FYI.

This story is over 5 years old.

News

Gorilla-Guerilla in München gegen die Gentrifizierung

In Deutschlands Großstädten werden die Wohnungen immer teurer und die Bürger immer wütender, die neueste Aufregung kommt nun aus München, genauer gesagt durch die Immobilienfirma Gold Grund, deren Slogan lautet: „Wir handeln mit Ihrem Lebensraum“.

Habt ihr auch das Gefühl, dass die Mitbestimmung des urbanen Raums für die Stadtbevölkerung immer wichtiger wird? Angefangen beim Boom, den Streetart in den letzten Jahren erlebte, bis hin zu den zahlreichen Protesten gegen Bauvorhaben der Städte und Investoren.

Der Prozess, in dem sich fast alle Großstädte befinden, ist die Gentrifizierung. Für alle, die nicht wissen, um was es sich dabei handelt, hier ein kurzer Abriss: Junge, kreative Menschen ziehen in Metropolen und meistens sind sie knapp bei Kasse, also ziehen sie in Viertel, in denen die Mieten erschwinglich sind. Dort lebt meist—wie sagt man so schön—die „sozial schwache Bevölkerungsschicht“. Die jungen Künstler und Studenten beginnen, in ihrem Viertel aktiv zu werden und fangen so an, das Gesicht der Nachbarschaft zu verändern. Weitere Menschen ziehen nach und das Viertel entwickelt sich zum „place to be“. Ja, und der weitere Verlauf ist wohl offensichtlich, die Mieten steigen und alte Hauser werden abgerissen, um Platz für schicke und teure Luxuswohnungen zu machen. Tja, und dieser ganze Prozess ist dann ziemlich ärgerlich für die Leute, die sich die Mieten in diesem Szeneviertel nicht mehr leisten können. Sie müssen weiter an den Stadtrand weichen und sich ein neues Viertel wohnlich machen. Diesen Verlauf gibt es mindestens schon seit der Industrialisierung. Also kann man von einer Art Naturgesetzmäßigkeit sprechen? Vielleicht, das bedeutet aber nicht, dass man solche Prozesse schweigend hinnehmen muss.

Anzeige

Zu nennen sind zum Beispiel die erfolgreichen Proteste um das Hamburger Gängeviertel. Hier sollten große Teile abgerissen werden, woraufhin Kreative das gesamte Viertel besetzten, da sie ihre günstigen Atelierräume nicht einfach räumen wollten. Einige Monate nach der Besetzung kaufte der Hamburger Senat die betroffenen Gebäude von dem Privatinvestor zurück. Bei Stuttgart21 handelt es sich nicht um klassische Gentrifizierung, aber auch hier fordern die Bürger ihr Anrecht ein, ihre Stadt, in der sie leben, mit zu gestalten. In Berlin zeigten vor einigen Wochen viele Menschen ihren Unmut über die Zwangsräumung eines Hauses in der Lausitzerstraße und der geplante Abriss der East Side Gallery trieb in den letzten Tagen und Wochen immer wieder Menschen auf die Straße.

Die neuste Aufregung kommt nun aus München, genauer gesagt durch die Immobilienfirma Gold Grund. Als ich das erste Mal auf die Seite dieser Firma stieß, war ich zunächst einmal sehr irritiert wegen Aussagen wie: „Goldgrund Immobilien—wir handeln mit Ihrem Lebensraum“ oder „Die hermetischen Panoramafenster ermöglichen Ihnen die City zu genießen, ohne dass diese ihnen je zu nahe käme“. Bääh, so ein blöder Yuppi-Scheiß, dachte ich zunächst, bis ich irgendwann drauf kam: Es handelt sich hier um eine Satireseite. Verantwortlich hierfür ist eine Aktivistengruppe um Till Hofmann, der einigen Wirbel um die Sachen verursachte. Der neuste Clou: Ein Musikvideo.

