Hakenkreuze sind eine Bagatelle, Linksradikale eine Gefahr

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Hakenkreuze sind eine Bagatelle, Linksradikale eine Gefahr

Was ist schon eine Hakenkreuzschmiererei an einer Flüchtlingsunterkunft im Vergleich zu einer Farbbeutelattacke auf das Haus von Thilo Sarrazin? Warum die reaktionäre Elite die neue Linksextremismusstudie feiert.

Wissenschaftler der FU Berlin haben eine Studie über Linksextremismus veröffentlicht, in der sie zu dem Schluss kommen, dass linksradikale und linksextreme Ansichten in Deutschland weit verbreitet sind. Und die reaktionäre Schickeria der Republik muss vermutlich bald geschlossen zum Orthopäden, weil die Handgelenke bei all den High Fives der letzten Tage doch arg beansprucht worden sind. Endlich sind Linksradikale genauso schlimm wie Neonazis, wenn nicht schlimmer, und ein jahrelanges Projekt erhält eine wissenschaftliche Legitimation.

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Die Studie, unter Leitung von Klaus Schroeder entstanden, geht auf die ehemalige Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) zurück, deren Amtszeit im Bezug auf Extremismusfragen eher schwierig verging. Nicht nur, dass sie plante, die Linke als potentiell verfassungsfeindliche Organisation vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen und das Neue Deutschland offiziell „linksextremistisch" nannte. Sie führte auch die sogenannte Extremismusklausel ein, nach der sich Organisationen zwingend zum Grundgesetz bekennen müssen, bevor sie Fördergelder des Familienministeriums erhalten können. Klingt erst mal nicht dramatisch, in der Praxis bedeutete es aber, dass sich Gruppen, die sich gegen Rechtsextreme stellen, dazu bereiterklären mussten, vom Verfassungsschutz durchleuchtet zu werden. Selbst ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages sah diese Regelung als zumindest fragwürdig an. Auch der Versuch, Linksextremen den Ausstieg aus der Szene zu erleichtern, ein Programm des Verfassungsschutzes, dass von Schröder begrüßt wurde, war nur von mäßigem Erfolg gekrönt. Ein Jahr nach der Gründung der Telefonhotline stieg insgesamt eine Person aus.

Schröder, mittlerweile nur noch einfache Bundestagsabgeordnete, feiert die Studie unter dem zu erwartenden Beifall von Erika Steinbach:

.— Kristina Schröder (@schroeder_k)February 24, 2015

Und sie passt ja auch perfekt zum aktuellen Diskurs über Gruppen, die sich tendenziell eher auf der linken Seite des Spektrums einordnen lassen. Konnte vor etwas mehr als einem Jahr noch ein Artikel im Tagesspiegel erscheinen, der die Aktivitäten der Antifa in ziemlich positivem Licht darstellte, scheint die Stimmung gekippt. Spätestens seit die damals noch eher populäre „neue Friedenbewegung" es für eine Zeit geschafft hatte, ein breitere Öffentlichkeit mit zumindest sekundär antisemitischen Thesen auf die Straßen zu bringen, und diese Veranstaltungen regelmäßig von Antifa-Gruppen gestört wurden, gibt es das Wort von der „SA-Antifa". Und immer weniger Leute interessierten sich dafür, dass es eben gerade solchen Gruppen zu verdanken ist, dass in Berlin nur äußerst selten Neonazis oder rechtsradikale Parteien marschieren können. Nachdem sich nach internen Streits und Zerwürfnissen die neue Friedensbewegung auf dem absteigenden Ast befand, kam Pegida. Hier formierte sich zwar ein breiter Widerstand und die Protestbewegung selbst ist in Auflösung begriffen, die „Lügenpresse"- und „Volksverräter"-Rufe der Demonstranten verhallten aber nicht ungehört. Nachdem nicht mehr nur klar identifizierbaren Neonazis verwehrt wird, ihre Parolen in die Öffentlichkeit zu bringen, sondern auch angeblich „besorgten Bürgern", die sich zwar selbst nie als Neonazis bezeichnen würden, aber identische Ideologien vertreten, wird der Ton rauer. Und natürlich hat auch die AfD ihren Anteil an dieser Stimmung. Immer wieder wird sie zum „Opfer" von Aktionen politischer Gegner, zum Beispiel vor der Wahl in Hamburg, zu der laut Angaben der Partei 70% der aufgestellten Plakate zerstört oder entwendet wurden. Auch hier wird DIE Antifa beschuldigt.

