gelegenheit wahrnehmen, um ähnliche Schritte weg von einer Kultur der Einheit und Kooperation zu unternehmen. Das ist unglaublich verstörend."

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Spanien

Joan Manuel, 20, Madrid, PR und Kellner

"Ich habe gehört, dass in Großbritannien ein Referendum über die Europäische Union abgehalten wird, aber ich habe bis gerade noch nicht gewusst, wie es ausgegangen ist. Es ist jetzt doch nur ein Land, das geht, und ich bezweifle, dass es den Euro beeinflussen wird. Ich werde es jetzt nur schwerer haben, nach Großbritannien zu reisen."

Serbien

Ana, 19, Belgrad, Studentin

"Niemand weiß, was jetzt passiert. Es ist möglich, dass andere Länder schneller Mitgliedsstaaten der Europäischen Union werden. Ich glaube, dass es der EU nach dem Referendum schlechter gehen wird als Großbritannien—aber denen wir es auch nicht gut gehen. Am meisten Sorgen bereitet mir allerdings, was jetzt mit dem Dreh der nächsten Staffel Game of Thrones passiert. Die haben schon gesagt, dass sie vielleicht Serbien verlassen müssen und dafür mehr in Irland drehen. Das wäre furchtbar, ich bin nämlich ein großer Fan."

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Schweiz

Yael, 22, Zürich, Studentin

"Ich weiß nicht viel über die wirtschaftlichen Umstände des Brexit, aber ich habe ein schlechtes Gefühl bei der ganzen Sache. Ich spüre, dass der Brexit keinerlei Vorteile für Europa oder Großbritannien bringen wird, auch wenn ich nicht wirklich sagen kann, warum.

Alle konservativen Parteien Europas haben Großbritannien heute Morgen gratuliert. Wenn das kein schlechtes Zeichen ist, was dann? Ich hätte mir gewünscht, dass sich die Menschen in Großbritannien anders entschieden hätten, aber ich glaube jetzt auch nicht, dass die EU deswegen zerbrechen wird."

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Portugal

Cláudia, 28, Lissabon, Marketing Managerin

"Das Ergebnis ist sehr besorgniserregend, aber ich bin neugierig darauf, was die Zukunft bringen wird. Ich hatte gehofft, dass die Briten vor ihrer Stimmabgabe an die Worte von Jo Cox denken: 'Wir haben viel mehr Gemeinsamkeiten als Dinge, die uns trennen.'

Aber es wäre jetzt sinnlos, in Panik zu verfallen oder Vorhersagen über die Zukunft zu treffen. Wir müssen Ruhe bewahren und schauen, was in den nächsten zwei Jahren passiert. Es ist wichtig, dass wir das Ergebnis dieses Referendums analysieren. Wir müssen herausfinden, was in der EU nicht gut läuft. Wir tendieren dazu zu vergessen, dass unterschiedliche Länder in unterschiedlichen Geschwindigkeiten arbeiten. Das, was für ein Land funktioniert, funktioniert vielleicht nicht für das andere."

Rumänien

Laurenţiu, 24, Bukarest, Student

"Ich glaube nicht, dass mich der Brexit wirklich betreffen wird. Das Ergebnis war zu erwarten: Großbritannien ist ein Land mit einer starken Wirtschaft und muss viele Schwächere unterstützen. Das wird wahrscheinlich den Arbeitsmarkt für Rumänen in Großbritannien einschränken, aber es ist halt ihre Entscheidung. Die EU ist kein Gefängnis."