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Grönländische Vergewaltiger und Pädophile schmoren in dänischen Gefängnissen

Auf Grönland gibt es echte Kriminelle, aber keine echten Gefängnisse. Wir haben einen Serien-Vergewaltiger besucht, um zu sehen, wie er im Exil des dänischen Vollzugs behandelt wird.

von Cei Willis

Letzten Mittwoch war ich in der Anstalten ved Herstedvester, einem trostlosen Gefängnis außerhalb von Kopenhagen, und habe Michael getroffen. Michael ist Serienvergewaltiger und einer von 20 grönländischen Häftlingen, die psychologisch behandelt werden müssen und auf unbestimmte Zeit für Morde, Vergewaltigungen oder Pädophilie in diesem dänischen Gefängnis sitzen. Bei Michael stand gerade das jährliches Verhör an—ein guter Zeitpunkt, um herauszufinden, wie Gefangene aus der ehemaligen Kolonie im dänischen Justizvollzug behandelt werden.

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Dass Michael seine Strafe nicht in seinem Heimatland verbüßt, liegt daran, dass dies nicht möglich ist. Das grönländische Strafsystem ist für psychisch kranke Häftlinge nicht ausgerüstet. Aufgrund fehlender finanzieller Mittel sieht sich das Land nicht in der Lage, ein Hochsicherheitsgefängnis einzurichten, in dem die Straftäter eine angemessene psychologische Betreuung erhalten. Die wenigen Strafanstalten, die hier betrieben werden, sind offen oder halboffen. Meist werden die Täter über Nacht eingesperrt, tagsüber können sie sich jedoch frei bewegen.

Solange sie sich von der örtlichen Bar fernhalten, dürfen Häftlingen in Grönland arbeiten und sogar jagen gehen. Nichtsdestotrotz verbringen Gefängniswärter den einen oder anderen Nachmittag damit, sturzbesoffene Häftlinge in ihre Zelle zu schleifen. Bei psychisch labilen Serienvergewaltigern ist diese Praxis kaum akzeptabel. Deshalb wurde Michael für den Strafvollzug nach Dänemark geschickt, auch wenn er in Grönland verurteilt wurde.

Mit ihm und seinem Anwalt saß ich in einem mit IKEA-Möbeln eingerichteten Raum, der mit all den alten Servietten und Salz- und Pfefferstreuern, einer verlassenen Schulkantine ähnelte. Ich erlebte mit, wie Michael die Chance gegeben wurde, Herstedvester zu verlassen—per Skypegespräch mit einem Richter und einem Staatsanwalt, die in der über 3.000 Kilometer entfernten grönländischen Hauptstadt Nuuk saßen.

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Gesichtsmimik oder Körpersprache waren bei Michael so gut wie nicht erkennbar, sodass es dem Richter und dem Staatsanwalt am anderen Ende der Leitung schwer gefallen sein dürfte zu beurteilen, ob das, was Michael sagte, der Wahrheit entsprach. Dadurch, dass die Tonqualität ebenfalls zu wünschen übrig ließ, waren auch die dänischen Aussagen, die von einem grönländischen Polizeivertreter verlesen wurden, kaum zu hören.

„Du konntest ihn auch nicht verstehen, oder?“, fragte mich Michaels Anwalt, dem zum Glück Abschriften vorlagen.

Weil Herstedvester voller gefährlicher Krimineller steckt—unter ihnen auch der berüchtigte Serienmörder Peter Lundin—ist die gesamte Administration permanent beschäftigt und Michaels Verhöre finden nur selten fristgerecht statt. Die seltenen Verhandlungen und die fehlenden Therapiemöglichkeiten in Grönland haben letztlich dazu geführt, dass Michaels Strafmaß unbestimmt geblieben ist. Gleichzeitig ist es nicht so, dass Michael allzu bald entlassen werden will. An einer Stelle des Verhörs schlug er sich gegen die Brust und schrie, dass er nicht freigelassen werden wolle, bevor „das Böse hierdrin verschwunden ist“.

von Grace Pelham-Dann

Sein Anwalt Thorkild Høyer erwähnte, dass die zugesicherte Zusatzbehandlung gegen Michaels Drogenmissbrauch noch immer ausstehe. Viele (wenn nicht alle) der grönländischen Straftäter leiden an Alkoholismus. Die Rehamöglichkeiten, die den einheimischen Kriminellen offen stehen, sind für die ausländischen Gefangenen nur schwer zu erreichen.

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Nach vier Jahren in Herstedvester sieht es so aus, als ob Michael erst dann in seine Heimat zurückkehren kann, wenn das neue Gefängnis fertig gestellt ist, das zur Zeit in Nuuk gebaut wird. 2017 soll das erste Hochsicherheitsgefängnis Grönlands fertig sein und die zwanzig Häftlinge aufnehmen, die jetzt in Dänemark sitzen.

In diesem Gefängnis soll ihnen die Betreuung gewährt werden, die ihnen eigentlich schon in Dänemark zustand. Das Gefängnisprojekt wurde jedoch schon mehrmals verschoben. Michaels Anwalt erzählte mir, dass er schon zu Zeiten seines Studiums von dem Plan gehört hatte.

So schwierig es auch sein mag, Mitleid mit diesen Männern aufzubringen—eine Gefängnisstrafe im Ausland verbüßen zu müssen, ist offensichtlich kein Idealzustand. Unter Umständen könnte es sogar einer Resozialisierung im Wege stehen. Den Häftlingen ist es verwehrt, ihre Familien zu sehen (ein Grundrecht, das weithin als Stütze bei der Genesung psychisch instabiler Menschen gilt), und aufgrund von Sprachbarrieren können sie nicht richtig mit ihren Wächtern kommunizieren.

Thorkild zufolge sind die dänischen Behörden nicht besonders begeistert von der Idee, sich für die Entlassung dieser Verurteilten verantworten zu müssen, weil sie fürchten, dass einige der Straftäter in Dänemark rückfällig werden könnten. Da das Schicksal grönländischer Massenmörder und Serienvergewaltiger wenig Interesse erregt, ließ man die Häftlinge einfach im Gefängnis schmoren.

Die Strafe der Verbannung ist in Grönland nichts Neues. In alten Zeiten riskierten Leute, die in ihrer Kleinstadtgemeinde nicht länger von Nutzen waren, „aufs Eis gelegt zu werden“. Das heißt, dass man sie im wahrsten Sinne des Wortes auf eine Eisscholle aussetzte und der Vergessenheit anheim fallen ließ.

„Dieses Gefühl ist in Grönland noch immer präsent, da viele Verurteilte, die ihre Strafe in Dänemark verbüßen, sich ausgestoßen fühlen“, erzählte mir Michaels Anwalt, als wir das Gefängnis wieder verließen. Zwischen dieser Einstellung und den fahrigen Internetverhören kommt es nur selten zu Entlassungen. Und die wenigen Glücklichen, die freikommen? „Die meisten entscheiden sich dafür, in Dänemark zu bleiben, weil ihr Netzwerk in Grönland längst zusammengebrochen ist.“

Bei Michael hingegen könnten die Dinge anders liegen. Angesichts der geplanten Eröffnung des ersten grönländischen Hochsicherheitsgefängnisses im Jahr 2017 stehen die Chancen gut, dass er in seine Heimat zurückkehren kann und die psychiatrische Betreuung bekommt, die er so dringend braucht.

Illustrationen: Cei Willis und Grace Pelham-Dann