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Video Games Killed the Radio Star

God dammit, Telltale Games! Ein Plädoyer gegen Episodenspiele.

Wenn Videospiele immer cineastischer werden, bedeutet das dann automatisch, dass sich die Gamesbranche in ihren Vermarktungs- und Veröffentlichungsstrategien an die Film- und Fernsehindustrie anpassen muss?

Ich bin ein Medien-Bulimiker. Wenn irgendetwas rauskommt, was ich sehr, sehr gut finde, dann muss ich es sofort haben und am besten auch alles auf einmal. Ich hasse mich dafür. Nur wenig ist schlimmer als diese absolute Leere, die einen befällt, wenn man gerade irgendetwas unfassbar Fantastisches beendet hat. Egal ob Serie, Buchreihe oder Videospiel: Jedes Mal aufs Neue will man sich dazu zwingen, sich das Ganze ein bisschen aufzusparen und dann kappt man all seine sozialen Kontakte und sieht ein komplettes Wochenende lang nichts anderes als Frank Underwoods Gesicht, weil Netflix sämtliche Folgen der neuen House Of Cards-Staffel am selben Tag rausgehauen hat. Mit schmerzendem Herzen und leerem Blick starrt man anschließend schuldbewusst in eine leere, triste Zukunft und verspricht sich selbst: Das nächste Mal reiße ich mich zusammen.

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Man könnte also meinen, dass Telltale Games der Videospiele-Community einen unfassbaren Dienst erwiesen haben, als sie Episodenspiele mit ihrer fantastischen The Walking Dead-Adaption in den Fokus der Öffentlichkeit hievten. Ein hochemotionales Spiel, dessen Handlung in fünf Episoden aufgeteilt ist, die nach und nach veröffentlicht werden. Klingt im Prinzip super, dachte ich mir, während ich mich mit Tränen in den Augen und viel zu viel Rotwein durch alle Teile nacheinander kämpfte, weil ich mir das Ganze erst dann zugelegt hatte, als alles erschienen ist. Nach der letzten Episode und knapp eine Woche später war ich ein gebrochener Mensch. Wäre es besser gewesen, wenn ich mehr Zeit gehabt hätte, all die grausamen Schicksalsschläge der Charaktere und meine moralisch fragwürdigen Affekthandlungen zu verarbeiten? Wahrscheinlich.

Im Vordergrund mit Hut: Telltale Games. Hinten links: The Walking Dead-Spieler, die EINFACH NUR WOLLEN, WAS IHNEN ZUSTEHT!
Februar 2014. Vor zwei Monaten, Mitte Dezember vergangenen Jahres, erschien die erste Folge der zweiten TWD-Staffel. Seither hüllt sich Telltale, bis auf einige Screenshots und die vage Ansage, das Release der Fortsetzung wäre auf Anfang März terminiert, in Schweigen. Ich fühle mich wie eine Schwangere, der man ein halbes Spanferkel aus den fettigen Fingern gerissen hat. Nach und nach habe ich verschiedene Stadien der Ungeduldsbewältigung durchlaufen und habe mich von unerträglicher Spannung über mühsam zurückgehaltene Wut bis hin zu stetigem Vergessen durchgearbeitet. Ich habe keine Ahnung mehr, wie der Großteil der Charaktere heißt. Lediglich die Erinnerung an einen unterernährten Hund und eine unsympathische Frau mit Babybauch sind geblieben.

Wer sich im vergangenen Jahr die erste Folge von The Wolf Among Us besorgt hat, kann über solche Luxusprobleme nur lachen. Ganze vier Monate lagen zwischen dem Release der beiden ersten Episoden und das bei einem Spiel, das einen nach rund zwei Stunden Spielzeit mit einem grausamen Cliffhanger zurücklässt. Vier Monate, in denen die Entwickler kein Sterbenswörtchen über die Weiterführung der Spieleserie verloren haben. Ärgerlich für jemanden, der sich die erste Episode einzeln gekauft hat und wissen möchte, wie es weitergeht. Desaströs für all jene, die sich direkt den kompletten Season-Pass zugelegt haben und keine Ahnung haben, wann sich diese vorausschauende Investition jemals lohnen wird.

The Wolf Among Us ist die sexuelle Person aus dem Club, die sich den ganzen Abend Drinks ausgeben lässt und euch dann an alleine an der Bar stehen lässt, um zu Hause mit Telltale Games einen draufzumachen.

Wenn Videospiele immer cineastischer werden, bedeutet das dann automatisch, dass sich die Gamesbranche in ihren Vermarktungs- und Veröffentlichungsstrategien an die Film- und Fernsehindustrie anpassen muss? Seine Lieblingsserie im Wochenrythmus fortschreiten zu sehen, ist in Ordnung. Längere Zeit auf die Fortsetzung einer Geschichte warten zu müssen, in die ich interaktiv eingreifen kann und die explizit darauf ausgelegt ist, mir das Herz aus der Brust zu reißen, einmal ordentlich durchzukauen und anschließend ins Gesicht zu spucken, ist—zumindest für mich—nur schwer ertragbar. Derartige Fortsetzungsformate sind unter Umständen von riesigen Studios zu stemmen, aber wenn ihr nicht genug Leute habt, um an mehreren Projekten parallel zu arbeiten, dann macht es doch bitte nicht. Vielleicht möchte uns Telltale Games vor uns selbst und unserer durch das Internet befeuerten Medienkonsummaßlosigkeit retten. Aber verdammt nochmal, wenn ihr mich beim Release des Game of Throne-Spiels ebenso leiden lasst, bringe ich euch alle um!