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The Outta My Way, I’m Walking Here Issue

Die tödliche Schlacht um Kolumbiens Edelmetalle

Bergbau in Kolumbien hat, freiwillig und unfreiwillig, viel mit der organisierten Kriminalität zu tun. Viele Minen zahlen Schutzgelder an bewaffnete Gruppen und manchmal fungieren offen Kriminelle als Aktionäre. Die Folgen sind brutal.
Minenarbeiter zerhacken an der La-Roca-Mine in Antioquia, Kolumbien, goldhaltiges Gestein. Fotos von Stephen Ferry

Die Explosion der Gewalt hatte mit dem Massaker begonnen, darin waren sich in Segovia alle einig. Segovia, ein Zentrum des kolumbianischen Goldabbaus, liegt 200 km Luftlinie bzw. sechs Autostunden nord­östlich von Medellín. Vier Mitglieder und Geschäftspartner einer Familie waren bei einem Treffen, bei dem es um das Schicksal einer ertragreichen örtlichen Goldmine namens La Roca ging, aus dem Hinterhalt angegriffen worden. Hinter den Morden, erzählten die Leute, stand eine bekannte Persönlichkeit aus dem Ort, deren Name durchweg nur hinter vorgehaltener Hand genannt wurde: Jairo Hugo.

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Um Jairo Hugo Escobar Cataño—so sein voller, aber so gut wie nie verwendeter Name—wirklich zu verstehen, muss man das Gold verstehen. Kolumbiens reichhaltige Goldadern waren für die spanischen Kolonisatoren eine fette Beute, für deren Abbau sie afrikanische Sklaven in das Land brachten. Die Goldindustrie ist schon immer profitabel gewesen, aber vielleicht nie so sehr wie im letzten Jahrzehnt, als der Goldpreis stetig zu steigen begann. Zwischen 2000 und 2007 um mehr als das Doppelte—von 279 auf 695 Dollar pro Feinunze. Bis 2011 hatte er sich dann noch einmal fast verdoppelt, auf 1.572 Dollar pro Feinunze. Ein Goldrausch ergriff weite Teile Kolumbiens und Gruppen, die vorher im Drogenschmuggel tätig waren, wendeten sich dem Edelmetall zu, um damit verlorene Profite aus dem Drogenhandel auszugleichen. In vielen Teilen des Landes wurde Gold zum neuen Kokain.

Einen großen Teil der Erträge erwirtschaften immer noch traditionelle Goldgräber, die oft ohne offizielle Erlaubnis an den Rändern der Ländereien der Großkonzerne nach dem Metall schürfen. Der Rest wird größtenteils von den sogenannten Wildcatter-Truppen abgebaut, die überall aus dem Boden schossen, als der Markt explodierte. Ihr Name stammt aus der Ölindustrie und deutet auf eine riskante und brachiale Vorgehensweise hin, die in diesem Fall darin zu bestehen scheint, Hügel in die Luft zu jagen, ganze Flussbetten umzupflügen und mit Baggern durch zuvor unberührte Landschaften zu brettern, von denen danach nur noch Mondlandschaften zurückbleiben.

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Der Bergbau steht oft, ob freiwillig oder unfreiwillig, in enger Verbindung mit Kolumbiens krimineller Unterwelt. Viele Minen zahlen Schutzgelder an bewaffnete Gruppen. Manchmal fungieren die Kriminellen auch als Aktionäre einer Mine. Die Folge: Ein Teil der Goldeinnahmen wandert direkt in die Kassen der Milizen.

Es gibt wenige Landesteile, in denen diese Tatsache so klar zu Tage tritt wie in der Region, in der Hugo zur inoffiziellen Macht aufgestiegen war. Er hatte eine Zeit lang als Goldschürfer gearbeitet und war dann fünf Jahre lang als Hilfspolizist in einer Siedlung nahe Segovias tätig. In den 90ern unternahm er seinen ersten Vorstoß in das Geschäft mit dem Goldhandel. Er kaufte das Gold direkt von den Minen, veredelte es, um es anschließend an die großen Exporteure in Medellín zu verkaufen.

2008 gelang es ihm dann, einen großen Bergbaukonzern zu überzeugen, ihm ein Grundstück zu verpachten. Seine Mine, La Empalizada, wurde schnell zu einer der ertragreichsten in der Geschichte Segovias. Anscheinend hat er in jener Zeit begonnen, seine Verbindungen zu den Rastrojos aufzubauen, einer paramilitärischen Orga­nisation, die aus einem der mächtigsten Kartelle hervorgegangenen war.

