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Geld ist der einzige Gott für die Kirche

Die einen bauen sich Protzbauten für 31 Millionen, die anderen veruntreuen Geld, und alle tun so, als wären sie frei von jeglicher Sünde. Philipp Möller—Bestsellerautor, Pressesprecher der Giordano Bruno Stiftung und kein Mann Gottes—rechnet in unserem...

Jedes Jahr fließen 19 Milliarden Euro an Zuschüssen und Erleichterungen vom deutschen Staat in die Kassen der Kirchen. Dazu kommen noch einmal 45 Milliarden Zuschuss vom Staat für Caritas und Diakonie und das alles neben der eigentlichen Kirchensteuer, die ebenfalls nochmal 9 Milliarden ausmacht.

Diese Unsummen an Steuergeldern sind offenbar notwendig, um die Vormachtstellung des Christentums in Deutschland zu erhalten und unsere verdorbene Gesellschaft vor der endgültigen Gottlosigkeit zu bewahren. Da es jedoch immer wieder ein paar kritische Stimmen aus der Bevölkerung gibt, braucht diese Gottesvertretung eben auch eine eigene politische Vertretung.
Eine Partei, die am besten direkt im eigenen Grundsatz schwarz auf weiß die Welt und den Menschen zur Schöpfung Gottes erklärt und im Dienste des Schöpfers und seiner großen, hungrigen Familie handelt.

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Während die Philosophen der Aufklärung samt Charles Darwin im Grab rotieren, hält man bei der CDU/CSU an der mysteriösen deutschen Leitkultur fest, die ganz klar auch das christliche Menschenbild beinhaltet.

Die lobbyistische Arbeit klappt seit Jahrzehnten wunderbar. Da kann der eine oder andere Kollege selbst aus sehr religiösen Ländern wie Italien oder Polen beten, was das Zeug hält. Die deutsche Kirchensteuer ist und bleibt weltweit einzigartig und „Säkularisierung“ weitestgehend ein Fremdwort.

Wir treffen uns mit einem Mann, der seit fünf Jahren damit beschäftigt ist, u.a. in öffentlich-rechtlichen Talkshows Geistliche und Politiker mit unangenehmen Fragen zu konfrontieren. Er heißt Philipp Möller, kommt aus Berlin und ist neben seiner Tätigkeit als Bestsellerautor auch Pressesprecher der Giordano Bruno Stiftung. Beides ohne Gottes Hilfe.

VICE: Welche Lebenserfahrungen haben dich dazu verleitet, aktiver Atheist zu werden?
Philipp Möller: Ob jetzt jemand an Gott glaubt oder nicht und an welchen, das ist mir vollkommen egal. Das ist eine absolute Privatsache und dieses große Grundrecht der Glaubensfreiheit ist ein superwichtiges Recht einer modernen Gesellschaft, aber es kam eben aus der Aufklärung heraus. Dass wir heute glauben können, was wir wollen, ist schließlich kein Verdienst der Kirchen, sondern derjenigen, die gegen die Kirchen gekämpft haben! Und als ich dann erfahren habe, dass unser Staat jährlich—neben der Kirchensteuer!—19 Milliarden Euro in die Kirchen buttert, die nicht in soziale Zwecke fließen; als ich erfahren habe, dass Caritas und Diakonie gar keine kirchlichen Einrichtungen sind, sondern zu 98% vom Staat bezahlt werden; als ich mir die ganzen Privilegien vor Augen gehalten habe, die die Kirchen so haben, wie zum Beispiel den Religionsunterricht, also weltanschauliche Manipulationen von kleinen Kindern, dazu Steuervergünstigungen, Mitgliedschaften im Rundfunkrat, im Ethikrat, da habe ich mir gedacht: „Jetzt reicht's, fuck you!“ Dann bin ich aktiv geworden. Klar, ich bin Atheist, ich glaube nicht an Gott, aber—um es mit Richard Dawkins zu sagen—ich bin auch Afeeist, weil ich nicht an Feen glaube.

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„Für uns ist der Mensch Geschöpf Gottes und nicht das letzte Maß aller Dinge“, stand 1994 im Grundsatz der CDU. Mittlerweile hat man auf das „letzte Maß aller Dinge“ verzichtet. Ist das „C“ im Namen der uns regierenden Partei dennoch ernst zu nehmen?
Mich beunruhigt es, dass wir in einem demokratischen Staat leben, der von einer Partei regiert wird, die zwar das Wort „Demokratie“ im Namen hat, aber eben auch das Wort „Christentum“. Das Christentum hat, so wie andere absolutistische Herrschaftssysteme, natürlich gar nichts mit Demokratie zu tun, sondern mit dem Gegenteil, der Theokratie, der Herrschaft Gottes, wo nicht das Volk entscheidet, sondern die Vertreter, das Bodenpersonal des imaginären Alphamännchens. Das ist ein riesiger Widerspruch und wir sehen natürlich auch, was dabei rauskommt: Ob das medizinethische Diskussionen sind, beispielsweise die Sterbehilfe, ob das Diskussionen um Präimplantationsdiagnostik sind. Immer wieder sehen wir, dass die Kirchen Einfluss haben und dieser Einfluss ist meines Erachtens viel stärker, als die Bevölkerung tatsächlich wirklich christlich ist und dahinter steht.
Wenn den Kirchen der Status der Körperschaft des öffentlichen Rechts aberkannt würde, müssten sie die gleichen Steuern zahlen wie alle anderen; wenn wir kein Kirchensteuersystem hätten, dass uns—nebenbei bemerkt—ganze vier Milliarden Euro kostet; wenn wir nicht mehr auf der Lohnsteuerkarte angeben müssten, welche Konfession wir hätten, dann hätten wir was geschafft. Der letzte Punkt ist ein Erbe des Nazi-Regimes. Hitler hat durchgeboxt, dass wir auf der Lohnsteuerkarte angeben müssen, welcher Konfession wir angehören, und das gilt bis heute, obwohl in der Verfassung steht, dass niemand gezwungen ist, seine Konfession öffentlich anzugeben—eine Oberfrechheit!