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Auf verschiedenen rechten Verschwörer-Seiten entstand vor einigen Wochen das Gerücht über das Demogeld (25 Euro immerhin), dass angeblich von der Antifa ausgezahlt wird, und den schon fast legendären 48 Bussen (mit denen Pegida verhindert werden sollte). Die YouTube-Universität nahm das ganze dankend auf und verbreitet das Gerücht weiter.

Die Taz veröffentlichte einen Beitrag dazu, bei dem nicht jeder erkannte, dass es sich dabei um Satire handelte. Relativ schnell verselbständigte sich die Geschichte und wurde etwa von Bettina Röhl (rechte Publizistin und Tochter von Ulrike Meinhof) als Fakt auf ihrer Facebookseite gepostet (mittlerweile wieder gelöscht).

Zwischendurch gab es eine absurde Petition zum Verbot der Antifa, deren Text mittlerweile geändert wurde, die sich aber in der Ursprungsversion anscheinend auf den Twitter-Account Antifa e.V. bezog, der möglicherweise nicht so richtig ernst gemeint ist.

Die Studie selbst hat es auf diesem Boden zu großer Aufmerksamkeit gebracht. Und obwohl Professor Schroeder selbst sagt, dass es in seinen Augen keine Bedrohung durch Linksextremismus gibt und dass eine verkürzte Darstellung der Ergebnisse in den Medien problematisch ist, springen doch viele auf den Bashing-Zug auf. Jetzt kann man endlich mal sagen, was Sache ist. In der Zeitschrift eigentümlich frei, die der Neuen Rechten zuzuordnen ist, schreibt die ehemalige CDU-Bundestagabgeordnete und DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld von der furchtbaren linksextremen Gewalt, der Deutschland anscheinend ausgesetzt ist. Lengsfeld ist da offenbar ganz auf der Linie der ehemaligen Familienministerin. Initiativen, die sich gegen Rechtextremismus richten, sind ihr grundsätzlich erst einmal suspekt. Hinter alldem steht nämlich wieder die ominöse Antifa, diese „gewaltbereite Schlägertruppe". Die mehr als 10.000 rechtsextremen Straftaten von 2014 findet sie dafür aber nur halb so schlimm. Sind ja nur 496 Gewalttaten weniger. Und vielleicht waren das ja auch gar nicht alles Deutsche, oder gar eher „Deutsche mit arabischem Namen"? Das Lengsfeld hier genauso argumentiert, wie große Teile der deutschen Öffentlichkeit, wie damals, als die Morde des NSU Dönermorde genannt wurden, sei dahingestellt. Jedenfalls ist der Rest sowieso Peanuts. Was ist schon eine Hakenkreuzschmiererei an einer Flüchtlingsunterkunft im Vergleich zu einer Farbbeutelattacke auf das Haus von Thilo Sarrazin. Das eine ist eine „statistische Nebelkerze", das andere ein linksextremer Terrorakt.

Wenn man sich einige der abgefragten Punkte in der Studie näher anschaut, wird einem klar, was hier mit „Linksradikales Gedankengut" eigentlich gemeint ist. 48 Prozent der Befragten stimmen der Aussage „Eine tief verwurzelte Ausländerfeindlichkeit lässt sich bei uns überall im Alltag beobachten" nämlich zu. Alltagsrassismus doof zu finden macht einen also zumindest verdächtig, potentieller Linksextremist zu sein. Wenn das ein Indikator ist, dann will man nicht wissen, was in den nicht-linksradikalen Köpfen des Landes vor sich geht. Der Hauptverdienst der Studie dürfte sein, dass sie der Das-wird-man-ja-wohl-noch-sagen-dürfen-Fraktion endlich ein —aus dem Zusammenhang gerissenes—wissenschaftliches Feigenblatt liefert, mit dem der missliebige „Kampf gegen Rechts" in diesen Kreisen endgültig diskreditiert wird. Man muss sich ja um schlimmeres kümmern. Farbbeutelattacken, zum Beispiel.