FYI.

This story is over 5 years old.

Die Geschichte des Südsudan

Glänzende, schillernde Nation

Wie könnte man die launige Rettung Afrikas besser verstehen, als mithilfe eines Afrikaners, der Afrika retten will? Machot Lat Thiep, ein ehemaliger Lost Boy aus dem Sudan macht sich mit uns auf den Weg.

Machot vor seinem Haus in Lynnwood, Washington. Foto von Kyle Johnson

Es begann mit einer simplen Idee: Eine Reise ins neueste Land der Welt mit Machot Lat Thiep, einem schlaksigen 32-jährigen ehemaligen Lost Boy aus dem Sudan, der seinem Land helfen möchte, einer Heimat, die nicht mal drei Jahre alt ist und schon droht, ein gescheiterter Staat zu werden. Machot glaubt, er kann die Situation dort verbessern, auch wenn er nicht den Eindruck macht, als wüsste er, wie. Wie könnte man die launige Rettung Afrikas besser verstehen, als mithilfe eines Afrikaners, der Afrika retten will?

Anzeige

Lost Boys nennt man die zahllosen Kinder, die vor dem brutalen Bürgerkrieg im Sudan flohen und in kenianischen oder eritreischen Flüchtlingslagern endeten. In den letzten zehn Jahren hat das Los der Lost Boys zu unzähligen Zeitungsartikeln, Appellen, Filmen und Büchern geführt. Sogar Promis wie Bratt Pitt und George Clooney haben große Anstrengungen unternommen, ein Bewusstsein für diese ehemaligen Kindersoldaten zu schaffen. Während die verworrenen Machtkämpfe für einen unabhängigen Südsudan andauerten, wurden etwa 3.800 dieser Jungen, von denen viele für immer die Narben der Stammesmerkmale der Dinka (der ethnischen Mehrheit) oder der Nuer tragen, von amerikanischen Familien aufgenommen und großgezogen. Den meisten ist es dabei gut ergangen, sie haben die Gelegenheit genutzt, eine Ausbildung zu machen oder einen Job zu finden und ein neues Leben zu beginnen. Einige von ihnen waren wie Machot in den Staaten so erfolgreich, dass sie ihr Vermögen nun ihrer Heimat zukommen lassen möchten, damit sich der Südsudan zu einem starken Land entwickeln kann.

Machot ist groß gewachsen, schlank und sehr dunkel. Er ist Nuer und trägt die typischen Stammesnarben um den Mund sowie in Form von sechs Linien, die quer über die Stirn bis hinter seine Ohren verlaufen. Er ist Manager bei der amerikanischen Großhandelskette Costco in Seattle, verheiratet, hat zwei Kinder, fährt einen Minivan und ist beinahe eine Verkörperung des amerikanischen Traums. Er glaubt, er könnte noch mehr erreichen, aber fürs Erste reicht’s.

Anzeige

Ich lernte Machot kennen, kurz nachdem seine Familie im Sudan von somalischen Gangstern entführt wurde, die an der Grenze zu Kenia ihr Unwesen trieben. Einer seiner Freunde—der Mann, der ihn damals in die USA geholt hatte—hatte mich kontaktiert und um Rat gebeten, wie man sie wieder frei bekommen könne. Sie kamen schließlich frei, ohne dass Lösegeld gezahlt wurde.

Vor ein paar Jahren, als die Unabhängigkeit für den Südsudan zu einer realen politischen Möglichkeit wurde, begann Machot sich in seinem aufstrebenden Heimatland politisch zu engagieren. Er ging zurück und half beim Schreiben der Verfassung. Ende 2013 begannen Machot und ich darüber nachzudenken, sein Land einmal gemeinsam zu bereisen. Wir hatten vor, Riek Machar aufzusuchen, den Nuer-Führer und damaligen Vizepräsidenten.

Mitte Dezember jedoch nahm die politische Situation im Südsudan plötzlich eine gewaltsame Wendung. Präsident Salva Kiir behauptete, Machar habe einen Putschversuch unternommen. Die Nachricht verbreitete sich schnell. Es kam zu Feuergefechten zwischen den Dinka- und Nuer-Angehörigen der Präsidentenwache Tiger Bataillon, und in der Hauptstadt Juba brachen Kämpfe aus. Dinka-Milizen und Soldaten gingen von Tür zu Tür, um Nuer ausfindig zu machen und zu töten. Machar konnte gerade noch fliehen, bevor Panzer und schwere Geschütze sein Haus dem Erdboden gleichmachten.

Danach wollte Machot retten, was von seinem Land übrig war und vielleicht sogar bleiben, um es zu verteidigen.

Anzeige

Ich kaufte Machot ein Ticket nach Nairobi, und er überredete seinen Boss, ihm einen Monat unbezahlten Urlaub zu geben. Ich steuerte etwas Geld bei, von dem seine Familie in der Zeit leben konnte, und im Januar machten wir uns gemeinsam mit unserem Fotografen und Kameramann Tim Freccia auf den Weg.