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Die Kirchenvertreter sind stets in Fernsehshows präsent und wissen sich meist zu artikulieren. Wie schätzt du die PR-Abteilung deiner Kontrahenten ein?
Was die Kirche sehr gut beherrscht, ist Öffentlichkeitsarbeit, Corporate Design und Identity. Dieses Kreuz alleine ist so ein starkes Symbol! Sie schaffen es tatsächlich, heute zu behaupten, sie hätten sich an der Entwicklung der Menschenrechte beteiligt. Das ist so, als würden sie in 50 Jahren hingehen und sagen: „Wir haben uns für die Rechte von Homosexuellen eingesetzt.“ Und genau so verhält es sich mit der Gleichberechtigung von Mann und Frau, der Pressefreiheit, der Freiheit von Forschung und Wissenschaft, der Einführung der Demokratie und vor allem eben der Glaubensfreiheit: Das ist genau das Gegenteil von dem, was sie getan haben. Wir kennen alle diese Geschichten von Galileo Galilei und auch Giordano Bruno. Und doch schaffen sie es, in der Öffentlichkeit ein Bild der Heilskirche und der Friedenskirche herzustellen.

Wieso glaubst du, dass die Kirche trotz allem noch Zuspruch erfährt?
Wenn du heute hundert Leute auf der Straße fragst, warum sie Kirchensteuer zahlen, dann wird der größte Teil sagen: „Ich sehe es als eine Art Spende.“ Weil sie eben nicht wissen, dass nur 5% der Steuer tatsächlich in caritative Zwecke fließt und 95% in die Verwaltung dieses riesigen Kirchenapparates. Auf der anderen Seite bröckelt es aber auch. Was regelmäßig aus dem Vatikan bekannt wird—nachweisliche Verstrickungen in Verbrechen und dunkle Finanzgeschäfte oder gigantische Missbrauchsskandale—, sind natürlich PR-Katastrophen. Die Besucherzahlen der Gottesdienste sind in Zentral- und Westeuropa stark rückläufig, die Austrittszahlen hoch, die Taufzahlen immer geringer. Man muss nur ins Jahr 1970 zurückschauen, da waren in der BRD 49% der Menschen evangelisch, 45% katholisch und 4% konfessionsfrei. Im Jahr 2012 sind je 29% katholisch und evangelisch, nur 43% der Bevölkerung bezeichnen sich selbst als religiös und ganze 38% sind konfessionsfrei—es scheint, als kämen immer mehr Menschen dem faulen Zauber der Religion auf die Schliche.

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In Russland, den Arabischen Emiraten und vielen anderen Ländern würdest du für dein öffentliches Auftreten höchstwahrscheinlich im Knast landen.
Das stimmt, und ich bin auch extrem froh und schaue sehr optimistisch durch die weiten säkularen Teile Europas. Blicken wir aber in andere Teile der Welt, sieht es schon anders aus. Die Entwicklungen, die der Islam weltweit annimmt, sind weitestgehend sehr beunruhigend: Apostaten, also Muslimen, die sich vom Islam abkehren, droht in islamischen Staaten die Todesstrafe, und vielfach wird sie auch umgesetzt. Es gibt aber auch heute noch christliche Hassprediger, beispielsweise in Afrika, die für regelmäßige Hexenverbrennungen sorgen. In Nigeria wurden seit den 90er Jahren Tausende Kinder verbrannt, die beschuldigt wurden, Hexen zu sein.
Michael Schmidt Salomon schreibt ja: Wir sind wie Fünfjährige, die man in einen Jumbojet setzt. Wir stellen uns so blöd an, haben aber so krasse Technologien zur Verfügung und werden teilweise von Leuten regiert, die—auf weltanschaulicher Ebene—nicht mal eins und eins zusammenzählen können.

Apropos Jumbojet. Bleibst du auch bei starken Turbulenzen Atheist?
Ich habe so viel Angst vor dem Fliegen wie ein Fisch vor dem 100-Meter-Lauf. Das ist einfach nicht unser Element. Natürlich setze ich mich mit dem Gedanken vom Tod und Nichtexistenz auseinander, aber ich möchte mir keine falschen Hoffnungen einreden. Diese Jenseitsfantasie ist ein starker Teil der großen Religionen, ohne das funktioniert das Ganze nicht. Aber man muss sich vor Augen halten, was das de facto bedeutet, wenn man seine Wünsche, sein Streben nach Glück ins Jenseits verschiebt. Dann kann man sich im Diesseits eben auch beuteln lassen. Es gibt diese Textstelle von Reinhard Mey: „Der Minister nimmt flüsternd den Bischof beim Arm: ,Halt du sie dumm, ich halt sie arm.‘" Mein Leben ist kurz und daher möchte ich es für mich, meine Mitmenschen und meine Mittiere so schön wie möglich gestalten. Und ich bleibe im Flugzeug auch bei Turbulenzen Skeptiker, sagen wir es so.

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