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DIE DIRTY LAUNDRY ISSUE

Kinderarbeit in der amerikanischen Tabakindustrie

Zigaretten gefährden nicht nur deine Gesundheit, sondern auch die der minderjährigen (und völlig legal angestellten) Erntehelfer.

Foto oben: Eddie Ramirez, 15, arbeitet in den Tabakfeldern, um seiner Mutter finanziell unter die Arme greifen zu können, seit sein Vater nach Honduras deportiert worden ist. Alle Fotos von der Autorin

Eddie Ramirez raucht nicht, aber dennoch wird ihm manchmal vom Nikotin „schwindelig im Kopf", als „müsse er brechen". Das liegt daran, dass er eines der vielen Tausend Kinder ist, die auf US-amerikanischen Tabakfeldern arbeiten und dort lange, heiße Tage damit verbringen, Pflanzen zurückzuschneiden, deren Blätter an große Tabakfirmen wie Reynolds American und Japan Tobacco International verkauft werden, die diese zu Camels und Pall Malls weiterverarbeiten. Die Grüne Tabakkrankheit, eine Art akuter Tabakvergiftung, entsteht, wenn Tabak durch die Haut aufgenommen wird. Eine Untersuchung hat festgestellt, dass bis zu drei Viertel der jungen Tabakarbeiter an Symptomen wie Schwindel, Kopfschmerzen, Übelkeit und Brechreiz leiden. Ramirez zeigte mir seine Hand, während wir durch die Tabakhalme von Snow Hill, North Carolina, stapften, wo er arbeitet. „Merkst du, wie es klebt?", fragte er und rieb Daumen und Zeigefinger aneinander. „Das ist das Nikotin."

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In den USA ist es völlig legal, dass jemand wie Ramirez, der 15 Jahre alt ist und gerade mit der Highschool begonnen hat, auf diesen Feldern arbeitet. Er hat mit zwölf angefangen, dem offiziellen Mindestalter, das niedriger ist, als das aller anderen Industriezweige der USA. 2011 versuchte die damalige Arbeitsministerin Hilda Solis ohne Erfolg das landesweite Mindestalter für landwirtschaftliche Tätigkeiten auf 16 zu erhöhen, und eine NGO hat es vor Kurzem mit einer anderen Strategie versucht: sich direkt an die wichtigsten Akteure der Tabakindustrie wie Philip Morris zu wenden, und diese zu überzeugen, das Mindestalter der Arbeiter in ihren Zulieferbetrieben anzuheben.

Margaret Wurth, die Autorin des Berichts von Human Rights Watch vom Mai 2014 über Kinder und Teenager, die in den Tabakfeldern arbeiten, ist der Meinung, dass das Mindestalter für die Tabakernte auf 18 erhöht werden sollte. „Das ist eine Art Arbeit, die Kinder einfach nicht machen sollten", sagt sie.

Für Ramirez—und viele andere Immigranten, die in den USA 83 Prozent der in der Landwirtschaft Angestellten ausmachen—ist der Job das Gesundheitsrisiko wert. „Mein Vater ist nicht mehr da, also helfe ich meiner Mutter, so viel ich kann", erklärte Ramirez. Weil sein Vater deportiert worden ist, verbraucht er den Großteil dessen, was er an seinen 12 bis 13 Stunden langen Arbeitstagen verdient, für Miete und Essen. Das ist eine große Entlastung für seine Mutter, die in einer Fabrik angestellt ist, die Süßkartoffeln verarbeitet.

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Thomas Arcury, ein Forscher auf dem Gebiet der öffentlichen Gesundheit an der Wake Forest University, hat herausgefunden, dass 25 Prozent der erwachsenen Arbeiter, die mit Tabak hantieren, an Symptomen der Grünen Tabakkrankheit leiden. Ramirez versucht sich vor dem nikotingetränkten Morgentau zu schützen, der durch die Kleidung zur Haut durchsickern kann, indem er sich eine Mülltüte überzieht. Er schneidet Löcher für die Arme hinein und zieht sie sich über den Kopf. Aber der selbst gebastelte Anzug hilft nur begrenzt: „Man wird immer noch nass."

Keiner kennt die langfristigen Auswirkungen des Nikotins vor allem auf Kinder. Was man weiß, ist, dass durch die Haut aufgenommenes Nikotin im Körper zu Cotinin abgebaut wird, die man dann messen kann, um festzustellen, wie viel Nikotin sich im Körper einer Person befindet. Nach der Tabakernte in den Countys Wake und Granville im ländlichen North Carolina im Jahr 1999 stellte eine Studie fest, dass die nichtrauchenden erwachsenen Arbeiter Cotinin-Konzentrationen in ihren Körpern hatten, die mit denen einer Person zu vergleichen waren, die täglich ein Viertelpäckchen Zigaretten raucht.

In North Carolina, wo beinahe jeder schon als Kind auf der elterlichen Farm mit Tabak hantiert zu haben scheint, sehen einige Leute die Risiken der Grünen Tabakkrankheit recht entspannt. „Vor 30 Jahren nannten wir es ‚the mean green' [das böse Grün]", sagte Graham Boyd, Vizepräsident der Tobacco Growers Association (der Vereinigung der Tabakproduzenten) des Staates. Seine eigenen 16 und 17 Jahre alten Kinder arbei­ten allerdings nicht auf den Feldern.

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Es bleibt unklar, wessen Einfluss maßgeblich dafür verantwortlich ist, das Mindestalter von zwölf Jahren nicht anzuheben. Die Tobacco Growers Association of North Carolina hat es einer anderen Produzentenvereinigung, dem Council for Burley Tobacco in Kentucky, nachgetan und öffentlich verkündet, dass es die Beschäftigung von unter 16-Jährigen nicht länger billigen würde. Von den acht größeren Konzernen, die bei den Farmen in North Carolina Tabakblätter kaufen, hat sich Phillip Morris bereit erklärt, einen Dialog über die Anstellung von Kindern auf den Farmen, mit denen sie Geschäftsbeziehungen unterhalten, zu führen. Aber obwohl die Tabakriesen ihre Besorgnis ausgedrückt haben, ist noch nicht viel passiert. „Wir finden, dass die Tabakkonzerne die Verantwortung tragen, klare Regeln zu schaffen, die es Kindern verbieten, auf den Farmen in ihrer Lieferkette gefährliche Arbeiten zu verrichten", sagte mir Wurth.

Und trotz der Gesundheitsrisiken bleiben die Familien der Kinder ja weiterhin von ihren Einnahmen abhängig. „Wenn ich nicht arbeiten würde, könnten wir nicht bezahlen, was wir brauchen", sagt Saray Chambray Alvarez, eine 13-Jährige, die in den Tabakfeldern von Pink Hill arbei­tet. Alvarez' ganze Familie arbeitet als Landarbeiter und pendelt zwischen den Tabakfeldern North Carolinas und den Orangenhainen Floridas. Von Saray wird erwartet, dass sie arbeitet und zum Überleben der Familie beiträgt.

„Wenn [Eltern von Kindern] mehr Geld verdienen würden", sagt der Gewerkschaftsvertreter David Flores, „müssten ihre Kinder nicht auf den Feldern arbeiten."

Für Eddie ist es immer noch einfacher, sich mit dem Nikotin zu arrangieren, als mit der Alternative. „Ich sehe, wie hart meine Mutter arbeitet. Aber sie verdient einfach nicht genug", sagt er. „Es fühlt sich gut an, ihr etwas unter die Arme zu greifen."