Aus einer einfachen Reise in den Südsudan wurde aber nichts. Überall in der Region wurde gekämpft, und Uganda war in die Kampfhandlungen eingestiegen. Die Städte Bor, Malakal und Bentiu wurden belagert, während das Land sich zwischen der regierungsnahen Sudanesischen Volksbefreiungsarmee (SPLA) und den abtrünnigen Nuer-Truppen aufspaltete, die offenbar unter dem Befehl von Machar standen, der sich angeblich irgendwo im Busch versteckte. Unser Trip in den Südsudan würde wohl doch nicht so unkompliziert, wie wir ihn uns vorgestellt hatten. Wir fragten ein paar Leute, die sich in der Region auskannten, nach dem Aufenthaltsort von Machar. Ihre Antworten waren vielfältig: „Machar ist in der US-Botschaft.“ „Machar befindet sich auf der Giraffeninsel mitten im Sumpf.“ „Machar ist in London.“ Richtig war wohl, dass Machar sich im Busch befand und dass die südsudanesische Regierung etwa 2.000 Soldaten losgeschickt hatte, ihn zu suchen und zu töten. Die glaubhafteste Theorie vermutete Machar in Akobo, der östlichsten Stadt seiner Heimatregion Jonglei an der Grenze zu Äthiopien. Das ist die Kurzfassung der Ereignisse, die uns in einem Auto mit unserem Mittelsmann Edward nach Nairobi brachte, wo wir nach einem Piloten suchten, der uns hinter die Linien der Rebellen fliegen sollte. Edward arbeitet mit einem Mann namens Ian Cox zusammen. Den beiden gehört Lorry Boys, eine Firma, die Leuten wie uns dringend benötigte Flugzeuge, Fahrzeuge oder schweres Gerät zur Verfügung stellt. In letzter Zeit bestand der Großteil ihrer Aufträge darin, Ausländer aus dem Südsudan herauszufliegen. Meine Anfrage in genau die entgegengesetzte Richtung wäre eine einfache Angelegenheit, würden derzeit nicht fast alle Ausländer außer Landes gebracht und wäre da nicht das Einreiseverbot. Mit anderen Worten, die Regierung in Juba erlaubt den Piloten nicht, im Rebellengebiet zu landen—was im Grunde die gesamte Gegend um Juba betrifft.

Anzeige

Mutige ortsansässige Piloten, die es gewohnt sind, alles Mögliche überall hinzufliegen, sagen bei unserer Anfrage zunächst zu. Dann fragen sie in Juba nach und finden heraus, dass alle Charterfluggesellschaften oder Piloten, die es wagen, die Rebellen zu unterstützen, auf die schwarze Liste gesetzt werden. Wir erhalten eine Reihe von höflichen Absagen. Danach suchen wir etwas genauer im Kader der in Kenia basierten Piloten. Dort sind viele bekannt dafür, die Art von Job anzunehmen, die wir anzubieten haben—Piloten, die nicht erst auf die Idee kommen, in Juba wegen irgendetwas nachzufragen. Die meisten von ihnen leben von Lösegeldübergaben, dem Herausfliegen von Geiseln aus Somalia und anderen Gelegenheitsjobs. Mit anderen Worten, von illegalen Jobs, die gut bezahlt sind und das Flugzeug wie den Piloten großen Risiken aussetzen.

Wir treffen uns auf einem Parkplatz mit einem berühmten Piloten, dessen Foto, Name und Firma im Internet nicht zu finden sind. Er sagt, er kann es machen, hat aber gerade zu viel zu tun; es gibt jede Menge Aufträge beim Militär, Hilfsorganisationen und Katastrophenschutz. Der ehemalige britische SAS–Pilot ist gut gekleidet und kennt sich in der Region aus. Er nimmt sich die Karte vor und rechnet die Entfernung aus. Obwohl wir ihn bei einem Einkaufstrip gestört haben, scheint ihn der Job zu interessieren.

„Ihr müsst ein paar Fässer Treibstoff nach Nordkenia schaffen, auf die andere Seite des Turkana-Sees“, sagt er. „Wenn wir landen, können wir keinen Besuch gebrauchen.“

Anzeige

Der Preis? „Kommt aufs Risiko an“, meint er—eine indirekte Art uns zu sagen, dass er es sich erlauben kann, zu nehmen, was er will.

Tim erkennt den adrett gekleideten Piloten wieder und sagt: „Du hast Amanda Lindhout und Nigel Brennan in der Cessna 210 rausgeflogen. Ich stand auf der Landebahn, als ihr angekommen seid.“

Der Pilot lächelt. Er erzählt, er habe auch die beiden von Piraten entführten Seychellen-Fischer rausgeflogen. „Die haben viel Geld für die beiden bezahlt.“ Geschichten, die Piloten so erzählen.

Plötzlich fragen wir uns: Ist eine Reise in den Südsudan wirklich 15 Riesen wert sowie das Risiko, unser Leben zu verlieren, der Hitze, Seuchen und Feindseligkeiten ausgesetzt zu sein, und all das, weil wir herausfinden möchten, warum das Land vor dem Scheitern steht und weil wir seinen abgesetzten Präsidenten aufspüren wollen? Natürlich lautet unsere Antwort: „Absolut.“

Alles in allem verläuft unsere Reise ganz normal. Also mindestens so normal wie die Tatsache, dass ein ehemaliger Kindersoldat mit wilden Narben im Gesicht in Seattle bei Costco arbeitet.