Man erzählte mir, dass man ihn in seiner ärmlichen Heimatstadt Remedios, die ca. 30 km von Segovia entfernt liegt, „als eine Art Gott ansah".

La Roca, die Mine, die der Anlass für das Massaker war, gehörte den Serafines, einer für die Klasse kleiner Minenbesitzer typischen Familie, die seit Generationen auf dem kolumbianischen Land nach Gold gruben. Die Serafines hatten auf einem Stück Land, auf das sie ohne rechtliche Grundlage Anspruch erhoben, 18 Monate lang geschürft, Felsen gesprengt und weggeschleppt, bis sie schließlich im Frühjahr 2011 auf eine außergewöhnlich goldreiche Ader stießen. Zur Zeit meines Besuchs der Mine produzierte La Roca monatlich Gold im Wert von ca. 700.000 Dollar, was sie zu einer der reichsten unabhängigen Minen Segovias machte. Die Serafines wurden über Nacht von armen Kirchmäusen zu Göttern.

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Kurz nachdem die Serafines auf die Ader gestoßen waren, tauchten zwei bewaffnete Männer bei einem der Familienmitglieder auf. Sie waren Mitglieder der Rastrojos. Statt ein Schutzgeld zu fordern erklärten sie, dass Hugo die Mine ganz für sich selbst beanspruche. „Niemand kommt hier raus, bis die Sache geklärt ist", sagte der Befehlshaber.

Aber die Serafines weigerten sich, klein bei zu geben, und im darauffolgenden Dezember wurden zwei Familienmitglieder und drei Geschäftspartner zu einem Treffen außerhalb Segovias an einen Ort namens Altos de Muertos, die „Todeshöhen", gebracht. Vier von ihnen wurden dort fast augenblicklich erschossen. Ein Polizeiermittler, der am Tatort eintraf, beschrieb sie seinem Kollegen, als „re-muerto", also „sehr, sehr tot".

Ungefähr einen Monat zuvor hatten die obersten Befehlshaber der Rastrojos einen Deal mit den Urabeños abgeschlossen—der zweiten landesweit aktiven kriminellen Organisation. Sie sind eine Gruppe von Ex-Paramilitärs, die sich über ihr angestammtes Territorium hinaus ausgebreitet hatten und im Zuge dessen mit den Rastrojos in einen Konflikt um Schmuggelrouten und territoriale Aufteilung geraten waren. Die beiden Gruppen, des Blutvergießens müde, handelten einen Waffenstillstand aus. Das Abkommen sicherte den Urabeños für eine Summe von angeblich 6 Milliarden Pesos—3,3 Millionen Dollar—die Kontrolle über die nordöstlichen Goldabbauregionen.

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Nach dem Massaker spaltete sich eine Gruppe unzufriedener Rastrojo-Mitglieder, die dem Deal mit den Urabeños misstrauten und Zweifel an deren Absichten hegten, von der Gruppe ab, um eine neue Miliz zu gründen. Diese abtrünnigen Rastrojos forderten den Bewohnern und Minen der Region eine neue Zwangsabgabe ab und benutzten die Schutzgelder, um über ihre Kontakte in der kolumbianischen Armee Maschinengewehre, Mörser und Granatwerfer zu kaufen. Bald wuchs ihre Mitgliederzahl auf 200 Kämpfer an. Zwischen den ehemaligen Rastrojos und den Urabeños brach ein Krieg aus. Während sie um die Kontrolle über den Nordosten kämpften, steckte die Zivilbevölkerung zwischen den Fronten fest. Die militanten Gruppen verlangten von den auf ihren Territorien lebenden Menschen absolute Loyalität und Unterstützung. Jeder konnte als Informant beschuldigt werden—ob Ladenbesitzer, Losverkäufer oder Taxifahrer—und jeder konnte das nächste Opfer werden.