Anzeige

Anlass gab das Vorhaben der Stadt München, einen Häuserblock von drei Häusern abzureißen, die direkt an die Glockenbachwerkstatt grenzen, welches das einzige Jugendzentrum weit und breit ist. Sollten diese Gebäude abgerissen werden, müsste auch der Bolzplatz der Glockenbachwerkstatt weichen. „Dann würde der letzte Spiel- und Tobeplatz wegfallen“, meint der Aktivist Alex.  Betroffen ist unter anderem das Haus Nummer 6 in der Müllerstraße, das in einem der schicksten Viertel Münchens gelegen ist, dem Gärtnerplatzviertel. Hier ist die Gentrifizierung schon lange durchgefegt.

„Es gibt in München so eine unglaubliche Wohnungsnot, das ist absurd. Nummer 4 steht seit 14 Jahren leer und in Nummer 6 sind angeblich alle Wohnungen vermietet, ich glaub das allerdings nicht.“ Da es von Seiten der Stadt hieß, diese Gebäude seien nicht zu renovieren, beziehungsweise, das würde die Kosten sprengen, fragten die Aktivisten einen jungen Somalier, der in Hausnummer 6 wohnt, ob er bereit wäre, für eine Woche zu seinem Kumpel zu ziehen, damit sie die Wohnung renovieren können und wer würde da schon nein sagen?

Die Aktivisten schafften es, eine Horde Münchner Kulturschaffender für dieses Projekt zu begeistern. Darunter sind unter anderem Kabarettist Dieter Hildebrandt, die Band Moop Mama, der ehemalige Fussballer Mehmet Scholl, die Bands Sportfreunde Stiller und Blumentopf. Eine Woche lang wurde nun Tag und Nacht in der obersten Etage der Müllerstraße 6 entrümpelt, geschliffen, verlegt, poliert, möbliert und was sonst noch alles. Die Materialkosten beliefen sich bloß auf knapp 3000 Euro, die von den Aktivisten getragen wurden. „Wir wollten damit einfach zeigen, dass man mit so wenig Geld so viel machen kann“, erzählt mir Alex. „Unsere Forderung war: Prüft doch mal, ob es wirklich so verrottet ist, wie ihr behauptet, das ist es nämlich nicht. Warum abreißen, verdammt?“

Anzeige

Das Anliegen der Glockenbachwerkstatt war für die Jungs von Blumentopf besonders wichtig. „Die Glockenbachwerkstatt ist für uns eine Institution mit Geschichte, da hatten wir unseren ersten Auftritt gehabt, und außerdem ist der Till ein guter Kumpel von uns“, erzählt mir Cajus von Blumentopf. „Und das Haus abzureißen, macht einfach keinen Sinn.“ Cajus hat bei der Renovierung Türen abgeschliffen und Fugen gemeißelt. „Die Stimmung war sehr, sehr gut, weil alle halt gesagt haben, dass wir hier für eine gute Sache dabei sind. Das war jetzt auch nicht so, dass sobald die Kamera aus war, alle nach Hause gehen, sondern das machen wir jetzt. Ob der Mehmet Scholl oder die Musiker von den Sportfreunden, es war super zu sehen, dass alle sofort mit dabei waren, dass sie wirklich da waren und wirklich renovieren“, erzählt er mir.

Skurril ist, dass man vom Balkon der frisch renovierten Wohnung des jungen Somaliers auf den „Münchner Todesstern“, wie Alex ihn nennt, schaut, mit 15 Millionen Euro die teuerste Wohnung Deutschlands. Als der junge Somalier davon erfuhr, hat er sich vor Lachen nicht mehr eingekriegt.

Obwohl die Aktivisten die Stadt ganz schön vorgeführt und blamiert haben, kam Münchens Oberbürgermeister Ude für einen spontanen Besuch vorbei und war begeistert, was aus der Wohnung gemacht worden war, und gab nun auf Facebook bekannt, dass alle Wohnungen in Hausnummer 6 so renoviert werden sollen.

„Es ist schön zu sehen, dass man mit einer relativ einfachen Aktion doch relativ schnell Erfolge feiern kann. Man kann gut sehen, dass es doch relativ einfach geht, wenn man sich zusammen tut“, meint Cajus zu diesem kleinen Erfolg gegen das böse, um sich greifende Monster Gentrifizierung.