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Immer dieses Internet!

#Growingupshy zeigt, warum Social Media so wichtig ist

Twitter, Facebook und Co. sind nicht nur Aggregatoren für Ausländerhass oder eine Plattform für Selbstdarsteller. Sie helfen—gerade sozial Ausgegrenzten.

Foto: Mateus Lucena | Flickr | CC BY-SA 2.0

Schnell kann man den Eindruck bekommen, dass Social Media nichts anderes ist als ein überdimensioniertes U-Bahn-Abteil, in dem alle durcheinanderbrüllen und manchmal einer in den Gang kotzt, damit für einen winzig kurzen Moment der Großteil der Augen auf ihn gerichtet sind. Facebook, Twitter oder Instagram als Jahrmarkt der Eitelkeiten und ideale Plattform für alle engagierten Selbstdarsteller, die nichts lieber tun, als uns mit der fünfhundertsten Nahaufnahme ihrer Augen oder Spiegelselfies aus dem Fitnessstudio in den Wahnsinn zu treiben.

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Und dann gibt es da natürlich auch noch die vermeintlich coolen Kids auf der Bank ganz hinten, die sich für ihre hämischen Kommentare auf Reddit, 4chan und Co. feiern und eigentlich doch nichts anderes sind als unfassbare Arschlöcher, die nach einem Ventil für ihren blinden Hass gegen alles, was ihrem persönlichen Weltbild widerspricht, suchen.

Was man da dann eben schnell vergisst, sind die leisen Zwischentöne. Für jedes #GamerGate gibt es auch ein Diskussionsthema, eine neue Hashtagaktion, die tatsächlich etwas Positives bewirken möchte. Und auch wenn das Wort Hashtagaktion an sich ganz, ganz furchtbar klingt und man mit Tweets weder Krankheiten heilen, noch irgendetwas richtig Messbares bewirken kann, so gibt es doch Themen, bei denen der reine Austausch über etwas das Beste ist, was überhaupt passieren kann.

#Growingupshy ist so ein Beispiel.

Screenshot: Twitter/AnnaHdt_

Unter diesem Schlagwort teilen Twitter-Nutzer weltweit Situationen ihrer Kindheit und Jugend, in denen sie eine lähmende Unsicherheit überfallen hat. Mit jemand Fremdem telefonieren zu müssen, das Geld fünf mal abzuzählen, weil man sich nichts Schlimmeres vorstellen kann, als öffentlich zugeben zu müssen, dass man nicht genug für den Einkauf dabei hat—es gibt viele Situationen, in denen einen eine Art Sozialpanik befällt, die für Außenstehende absolut unerklärlich scheint. Bei manchen bestand die halbe Kindheit aus Momenten, in denen sie von der schwer einzuordnenden Angst getrieben waren, dass sie jeden Moment etwas tun könnten, was dazu führt, das jemand über sie lacht oder sie irgendwie seltsam findet.

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Screenshot: Twitter/whisley_

Tausende Tweets gibt es mittlerweile zu diesem Thema. Tausende Geschichten, in denen sich jemand ganz grundlos ganz furchtbar gefühlt hat. #Growingupshy ist aktuell der meistgenutzte Hashtag in Deutschland.

Denkt euch an diesen Moment im Unterricht zurück, als ihr eure Hand nicht heben wolltet, aus Angst, die falsche Antwort zu sagen und dann ausgelacht zu werden. Stellt euch vor, ihr wüsstet, dass es genau in diesem Moment mindestens einer anderen Person im Raum genau so geht. Stellt euch vor, dass jeder hinter euch an der Kasse genau weiß, wie es ist, wenn einem vor lauter vorgeschobener Hektik die Tomaten aus der Tasche rollen und das Kleingeld auf den Boden fällt. Stellt euch vor, ihr hättet damals schon gewusst, dass ihr nicht alleine seid mit euren Befürchtungen. Da draußen haben alle Angst, vor irgendwem oder irgendwas. Jeder ist unsicher und fühlt sich mal überfordert, alleine oder verloren—er kann es vielleicht nur ein bisschen überzeugender überspielen.

Screenshot: Twitter/AStranger

Vielleicht kann Social Media die absolute Ausgeburt der Hölle sein, mit all seinen Aushilfs-Nazis und GamerGate-Befürwortern und Holocaust-Gedenkstätten-Selfies. Solange es aber auch ein Ort sein kann, an dem es vermeintlichen Outcasts beweisen kann, dass sie mit ihren Problemen eben nicht alleine sind, sollten wir dankbar für dieses dreckige, übervolle, laute, imaginäre U-Bahn-Abteil sein. Hashtag ehrlich jetzt.

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