Die abtrünnigen Rastrojos, denen die Serafines vorwarfen, in Hugos Auftrag zu handeln, richteten ihre Aufmerksamkeit nun auf die überlebenden Mitglieder der Familie. Nach dem Massaker wurde den Serafines klar, dass sie nur zwei Optionen hatten. Sie konnten in einem offenen Konflikt viel Blut und Geld verlieren. Oder sie konnten eine Kalte-Kriegs-Strategie fahren und ihre Feinde ohne Kugeln schwächen, indem sie ihr Wissen mit der Polizei und dem Militär teilen. Die Serafines entschieden sich für Letzteres, heuerten aber trotzdem sicherheitshalber eine Schutztruppe von über 30 bewaffneten Männern an. Im Justizministerium der Region in Medellín war die Aufgabe, die Rastrojos niederzuzwingen, an einen Staatsanwalt gefallen. Unter den vielen laufenden Ermittlungen, die auf seinem Tisch lagen, befand sich auch die Fallakte, die die Polizeiermittler gegen Hugo zusammengetragen hatten. Am 11. November 2012 wurde zwischen die Haftbefehle gegen die 17 abtrünnigen Rastrojos still und leise auch ein Haftbefehl gegen Hugo gesteckt. Die regionale Polizei nahm ihn wenig später fest.

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Als ich knapp drei Monate später im Februar 2013 erneut nach Segovia kam, befand sich die Stadt in einem inoffiziellen Notstand. Der Krieg hatte sich auch ohne Hugo fortgesetzt. Sowohl die Goldproduktion als auch die Mordrate der Stadt hatte sich bis Ende 2012 vervierfacht. Remedios und Segovia waren nun die Städte mit der höchsten und der zweithöchsten Mordrate im ganzen Land.

Es schien, als würde der Krieg nie aufhören. Bis er es dann eines Tages einfach tat.

Anfang Mai 2013 flatterten Kopien eines Kommuniqués auf die Straßen Segovias, die „das Ende des Krieges" im Nordosten verkündeten. „Wir haben uns mit einem einzigen Ziel an einen Tisch gesetzt", hieß es da, „um die Barbarei des Krieges zu beenden. Heute, Dank GOTTES Hilfe, atmen wir Frieden." Die Urabeños und die abtrünnigen Rastrojos, erklärte das Flugblatt, hatten beschlossen, dass es besser wäre, mit vereinten Kräften zu arbeiten, statt gegeneinander zu kämpfen. Die nun vereinten Kriminellen luden „alle, die von ihrem Land geflohen waren, ein, zurückzukehren".

Etliche der abtrünnigen Rastrojos ließen verlautbaren, dass Hugo die Serafines einzig aus Rache für einen früheren Anschlag auf ihn töten lassen habe. Wieder andere sagten den Strafverfolgungsbehörden, dass Hugo mehrere Kommandeure der Gruppe getroffen und ein Kopfgeld von 400.000 Dollar für die Ermordung ausgehandelt habe.

Die Serafines hüteten derweil ihre eigenen Geheimnisse. Monate, nachdem die Urabeños die Kontrolle über die Region und ihre Goldminen errungen hatten, erzählten mir drei inhaftierte Rastrojo-Abtrünnige, dass die Serafinos die Urabeños über weite Strecken des Krieges hin finanziert hätten.

Der Chef des Sicherheitsteams der Serafines selbst bestätigte mir diese Behauptung später. Er erklärte, dass er und seine Kollegen die Urabeños außerdem mit Informationen—Fotos, Namen und anderen Details—versorgt hätten, um ihnen zu helfen, ihren Rivalen niederzuschlagen.

„Ich gab ihnen die Informationen über die Bandidos, und sie brachten sich gegenseitig um", erklärte mir der Leiter der Sicherheitstruppe. Ich dachte an ein Gespräch zurück, dass ich im Juni 2012 mit einem Staatsanwalt geführt hatte: „Sie sagen manchmal, dass wir nützliche Idioten sind." Er wusste so gut wie jeder andere, dass es für die Kriminellen in Kolumbien kein Vakuum geben konnte. „In gewisser Weise könnte man sogar sagen, dass wir das Territorium den Urabeños übergeben", sagte er. Aber vielleicht war es auch nur naiv zu glauben, dass es irgendjemandem in Segovia ersparrt bleiben konnte, sich auf eine der beiden Seiten zu schlagen. Sich herauszuhalten, wo die Machtverhältnisse im Umbruch begriffen sind, ist wohl ein Ding der Unmöglichkeit Ein Kommandeur der Rastrojos drückte es so aus: „Die großen Fische fressen die kleinen."

Fotos von Stephen Ferry

Die ganze Geschichte hinter dem Goldkrieg von Segovia, The Devil Underground, findet ihr auf Atavist.com.